Annekathrin Kohout: „Nerds“

Ein Abgesang

06:24 Minuten
Buchcover zu "Nerds"
© C.H. Beck

Annekathrin Kohout

Nerds. Eine PopkulturgeschichteC.H. Beck, München 2022

272 Seiten

16,95 Euro

Von Vera Linß · 18.02.2022
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Der Begriff des Nerds ist Teil des Alltags. Sein Negativimage hat er längst verloren. Bald aber könnte die Figur des Nerds komplett verschwunden sein, sagt die Kulturwissenschaftlerin Annekathrin Kohout.
Ein Nerd genannt zu werden, ist nichts Ehrenrühriges mehr. Authentisch sein, für ein ganz spezielles Thema brennen, der eigenen Überzeugung folgen – dafür steht das Attribut „nerdig“ heute. Jeder könnte schlicht ein Nerd sein!
Wie aber hat der einst abwertende Begriff diesen Imagewandel geschafft? Mit Hilfe der Digitalisierung, sagt die Kulturhistorikerin Annekathrin Kohout. Das Silicon Valley habe das Bild vom Nerd ins Positive gewendet und es fest in der Popkultur verankert.

„Sozialfigur“ in Zeiten des strukturellen Wandels

Zur großen Überraschung! Denn bis dahin war die gesellschaftliche Position des Nerds in den USA eine komplett andere. Annekathrin Kohout nennt ihn eine „Sozialfigur“, ein Werkzeug, mit dem in Zeiten des strukturellen Wandels Fragen des Zusammenlebens verhandelt werden. Und das sich gleichzeitig perfekt zur kulturellen Abgrenzung eignet.
Deshalb diente die Figur des Nerds seit den 1950er-Jahren auch zur Propagierung von Anti-Intellektualismus und dem Ideal einer starken Männlichkeit – vermittelt durch Kunst und Medien.

Opulenter Streifzug durch Film- und Fernsehgeschichte

Wie solche Prozesse abliefen, zeigt die Kulturwissenschaftlerin sehr anschaulich in einem opulenten Streifzug durch die amerikanische Film- und Fernsehgeschichte. Da wird der (technikinteressierte) Nerd als sozial inkompetenter Außenseiter dargestellt. Oder als Schwächling mit übergroßer Brille und komischen Zähnen wie auch asexuell, verkopft und unzugänglich.
Angesichts solcher „Mängelwesen“ erschienen die Gegenspieler der Nerds besonders attraktiv: allesamt Mainstream-Typen wie der coole Rebell oder der Sportler, die mit Bildung nicht viel am Hut haben.
Doch wie kann es sein, dass die Underdogs ab den1980er-Jahren in eine komplett neue Rolle schlüpfen konnten? Annekathrin Kohout erklärt das damit, dass die Figur des Nerds so breit anschlussfähig ist, dass sie – was Kohout selbst überrascht – erstmals auch als Weltverbesserer taugt.

Siegeszug des Silicon-Valley-Nerds

Durch das Aufeinandertreffen von Hippies, Nerds, Idealisten und Geschäftemachern an der kalifornischen Küste sei es gelungen, den Personal Computer als ein Instrument der Befreiung und Emanzipation zu begreifen. Und dies über die Medien zu propagieren – Voraussetzung für den Siegeszug des Silicon-Valley-Nerds.
Welche Mythen dabei aufgebaut wurden, ist hinlänglich bekannt. Hier kann Annekathrin Kohout wenig Neues hinzufügen. Spannend ist aber ihre Analyse, die zeigt, dass von nun an die Nerd-Figur in ihrer sozialen Funktion an ihre Grenzen stößt.

Gesellschaftliche Akzeptanz schwindet

Zum einen, weil ihre gesellschaftliche Akzeptanz schwindet, nachdem klar wird, dass der Silicon-Valley-Nerd weiß und männlich bleibt und damit dem kulturellen Wandel hinterherhinkt.
Aber auch, weil viele Eigenschaften von Nerds längst Teil des Mainstreams sind – vereinnahmt etwa durch die Modeindustrie, wo Nerdiges als Distinktion verwendet werde. Das mache die Verwendung des Begriffs immer willkürlicher und bedeutungsloser.
Wie gut deshalb, dass Annekathrin Kohout dem Nerd kurz vor seinem möglichen Ableben als Sozialfigur gerade noch rechtzeitig dieses lesenswerte Denkmal gesetzt hat.

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