Anne Frank in Thüringen

Von Blanka Weber |
Kastanienbäume stehen in dem kleinen Ort Weira mitten im Gewerbegebiet. Es sind Original-Ableger des Baumes vor dem Haus, in dem sich Anne Frank in Amsterdam versteckt hielt. Ein israelischer Unternehmer will so die Erinnerung an das Mädchen wachhalten und für Toleranz werben.
"Ich bin nach Deutschland gekommen vor 30 Jahren. Ich fühle mich in Deutschland sehr wohl. Ich finde, dass Deutschland nach dem Krieg entwickelt sich wie eine super-Nation."

Sein Weg führte Gad Ramon von Israel zunächst nach Baden-Württemberg. Seit 20 Jahren ist er auch im Osten Deutschlands aktiv. Er kam als Unternehmer nach Thüringen:

"Und von Stuttgart nach Weira, nach der Wende war ein sehr normaler Weg. Das war auch einer von den Gründen, in Weira war alles einfacher, besonders in so einem Gewerbe wie Recycling und Produktion, nicht die größte ästhetische Angelegenheit."

Gad Ramon recycelt in seinem Werk Plastikabfälle. Was dann entsteht, sind Rasengitter und Transportpaletten für den Handel. Die bunten großen Abfall-Quader kommen in große Maschinen und werden schließlich zu neuen Produkten geformt. Eine Marktlücke, sagt Gad Ramon, der international arbeitet. Seine Herkunft und Religion spielen dabei keine Rolle, glaubt er:

"Ich präsentiere mich nie als ein Jude, muss ich ganz ehrlich sagen. Jeder weiß, ich komme aus Israel. Die Leute akzeptieren meine Internationalisierung."

Jemand, der überall klar kommt. Aber auch jemand, der ungewöhnliche Ideen mitbringt - wie eine Anne-Frank-Ausstellung mitten auf seinem Werksgelände zu initiieren.

"Anne Frank ist ein Symbol, und dadurch kann man auch die Leute zum Zuhören bewegen. Wenn ich nur über Toleranz sprechen würde, würde keiner zuhören. Durch das Symbol ist es einfacher, die Leute zum Zuhören zu bringen."

Auch Jugendliche. Manchmal kommen - während der Schulzeit - fünf Klassen an einem Tag. Ein Erfolg, sagt auch Marina Chernivsky, ein Gast aus Berlin:

"Die Jugendlichen führen durch die Ausstellung und sind sehr kompetent und können sich sehr, sehr gut hineinversetzen in die Fragen der anderen Jugendlichen und dadurch entsteht eine Kommunikation und eine Lernbereitschaft auf Augenhöhe. Was ich so gesehen habe, dass sie erstmal sehr zögerlich sind, dass sie nicht sofort sich öffnen können für den Inhalt. Aber dann sind sie eher bereit, diese Geschichte in die eigene Geschichte zu integrieren."

Nur so kann Geschichte funktionieren, sagen Gäste der Ausstellung. Wer Verantwortung übernehmen soll, braucht Antworten:

"Geschichte funktioniert ja so, dass die Jungen irgendwann das Zepter von den Alten in die Hand kriegen. Das ist in dem Moment ganz sicher, dass die Botschaft hier auch weitergetragen wird."

Die Botschaft heißt: Toleranz, sagt Gad Ramon, der Unternehmer in Weira.

"Das ist ein Symbol ohne Aggression. Ich versuche, die Vergangenheit nicht zu vergessen, aber ich spreche nicht über die Vergangenheit. Ich spreche über die Zukunft."

Und die wünscht er sich friedlich und international. Wenn es gelänge, etwas mehr aufeinander zuzugehen, dann wäre viel erreicht. Auf seinem Gelände wachsen seit wenigen Wochen kleine Kastanienbäume. Es sind Original-Ableger des Baumes, der einst vor Anne Franks Versteck in Amsterdam stand. Den Baum gibt es nicht mehr – wohl aber viele kleinen Botschafter davon, sagt Helga Fassbinder, Professorin aus Amsterdam, die diese Bäume züchtete:

"Und diese kleinen Nachkömmlinge des Anne-Frank-Baums, die können die selbe Funktion haben und können wie Botschafter um die Welt reisen, und wenn sie entsprechend zeremoniell gepflanzt werden, und als solche Symbole auch kultiviert werden, dann können sie das an ganz vielen Stellen weiter tragen, und das war uns sehr wichtig."

Helga Fassbinder ist es zu verdanken, dass die kleinen Ableger nun international gepflanzt werden. Auch in Weira. Dort wünscht sich Gad Ramon noch mehr Begegnung zwischen Ost und West, zwischen jüdischen und nicht jüdischen Menschen:

"Ich bin noch nie eingeladen worden zu etwas Persönlichem. Ich glaube, das hat `was mit Kulturunterschieden zu tun. Bei uns in Israel als Arbeitgeber bist du 20 Mal im Jahr zu Hochzeiten, Bar-Mizwa eingeladen."

Vielleicht sind die neu gepflanzten Anne-Frank-Kastanien auf dem Firmengelände der Cabka GmbH in Weira irgendwann ein großes, grünes, einladendes Blätterdach, ein Ort, der nachdenklich macht – aber auch ein Symbol für Zukunft, für eine neue Generation mit Verantwortung.
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