Ahmad Milad Karimi, Dr. phil., geboren 1979 in Kabul, Studium der Philosophie, Mathematik und Islamwissenschaft in Darmstadt, Freiburg und Neu Delhi. Seit 2016 Professor für Kalām, islamische Philosophie und Mystik an der Universität Münster. Gerade ist im Verlag Herder sein Buch "Warum es Gott nicht gibt und er doch ist" erschienen.
Was brennt, wenn Moscheen brennen?
Moscheen seien keine politischen Symbole, sondern Orte der Begegnung und Kathedralen der Hoffnung, meint Ahmad Milad Karimi. Wer Brandanschläge auf Moscheen verübt, zerstöre mehr als nur deren materielle Substanz.
Orte brennen nicht – ein Brand geschieht an ihnen. Orte sind Zeugen. Wenn heute eine Moschee in Brand gesetzt wird, können wir vor Ort den Brand riechen, sehen, wie sich über alle Dinge die schwarze Farbe der Unkenntlichkeit gelegt hat. Koranausgaben und andere Bücher liegen am Boden, unlesbar, unberührbar.
Wenn in den letzten zwei Monaten mehr als 26 Moscheen Opfer von Brandanschlägen geworden sind, wenn in den letzten fünf Jahren mehr als 500 Anschläge gegen muslimische Gebetshäuser verübt wurden, so dürfen wir fragen, von was die verkohlt zurückgebliebenen Orte Zeugnis ablegen? Was brennt, wenn Moscheen brennen?
Moscheen sind keine politischen Symbole
Diejenigen, die in Moscheen vor allem ein Symbol sehen - sei es für eine Religion, die sie pauschal ablehnen, sei es für eine bestimmte Politik, die sie kritisieren -, verkennen die Sache. Wie jedes andere Gebetshaus auch ist eine Moschee mehr als ein Symbol. Sie ist nicht eine Flagge, die "den Islam" oder "die türkische Regierung" repräsentieren würde. Als Ort gelebter Religiosität stehen Moscheen nicht für politische Programme, die man ablehnen kann, sondern für sich selbst.
Genau wie Kirchen und Synagogen gehören Moscheen zu den Orten, die die Menschen einer Gesellschaft in besonderer Weise repräsentieren und die darum besonders verwundbar sind. Eine Moschee ist wesentlich ein Ort, an dem der Mensch er selbst sein darf, an dem er nach Frieden sucht und Frieden findet.
Religion – eine verbindende Grunderfahrung
Moscheen sind Orte der Begegnung, Kathedralen der Hoffnung. Es ist kein Zufall, dass unsere Verfassung die freie Ausübung der Religion garantiert, wenn ihre Praxis nicht der demokratischen Ordnung widerspricht. Unsere demokratische und säkulare Gesellschaft muss ein Interesse an den Quellen haben, auf denen das Selbstverständnis und die Überzeugungen ihrer Mitglieder beruhen. Zum Zusammenhalt einer Gesellschaft gehört neben der Kunst und der Kultur auch die Religion. Es sind gemeinsame Bilder, gemeinsame Erfahrungen der Spiritualität und Einkehr in die Innerlichkeit, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Religion und Religiosität gehören nach wie vor elementar zum modernen Menschen, ohne dass die Verfassung irgendeine Religion bevorzugen würde.
Muslime versuchen seit einiger Zeit den Missstand ihrer Bedrohtheit kommunikabel zu machen. Ihre Moscheen werden verunglimpft, beschmiert, bedroht und in Brand gesetzt. Ist es aber die Aufgabe der Muslime als einer Minderheit sich selbst zu verteidigen? War es die Aufgabe der Juden in Deutschland, ihre Synagogen vor Brand zu schützen? Mitnichten! Denn die Verantwortung für die Synagogen ist genau wie diejenige für die Kirchen immer schon eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit.
Die spirituelle Heimat von Muslimen
Die Moschee stellt die spirituelle Heimat der Muslime dar. Dass ausgerechnet inmitten so vieler Brandstiftungen der Heimatminister empfindet, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, ist beachtlich, unabhängig davon, dass die Aussage und deren Gegenteil gleichermaßen leer bleiben. Muslime von ihrer Religion zu abstrahieren, ist nichts als reine Wortakrobatik.
Gerade in Deutschland hat jede Moschee eine eigene Geschichte, eine eigene Ästhetik, eine eigene Zerbrechlichkeit, die zugleich die Geschichte der Menschen erzählt, die Teil dieser Gesellschaft sind. Was brennt, wenn die Moscheen brennen? Das Feuer nimmt nicht die Orte, sondern den Geist der Orte weg. Was bleibt, sind Menschen vor Ruinen, die womöglich sie selbst repräsentieren.