Anna Prizkau über "Fast ein neues Leben"

Verleugnung des Andersseins

10:31 Minuten
Porträt der Schriftstellerin Anna Prizkau vor einer Backsteinwand
Komisches Essen, seltsamer Akzent, peinliche Eltern: Anna Prizkau erzählt in ihren Kurzgeschichten von Erfahrungen des Fremdseins. © Julia von Vietinghoff
Anna Prizkau im Gespräch mit Frank Meyer |
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In ihrem Debüt "Fast ein neues Leben" erzählt Anna Prizkau in Kurzgeschichten vom Ankommen in Deutschland. Die Hauptfigur wolle ihre Herkunft verstecken – was in ihr auch Abgründe öffne, so die Autorin, die selbst aus Russland auswanderte.
"Fast ein neues Leben", heißt das erste Buch von Anna Prizkau. In zwölf Geschichten erzählt sie von einem Mädchen, das aus einem anderen Land nach Deutschland kommt. In ersten Besprechungen erhielt die Debütantin dafür reichlich Anerkennung: elegant erzählt, lakonisch, genau, mit überraschenden Bildern, heißt es in Rezensionen. Und: Die Geschichten seien hart und geschliffen wie Diamanten, wahnsinnig schön und traurig. Ein faszinierend eigenwilliges Buch hat es unsere Rezensentin genannt.

Anerkennung für das ungeliebte Genre Kurzgeschichte

Dass ihr Buch so eine positive Resonanz bekommt, habe sie nicht vermutet, weil die Menschen in Deutschland so wenig mit Kurzgeschichten anfangen könnten, sagt Anna Prizkau. Sie ist Redakteurin bei der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" und wurde 1986 in Russland geboren, von wo sie Mitte der 1990er-Jahre mit ihren Eltern nach Deutschland ausgewandert ist.
Die zwölf Erzählungen sind eigenständig aber doch untereinander verwoben: Einzelne Elemente tauchen immer wieder auf. Das Mädchen, das im Lauf der Geschichten zur jungen Frau wird, kommt in jeder Erzählung vor.
Vor etwa sieben Jahren habe sie die erste Geschichte geschrieben, sagt Prizkau - und dabei nicht an eine Veröffentlichung gedacht: "Ich habe sie einfach für mich erzählt, diese Geschichten. Irgendwie ist es dabei geblieben, dass die Protagonistin immer dieselbe war, und so habe ich immer weitergemacht."

Verlorensein in der Familie

Dass ihre Kurzgeschichten teilweise so schön und traurig zugleich seien, wie über ihr Buch geschrieben wurde, liege nicht so sehr am Fremdsein. "Es hat mit dem Verlorensein zu tun. Und explizit mit dem Verlorensein eines Kindes in der Familie", erklärt Prizkau. Die Eltern des Mädchens seien "schwierig" und muteten ihm einiges zu. "Aber das Mädchen tut auch den Eltern etwas an."
Die Protagonistin setzt alles daran, ihre Herkunft unsichtbar zu machen: sich ihren Akzent abzutrainieren, im Deutschen besser zu werden als die Schon-immer-Deutschen – und ihre Eltern vor ihrem Freund zu verstecken.

Manchmal Opfer, aber sehr oft Täter

Ob fremd oder nicht, erklärt Prizkau: "Man will als Kind, als Teenager, als Halberwachsener einfach dazugehören, so sein wie die anderen." Die Herkunft lasse sich aber nicht kaschieren. "Man kann nichts daran ändern, dass die Eltern nun mal diesen Akzent haben, komisches Essen essen, komische Lieder hören zu Hause - dass alles ganz anders ist." Wenn der Freund der Hauptfigur das sehen würde, wäre sie enttarnt, sagt Prizkau. "Und das ist ihre größte Angst in dieser Geschichte."
In einer Geschichte erkenne die Protagonistin in einem anderen Ausländer, wie sehr sie sich selbst verleugne. Und tue ihm deshalb etwas sehr Gemeines an. Ihre Hauptfigur sei manchmal Opfer, aber sehr oft Täter. "Das fand ich interessant", sagt Prizkau.
(abr)
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