"Die Feuilletons werden immer verletzender"
Schlechter Musikunterricht, immer weniger Klassik-Liebhaber: Die Geigerin Anne-Sophie Mutter macht sich Sorgen um die Musikszene. Besonders bedauert sie, dass kaum noch ein Kulturjournalist in der Lage sei, dem Leser die "Begeisterung für das Werk" nahezubringen.
Anne-Sophie Mutter beginnt in dieser Woche mit einem Konzert mit Max Bruchs 1. Violinkonzert, Rachmaninoffs "Sinfonischen Tänzen" und den Schlussszenen von Strawinskis "Feuervogel". Es folgen über den Winter verteilt noch mehrere Termine:
"Es sind endlos viele Konzerte. Und ich glaube, es ist ein wunderbarer Querschnitt durch das Solo- aber auch durch das Kammermusikrepertoire."
Niemand gibt gerne zu, dass man hinter den Kulissen eine Offensive in Sachen Marketing im Sinn gehabt haben könnte. Auch nicht Anne-Sophie Mutter.
"Ich habe nie daran geglaubt, dass Alter oder Geschlecht oder sonst irgendwas in der Kunst eine Rolle spielen. Ich spreche von den letzten hundert Jahren. Wollen wir nicht von den Zeiten sprechen, als Frauen noch nicht an den Universitäten zugelassen waren. Das haben wir ja, Gott sei Dank, hinter uns."
Als Anne Sophie Mutter vor Jahren zum ersten Mal in der Carnegie Hall auftrat, hatten Orchester noch nicht solch massive Probleme im Kampf ums zahlende und spendende Publikum.
Die Gründe für die Rezession auf diesem Gebiet sind vielfältig. Dass die Kunst in den Vereinigten Staaten nicht aus Steuermitteln subventioniert wird, ist nur ein Faktor. Weshalb sich die Geigerin inzwischen auch um die deutsche Musikszene Sorgen macht.
Noch eine Generation - und niemand kann mehr Noten lesen
"Wenn wir uns die musikalische Erziehung in den Grundschulen anschauen, dann rudern wir genau in die gleiche Richtung. Und ich denke, es bedarf noch einer Generation, und es kann dann gar keiner mehr Noten lesen."
Und noch etwas kommt hinzu, sagt Anne-Sophie Mutter.
"Musik ist einfach so ein exotisches Gewächs geworden, existiert nicht mehr in den Print-Medien. Die Feuilletons werden immer kleiner, uninformativer, persönlicher, verletztender. Sind auch nicht in den wenigsten Momenten in der Lage, die Begeisterung für die Musik, das Werk selbst dem Leser nahe zu bringen. Sondern da geht’s um soviel persönliche Geschmäcklerei, ja, dass es einfach keine Berichterstattung mehr ist, sondern den Leser uninformiert lässt."
Umso schwieriger wird es für die nachwachsende Generation von Musikern. Die sollen – und müssen – auf der einen Seite versuchen, ihrer Kunst treu zu bleiben,
"auf der anderen Seite sich aber auch den neuen Medien und auch einem Publikum zu stellen, das doch mehr wissen will als nur die Taktzahlen eines Werkes", wie die Violinistin meint.
Und nicht nur Musiker müssen sich darauf einstellen. Auch Kultureinrichtungen wie die New Yorker Carnegie Hall. Allein in das Abtragen alter Schulden fließen jedes Jahr knapp 10 Millionen Dollar.