Annabel Wahba: "Chamäleon"
Was ist deutsch an mir, was ägyptisch? In ihrem Roman "Chamäleon" geht Annabel Wahba dieser Frage nach. © Nora Hollstein
Deutsch-ägyptische Familiengeschichte
11:10 Minuten
Annabel Wahbas ägyptischer Vater sprach zu Hause nie Arabisch. Gleichwohl hat seine Herkunft auch ihr Leben beeinflusst. Als ihr Bruder im Sterben lag, fing die Journalistin an, sich mit ihrer Geschichte zu beschäftigen. Daraus wurde ein Roman.
Sie fühle sich wie ein Chamäleon – und für ihre Geschwister gelte dies vermutlich ebenso, schrieb die Journalistin Annabel Wahba in einem längeren Text in der „Zeit“. Wahbas Vater ist Ägypter, der Ende der 50er-Jahre für seine Doktorarbeit nach München kam, ihre Mutter Ur-Bayerin. Einer ihrer Brüder wurde in Ägypten geboren, wo die Familie bis 1968 lebte.
Wahba wie auch ihre Geschwister lernten die ägyptische Heimat des Vaters erst spät kennen. Er wiederum sprach nur Deutsch mit den Kindern. In Erding, wo sie aufwuchsen, seien sie Exoten gewesen. Deutsch sozialisiert und doch irgendwie immer anders, in der bayerischen Provinz. Dieses Mäandern zwischen deutscher und ägyptisch-orientalischer Identität beschreibt die Journalistin nun auch in ihrem autofiktionalen Roman „Chamäleon“.
Blick zurück mit dem sterbenden Bruder
Äußerer Anlass war die schwere Krebserkrankung ihres Bruders André – derjenige von den vier Wahba-Geschwistern, der in Kairo geboren wurde, aber später immer in seiner bayerischen Heimat blieb, dort eine Werbeagentur gründete und sich für die CSU engagierte. Mehr Heimatverbundenheit ist in Bayern wohl kaum möglich.
Das Sterben ihres Bruders sei für sie ein Auslöser gewesen, sich mit ihrer Familiengeschichte zu beschäftigen, sagt Wahba. „In dem Augenblick, wo ein Mensch stirbt, den man liebt, schaut man nicht mehr so sehr nach vorne, sondern man schaut mehr zurück: Woher kommt man eigentlich.“
Im Angesicht des Todes habe ihr Bruder noch einmal nach Kairo zurückkehren wollen, doch sei dies nicht möglich gewesen. „Das hat mir unfassbar leidgetan. Das Buch ist deshalb so etwas wie: ‚Wir unternehmen die Reise zusammen in Gedanken.‘“
Beschäftigung mit der eigenen Geschichte
Das Chamäleon-Motiv durchzieht die Familiengeschichte: Die Mutter Imelda lebte als sehr junge Frau ein paar Jahre lang in New York, jobbte als Au-pair-Mädchen in einer reichen Familie, bekam sogar eine Greencard und arbeitete dann als Bibliothekarin. Doch in der Gesellschaftsschicht der Reichen von New York habe sie sich deplatziert gefühlt und sei wohl auch zu europäisch gewesen, um sich auf Dauer in der Ostküsten-Metropole heimisch zu fühlen, denn das hätte eine permanente Anpassung bedeutet. „Sie hat sich danach gesehnt, wieder sie selbst zu sein“, sagt Wahba. Deshalb sei sie nach Bayern zurückgekehrt.
Sich mit der eigenen Identität oder mit parallelen Identitäten zu beschäftigen ist seit einigen Jahren in der Literatur stark verbreitet. Aber während dies für sie, Annabel Wahba, ein wichtiger Prozess sei, lehne eine der im Roman vorkommenden Schwestern der Protagonistin dies rundweg ab: Sie habe eine Identität und brauche keine weitere.
„Ich persönlich sehe das anders. Ich finde schon, dass man zwei Identitäten haben kann. Bei mir ist die deutsche stärker als die ägyptische, aber ich bin gerade in Deutschland – so aus der Geschichte heraus – ganz froh, dass ich noch einen Exit habe und dass ich, wenn es hart auf hart kommt, das Land verlassen könnte.“ Solche Gedanken seien ihr speziell vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges und der Situation in Europa gekommen.
Annabel Wahba: "Chamäleon"
Eichborn Verlag, 2022
288 Seiten, 23 Euro