Anne Carson: "Rot. Zwei Romane in Versen"

Denn Liebe ist die Pein der Liebe wert

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Cover des Romans "Rot. Zwei Romane in Versen" von Anne Carson
Der Roman "Rot" der Altphilologin und Schriftstellerin Anne Carson verknüpft mythische Gestalten mit der Gegenwart. © Fischer Verlag
Von Verena Auffermann |
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Der Roman "Rot" basiert auf dem griechischen Mythos des Geryon, der unsterblich in Herkules verliebt ist. Das Werk der Kanadierin Anne Carson ist voller assoziativer Eleganz, Komik und einer komplexen Mischung unbändiger Verrücktheiten.
Anne Carson, 1950 in Toronto geboren, ist Altphilologin, Professorin, Schriftstellerin, Dichterin. Griechisch und Latein sind ihr so geläufig wie uns Englisch oder Französisch.
Ihre Romane in Versen "Rot" und "Rot Doc>" basieren auf einem Mythos. Geryon, ein rotes, geflügeltes Monster, lebte auf einer roten Insel mit einer Herde roter Rinder. Herakles fasst den heldenhaften Plan, das Monster Geryon zu töten. Was ihm natürlich gelingt.
Die Geschichte ist bekannt und hätte Anne Carson nicht inspiriert, wäre da nicht der Dichter Stesichoros (um 600 v. Chr.), der an der Nordküste Siziliens unter Flüchtlingen lebte, einen Mischdialekt sprach, über die Sprache reflektierte und in 84 ungeordneten Fragmenten den Herakles-Mythos auf den Kopf stellte. Darin tötet Geryon Herakles. Stesichoros war nach Homer nicht nur der größte epische Dichter seiner Zeit, er galt auch als Erfinder des Adjektivs.

Komplex und anspruchsvoll

Anne Carson ist eine komplexe und komplizierte Autorin, die das Hybride liebt. Die "Zeremonien" des Realismus, sagt sie, langweilen sie. Langweilig ist ihr doppelter Versroman nicht, aber ziemlich anstrengend oder anspruchsvoll oder auch herrlich inspirierend. Denn Carsons Sprache hat großen Witz, steckt voller Überraschungen und Zumutungen und erzählt eine zärtliche und tragische Liebesgeschichte zweier Homosexueller.
Carson überträgt Stesichoros’ liebevolle Beschreibungen des Geryon auf einen kleinen, seltsamen heutigen Jungen, der sich als rotes Monster empfindet, von seiner Mutter verwöhnt und von seinem großen Bruder gequält und sexuell benutzt wird.
Im Alter von fünf Jahren beginnt der Junge mit dem Schreiben seiner Autobiografie. Und hält darin alle "inneren Dinge fest, insbesondere seinen Heldenmut". Er lernt einen Jungen namens Herakles kennen, wird Fotograf, reist nach Buenos Aires. Diese Handlungsebene ist die zweite Ebene des Textes, die erste sind die Erkenntnisse über die Zeit und die Vernunft, die Liebe, das Entdecken, die Fotografie, den lapidaren Alltag.

Zwischen Gegenwart, Kampf und Liebe

Fünf Jahre nachdem "Rot" in den USA erschienen ist, nimmt Anne Carson das Thema und die Mitspieler wieder auf, diesmal als Langgedicht in kurzen Zeilen und in deutlich heutigerer Sprache. Proust wird zum Mitspieler, wie triviale amerikanische Autoren – und eine "Frau von Hirn" bekommt das Wort. Sad, ein Kriegsveteran erklärt G. seine Leiden.
Anne Carsons literarischer Trick ist es, sich selbst zu unterlaufen, denn: "Anderer Leute Labyrinthe waren ermüdend wie sich herausstellte." G. flüchtet sich zum Mythos und beruhigt sich in Ios goldenen Augen. Und wir, die Leser?
Wir staunen und merken, wie die assoziative Eleganz, die Komik hybrider carsonscher Mischungen uns hin- und herwirft zwischen Gegenwart, Kampf, Krieg, Liebe und Sprache. "Liebe ist die Pein der Liebe wert", schreibt Carson, das kann man auf das Lesen von "Rot" eins zu eins übertragen.

Anne Carson: "Rot. Zwei Romane in Versen"
Aus dem amerikanischen Englisch von Anja Utler
Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019
318 Seiten, 24 Euro

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