Anrüchiges Thema
Peter von Matt widmet sich in seinem 500-seitigen Buch der Intrige voller Passion. Das Werk zeichnet sich durch eine souveräne Beherrschung des Stoffs aus und besitzt eine Sprache, die mühelos Enthusiasmus mit Reflexion verbindet.
Was haben der talentierte Mr. Ripley, Macbeth und Medea miteinander gemeinsam? Und was Frederick Forsyths Schakal genannter Spion, Balzacs Verbrecher Vautrin und Homers Held Odysseus? Sie alle sind Meister der Verstellung, der Täuschung und der Lüge, und sie paradieren in einem opulenten, 500-seitigen Buch mit dem schlichten Titel "Die Intrige. Theorie und Praxis der Hinterlist".
Das Thema ist so anrüchig wie spannend, und Peter von Matt widmet sich ihm voller Passion. Ein großer Atem weht durch sein Buch. Es zeigt eine stupende Belesenheit, zeichnet sich durch eine souveräne Beherrschung des Stoffs aus und besitzt eine Sprache, die mühelos Enthusiasmus mit Reflexion verbindet.
Die Intrige, definiert als "geplante, zielgerichte und folgerichtig durchgeführte Verstellung zum Schaden eines anderen und zum eigenen Vorteil", sieht Peter von Matt überall in der Literatur. Seine Untersuchung geht zweigleisig vor. Zunächst stellt er, immer anhand von einzelnen Texten, die Bestandteile der Intrige zusammen: Notsituation, Zielphantasien, Plan, Durchführung und Anagnórisis, der Augenblick der Wahrheit. Das Intrigensubjekt kann sich in Anstifter und Lenker sowie Helfer aufspalten, es gibt zuweilen ungeplante Opfer wie Jagos Gattin Emilia in Shakespeares "Othello", und die Intrige kann, wie oft bei Schiller, durch eine Gegenintrige verdoppelt werden. Eine klare Unterscheidung, so von Matt, zwischen rettender und vernichtender Intrige sei nicht möglich: Mit Lüge und Verstellung könne das Gute wie das Böse verfolgt werden.
Die Intrige zeigt also die Freiheit des Menschen: Frei ist er zum Entschluss, sich zu verstellen, frei in der Wahl der Mittel, frei auch in der moralischen Reflexion auf das eigene Handeln, mit dem geltende Normen umgangen oder verletzte wieder in Kraft gesetzt werden sollen. Die Intrige setzt Sittlichkeit und Moral, Recht und Unrecht in Szene. Sie ist, so von Matt, "verkörperlichte Moralphilosophie".
Zu der Morphologie der Intrige tritt - zweitens - ihre historische Betrachtung. Denn die Intrige, mit der der heimkehrende Held Odysseus die Freier an seinem Hof und um seine Frau Penelope loswerden will, unterscheidet sich von jener, die Balzacs "Cousine Bette" übt. Dem antiken Reisenden hilft die Göttin Athene beim Fassen des Plans und seiner Ausführung: Sie lässt ihn vorzeitig altern, damit er unerkannt bleibt. Cousine Bette dagegen ist ganz auf sich gestellt, um das Glück der Familie Hulot zu zerrütten. In der Antike ist die Hilfe der Götter nötig, das eigentliche Intrigensubjekt aber tritt erst in der Neuzeit auf: Es ist der autonome Mensch. Jago oder Macchiavellis "Fürst" nehmen das Schicksal anstelle von Gott selbst in die Hand.
Das christliche Abendland verurteilt diese Selbstermächtigung selbstverständlich als teuflisch. "Schicksal soll sein, was ich will", sagt der Teufel in Dantes "Göttlicher Komödie". Er ist der Ahnherr des modernen Menschen, dessen Aufstieg sich parallel zu dem der Wissenschaften ereignet. Bevor die Tiergeschichten in der Romantik zur Kinderliteratur verharmlost werden, symbolisierte der listige Fuchs den Teufel. Beiden widmet Peter von Matt längere Kapitel, bevor er sich der Frauenintrige zuwendet, wusste doch schon Euripides’ Iphigenie: "Gilt’s Listen zu ersinnen, sind die Frauen geschickt."
Das letzte Kapitel über die moderne Intrige mit Balzacs "Cousine Bette", Strindbergs "Der Vater" und Thomas Bernhards "Vor dem Ruhestand" fällt vergleichsweise knapp aus. Der emeritierte Schweizer Literaturprofessor, Jahrgang 1937, glaubt, dass wegen des Überdrusses an den fabrikmäßig hergestellten Boulevardstücken und Operetten des 19. Jahrhunderts die Intrige in der Moderne nur in der so genannten Trivialliteratur überlebt, in Kriminal- und Spionageromanen. Aber könnte es nicht auch der nagende Zweifel der Moderne an der Autonomie und Gestaltungskraft des Subjekts sein, der die Intrige seit geraumer Zeit unzeitgemäß wirken lässt?
Peter von Matt betreibt die Wiederentdeckung der Intrige. Einmal schreibt er, "dass die Spontaneität im ästhetischen Urteil stets ein Produkt vergessener geschichtlicher Prozesse ist." Solche generalisierenden Sätze sind selten. Dieser eine, der dem spontanen Urteil im Handumdrehen seinen einzigen Vorzug nimmt, die vermeintliche Voraussetzungslosigkeit, charakterisiert ganz nebenbei das Programm dieses wunderbaren Buches: Die (Wieder-) Aneignung vergessener Traditionen dient der Selbstaufklärung des Menschen. Selten geschieht das so mühelos wie in diesem Buch.
