Anna Schmid zum Streit ums Humboldforum

Provenienzforschung in der Ethnologie erst am Anfang

Ansicht des Humboldt-Forums von der Nord-West-Seite
Ansicht des Humboldt-Forums von der Nord-West-Seite © Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum / Architekt: Franco Stella mit FS HUF PG
Moderation: Elena Gorgis |
Betreibt das Berliner Humboldt-Forum unzureichende Provenienzforschung? Das meint die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy. Die Baseler Ethnologin Anna Schmid schränkt ein: In der Ethnologie sei Provenienzforschung schwieriger - und eine relativ neue Forderung.
Nach dem Austritt der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy aus dem Expertenbeirat geht der Streit ums Humboldt-Forum weiter: Die Gründungsintendanten meldeten sich mit einer Stellungnahme zu Wort und dementierten, dass die Provenzienzforschung beim Humboldtforum unzureichend sei.
Den Vorwurf, im Humboldt-Forum würden Objekte ausgestellt, deren Herkunft nicht ausreichend geklärt sei, hält die Ethnologin Anna Schmid im Prinzip für berechtigt. Das habe allerdings nichts damit zu tun, dass man diese Herkunft nicht erforschen wolle, betonte die Direktorin des Museums der Kulturen in Basel im Deutschlandfunk Kultur.
"Sondern damit, dass es oft die Möglichkeit nicht gibt - beziehungsweise dass Provenienzforschung eine relativ neue Forderung ist. Eine völlig berechtigte, die aber Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird."

Provenienzforschung bei ethnografischen Sammlungen nicht mit der Kunst vergleichbar

Im Fall der ethnografischen Sammlungen sei letztlich erst mit den "postcolonial studies" ins Bewusstsein gerückt, dass es im Bereich der Provenienzforschung Nachholbedarf gebe. Allerdings sind Schmid zufolge hier problematische Fälle zu erwarten:
"Es sind weitere Wege, es sind andere Bedingungen, die Quellenlage ist eine komplett andere als beispielsweise in der Kunst. Das macht es schwieriger und vor allen Dingen langwieriger."
Im Fall des Humboldt-Forums sei sie davon ausgegangen, dass man dort eigentlich erst nach der Eröffnung richtig mit der Forschung beginne:
"Es wird nichts sein, was man regeln kann bis zur Eröffnung, selbst wenn sie noch einmal verschoben würde."
Einen konkreten Rat, wie das Humboldt-Forum mit der Situation umgehen soll, will die Ethnologin nicht äußern. "Das wäre, glaube ich, ein bisschen vermessen aus der Distanz", so Schmid.
"Aber insgesamt gilt für ethnologische Museen, dass sie Provenienzforschungsstellen einrichten müssen, wo immer möglich, so schnell wie möglich - und dass tatsächlich eine umfassende historische Forschung stattfindet."
(uko)

Das Interview im Wortlaut:
Elena Gorgis: Mit einem lauten Knall hat die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy die Tür zugeschlagen hinter dem Expertenbeirat des Humboldt-Forums, aus dem sie ausgetreten ist, "Fazit" hatte darüber berichtet. In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" hatte sie gesagt, das Humboldt-Forum sei wie Tschernobyl, es sei unter einer Bleidecke begraben wie Atommüll, damit bloß keine Strahlung nach außen dringe. Damit kritisierte sie vor allem die mangelnde Provenienzforschung. Die Gründungsintendanten dementierten in einer Stellungnahme, dass es mangelnde Transparenz gäbe. Tatsächlich gibt es aber nur 1,5 Stellen für Provenienzforschung für die gesamte Stiftung Preußischer Kulturbesitz, also für insgesamt knapp 600.000 Objekte. Vielleicht lohnt sich da mal ein Blick zu unseren Nachbarn in die Schweiz. Wie halten die es mit der Provenienzforschung, zum Beispiel am Museum der Kulturen in Basel. Es gilt als das größte ethnologische Museum der Schweiz. Die Direktorin ist Anna Schmid. Ich grüße Sie!
Anna Schmid: Guten Tag!
Gorgis: Was halten Sie von den Vorwürfen, im Humboldt-Forum würden Objekte ausgestellt, deren Herkunft nicht ausreichend geklärt ist?
Schmid: Das ist bestimmt so, was aber letztlich nichts damit zu tun hat, dass man es nicht erforschen wolle, sondern damit, dass es oft die Möglichkeit nicht gibt beziehungsweise, dass Provenienzforschung eine relativ neue Forderung ist. Eine völlig berechtigte, die aber Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird.

