"Der zerbrochene Krug" von Heinrich von Kleist
Regie: Anne Lenk
Deutsches Theater Berlin
Anne Lenks "Zerbrochener Krug" am DT Berlin
Konventionell, aber extrem elegant. So lautet das Fazit unseres Kritikers André Mumot. © Arno Declair
Ein Fest der Charakterkomik
06:50 Minuten

Erfolgsregisseurin Anne Lenk inszeniert am Deutschen Theater Berlin Heinrich von Kleists „Der zerbrochene Krug“. Dabei findet sie in dem alten MeToo-Stück eine erstaunlich sprudelnde Boulevardkomödie.
Dieser Abend hat eine Farbe, und sie passt nicht nur zum niederländischen Milieu der Geschichte. Abstufungen von Orange und hellem Rot tragen die Darstellerinnen und Darsteller. Sie scheinen damit fast hinauszuwachsen aus der riesigen Vergrößerung des barocken Prunkstilllebens von Jan Davidsz. de Heem, das die Bühne völlig ausfüllt.
Darstellung von üppiger Fleischlichkeit: Schinken, Austern, Trauben und ein Papagei im Hintergrund. Und vorn: Ein Ensemble, das Kostümbildnerin Sibylle Wallum in kuriose, farblich abgestimmte 70er-Jahre-Outfits eingepackt hat, um den Sündenfall vom „Zerbrochenen Krug“ aufzuführen.
Der Krug wird als Raubkunst markiert
Anne Lenk, die in den vergangenen Jahren gleich zweimal mit Klassikerinszenierungen zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, wendet ihre Inszenierungskunst der klug humoristischen Verdichtung diesmal auf Heinrich von Kleist an. Sie findet in dem alten MeToo-Stück eine erstaunlich sprudelnde Boulevardkomödie.
Die Ernsthaftigkeit des Themas ist dabei durchaus beibehalten und passagenweise auch besonders betont worden: Der Krug, um den sich alles dreht, wird als Raubkunst markiert; gespielt wird die Urfassung des Textes, bei der die sexuell belästigte Eve (Lisa Hrdina) am Ende ausführlich den Machtmissbrauch durch den Richter schildern darf. Was aber herausragt bei dieser Premiere am Deutschen Theater Berlin, ist das Fest der penibel aufgeführten Charakterkomik.
Süffige 90 Minuten
Natürlich ist es der Abend von Ulrich Matthes als Dorfrichter Adam. Angeschlagen und dreckig fläzt er sich auf der Bühne herum und gibt dem abstoßenden Triebtäter doch eine bemerkenswerte Intelligenz und Würde. Die Nuancen seiner Darstellung wie seine Reaktionen auf das Ensemble führen abgründig funkelnd, beißend, auffahrend und lauernd durch den Großteil dieser süffigen 90 Minuten. Sie werden perfekt ergänzt durch die fröhliche, unfassbar komische Unbedarftheit, die Jeremy Mockridge seinem Schreiber Licht verleiht.
Auch Franziska Machens, die bereits im Mittelpunkt von Anne Lenks Berliner „Menschenfeind“ und ihrer „Maria Stuart“ stand, liefert eine geradezu erstaunliche Verwandlung ab: Als auftoupierte Hausfrau mit Tupperdose und Alkoholproblem ist sie rührend und bestürzend amüsant zugleich, mischt vorder- und hintergründige Komik zu einem verblüffend überzeugenden Porträt.
Konventionell, aber extrem elegant
Man kann sie konventionell und genügsam finden, diese ganz auf die Feinheiten der Darstellung konzentrierte Inszenierung, aber sich ihrer ungeheuren schauspielerischen Finesse, ihrer durchdachten Eleganz und Intelligenz zu entziehen, dürfte schwerfallen. Das Publikum, zu dem am Premierenabend auch die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel gehörte, hat sich dem orangeroten Sündenfall jedenfalls mit großem Begeisterungsapplaus hingegeben.