Peter von Matt:
Die Intrige. Theorie und Praxis der Hinterlist
Carl Hanser Verlag, München/Wien 2006.
500 S., 25,90 Euro.
Das Thema ist so anrüchig wie spannend, und Peter von Matt widmet sich ihm voller Passion. Ein großer Atem weht durch sein Buch. Es zeigt eine stupende Belesenheit, zeichnet sich durch eine souveräne Beherrschung des Stoffs aus und besitzt eine Sprache, die mühelos Enthusiasmus mit Reflexion verbindet.
Die Intrige, definiert als "geplante, zielgerichte und folgerichtig durchgeführte Verstellung zum Schaden eines anderen und zum eigenen Vorteil", sieht Peter von Matt überall in der Literatur. Seine Untersuchung geht zweigleisig vor. Zunächst stellt er, immer anhand von einzelnen Texten, die Bestandteile der Intrige zusammen: Notsituation, Zielphantasien, Plan, Durchführung und Anagnórisis, der Augenblick der Wahrheit. Das Intrigensubjekt kann sich in Anstifter und Lenker sowie Helfer aufspalten, es gibt zuweilen ungeplante Opfer wie Jagos Gattin Emilia in Shakespeares "Othello", und die Intrige kann, wie oft bei Schiller, durch eine Gegenintrige verdoppelt werden. Eine klare Unterscheidung, so von Matt, zwischen rettender und vernichtender Intrige sei nicht möglich: Mit Lüge und Verstellung könne das Gute wie das Böse verfolgt werden.
Die Intrige zeigt also die Freiheit des Menschen: Frei ist er zum Entschluss, sich zu verstellen, frei in der Wahl der Mittel, frei auch in der moralischen Reflexion auf das eigene Handeln, mit dem geltende Normen umgangen oder verletzte wieder in Kraft gesetzt werden sollen. Die Intrige setzt Sittlichkeit und Moral, Recht und Unrecht in Szene. Sie ist, so von Matt, "verkörperlichte Moralphilosophie".
Zu der Morphologie der Intrige tritt - zweitens - ihre historische Betrachtung. Denn die Intrige, mit der der heimkehrende Held Odysseus die Freier an seinem Hof und um seine Frau Penelope loswerden will, unterscheidet sich von jener, die Balzacs "Cousine Bette" übt. Dem antiken Reisenden hilft die Göttin Athene beim Fassen des Plans und seiner Ausführung: Sie lässt ihn vorzeitig altern, damit er unerkannt bleibt. Cousine Bette dagegen ist ganz auf sich gestellt, um das Glück der Familie Hulot zu zerrütten. In der Antike ist die Hilfe der Götter nötig, das eigentliche Intrigensubjekt aber tritt erst in der Neuzeit auf: Es ist der autonome Mensch. Jago oder Macchiavellis "Fürst" nehmen das Schicksal anstelle von Gott selbst in die Hand.
Das christliche Abendland verurteilt diese Selbstermächtigung selbstverständlich als teuflisch. "Schicksal soll sein, was ich will", sagt der Teufel in Dantes "Göttlicher Komödie". Er ist der Ahnherr des modernen Menschen, dessen Aufstieg sich parallel zu dem der Wissenschaften ereignet. Bevor die Tiergeschichten in der Romantik zur Kinderliteratur verharmlost werden, symbolisierte der listige Fuchs den Teufel. Beiden widmet Peter von Matt längere Kapitel, bevor er sich der Frauenintrige zuwendet, wusste doch schon Euripides’ Iphigenie: "Gilt’s Listen zu ersinnen, sind die Frauen geschickt."
Das letzte Kapitel über die moderne Intrige mit Balzacs "Cousine Bette", Strindbergs "Der Vater" und Thomas Bernhards "Vor dem Ruhestand" fällt vergleichsweise knapp aus. Der emeritierte Schweizer Literaturprofessor, Jahrgang 1937, glaubt, dass wegen des Überdrusses an den fabrikmäßig hergestellten Boulevardstücken und Operetten des 19. Jahrhunderts die Intrige in der Moderne nur in der so genannten Trivialliteratur überlebt, in Kriminal- und Spionageromanen. Aber könnte es nicht auch der nagende Zweifel der Moderne an der Autonomie und Gestaltungskraft des Subjekts sein, der die Intrige seit geraumer Zeit unzeitgemäß wirken lässt?
Peter von Matt betreibt die Wiederentdeckung der Intrige. Einmal schreibt er, "dass die Spontaneität im ästhetischen Urteil stets ein Produkt vergessener geschichtlicher Prozesse ist." Solche generalisierenden Sätze sind selten. Dieser eine, der dem spontanen Urteil im Handumdrehen seinen einzigen Vorzug nimmt, die vermeintliche Voraussetzungslosigkeit, charakterisiert ganz nebenbei das Programm dieses wunderbaren Buches: Die (Wieder-) Aneignung vergessener Traditionen dient der Selbstaufklärung des Menschen. Selten geschieht das so mühelos wie in diesem Buch.
Peter von Matt:
Die Intrige. Theorie und Praxis der Hinterlist
Carl Hanser Verlag, München/Wien 2006.
500 S., 25,90 Euro.