Quellenlage bei ethnografischen Objekten schwierig

Gorgis: Nun haben ja in Deutschland in den letzten Jahren durch den Fall Gurlitt in Sachen Provenienzforschung, was geraubtes Kulturgut aus der Zeit des Nationalsozialismus angeht, dazugelernt. Was sind denn jetzt die besonderen Herausforderungen der Provenienzforschung, wenn es um die Kolonialgeschichte geht?
Schmid: Vielleicht gar nicht so sehr die Kolonialgeschichte, sondern die ethnografischen Objekte, wo dann die Kolonialgeschichte ja nur ein kleiner Teil davon ist. Die Kunst hat in der Tat sehr früh angefangen, anfangen müssen, weil es rechtliche Probleme gab, weil es Forderungen gab, die durchaus aus mit relativ hohen Geldbeträgen hinterlegt waren, während die ethnologischen Museen und die ethnografischen Sammlungen davon lange unbehelligt blieben. Es ist erst mit den Postcolonial Studies letztlich überhaupt ins Bewusstsein gerückt, dass es da Nachholbedarf gibt, dass es schwierige Fälle geben könnte, dass überhaupt sowas wie Herkunft noch rekonstruiert werden kann. Es sind weitere Wege, es sind andere Bedingungen, die Quellenlage ist eine komplett andere als beispielsweise in der Kunst. Das macht es schwieriger und vor allen Dingen langwieriger.
Der zweite Punkt ist, dass oftmals … Museen sind eine westliche Erfindung, wenn man so will, und wenn es darum geht, mit Herkunftskulturen zu arbeiten, dann stellt sich sofort die Frage, inwiefern Herkunftskulturen daran überhaupt Interesse haben. All das muss man sozusagen zusammenbinden und dann wirklich sowas wie ein größeres Projekt aufzugleisen, und ich hatte immer verstanden, dass das Humboldt-Forum eigentlich erst richtig mit der Forschung beginnt, wenn es eröffnet ist. Das wird nichts sein, was man regeln kann bis zur Eröffnung, selbst wenn sie noch mal verschoben würde, sondern es muss ein ständiger Prozess sein, und der muss eigentlich offengelegt werden, und das muss ebenso gezeigt werden im Humboldt-Forum.

Provenienzforschung nicht unbedingt in den Ausstellungen sichtbar

Gorgis: Sie gelten ja mit Ihrem Museum als musterhaft in Sachen Provenienzforschung. Also wenn Sie sagen, es ist ein andauernder Prozess, wie sieht dieser Prozess bei Ihnen im Haus aus?
Schmid: Es freut mich natürlich, dass wir ein Musterbeispiel sind, allerdings würde ich nachfragen, woher das kommt. Die Schweiz war keine Kolonialmacht, und deswegen wurde lange vermutet, dass es hier eigentlich auch nicht diese Art von Kolonialgeschichte gibt, aber selbstverständlich, selbst wenn Objekte nicht aus einem kolonialen Kontext direkt stammen, war die Verfasstheit der Welt Kolonialismus, und insofern sind wir davon genauso betroffen wie alle anderen Museen auch. Wir haben keine Provenienzforschungsstelle bisher, aber, wo immer möglich, vergeben wir Forschungsaufträge, um Provenienzen unter anderem auch zu untersuchen, und wir sind in der glücklichen Lage, dass wir ein Fellowship haben und darüber auch Vergaben machen können, und insofern konnten wir damit anfangen, aber wir haben 320.000 Objekte, und da sind wir ganz am Anfang.
Gorgis: Und wie machen Sie diese Forschung in den Ausstellungen sichtbar?
Schmid: Manchmal ja, manchmal nein. Es kommt immer auf das Thema an. Es hängt natürlich ganz klar davon ab, was man weiß und was man alles dazu schreiben kann. Nun ist aber das Museum in aller erster Linie ein visuelles Medium. Die Sprache ist Hilfsmittel, und insofern machen wir das nicht unbedingt in den Ausstellungen sichtbar, aber in den Begleitpublikationen oder in Forschungsberichten.

Provenienzaspekte in Museumsarbeit einspeisen

Gorgis: Was raten Sie denn der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und den Gründungsintendanten des Humboldt-Forums?
Schmid: Das wäre, glaube ich, ein bisschen vermessen aus der Distanz und mit dem bisschen Wissen, was ich dazu habe, zu raten, aber insgesamt gilt für ethnologische Museen, dass sie Provenienzforschungsstellen einrichten müssen, wo immer möglich, so schnell wie möglich und, dass tatsächlich eine umfassende historische Forschung stattfindet, dass das auch tatsächlich insgesamt aufgegleist wird, gar nicht nur einzeln, sondern tatsächlich Forschungsprojekte zur Provenienz, zu allen ethnografischen Sammlungen, und dass man dann unterschiedliche Themen rausgreift, unterschiedliche Regionen rausgreift, um da Paradebeispiele mal zu etablieren und dann zu sehen, wie man gegebenenfalls ganz allgemein einspeisen kann in Museumsarbeit, was bisher ja kaum der Fall ist, kaum möglich ist.

"Der erste Schritt ist Dialog"

Gorgis: Was ist denn, wenn die Forschung ans Licht, dass diese Objekte oder einige Objekte unrechtmäßig in den Sammlungen sind und dass es dann da vielleicht auch sogar schon Rückforderungsansprüche gibt? Wie soll man dann verfahren?
Schmid: Das ist eigentlich das Schönste, was passieren kann, dass tatsächlich entweder Rückgabeforderungen da sind oder aber sowas ans Licht kommt und dann ein offener, auf Augenhöhe, Dialog stattfinden kann. Wenn an uns was herangetragen wird – das kam bisher nur sehr selten vor –, dann sind wir selbstverständlich … Der erste Schritt ist Dialog: Was wird überhaupt gewünscht, und wie können wir dann vorgehen, dass möglichst beide Seiten zufrieden sind. Die riesigen Sammlungen, die wir haben, können wir nie alle zeigen, sowieso nicht, und dann stellt sich natürlich schon die Frage, warum sollen sie da in einem Depot sein und nicht woanders, was sind die Bedingungen, unter welchen gehen sie wohin. Wird das eine Leihgabe, wird es eine Dauerleihgabe, ist es eine tatsächliche Rücküberführung – all das muss offen sein. Das kann nicht von vornherein auf rechtlicher Basis ausgeschlossen werden, sonst macht Provenienzforschung keinen Sinn.
Gorgis: Der Streit ums Humboldt-Forum geht weiter. Wir haben in die Schweiz geblickt, wie man es dort mit der Provenienzforschung hält, hat uns Anna Schmid erzählt, die Direktorin des Museums der Kulturen in Basel. Herzlichen Dank!
Schmid: Sehr gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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