Anschläge trotz Überwachung

"Es liegt oft an menschlichen Unzulänglichkeiten"

Bewaffnete Polizisten gehen in Manchester nach dem Terroranschlag durch die Stadt.
Die Sicherheitsbehörden hatten den Attentäter von Manchester unter Beobachtung. Sein Selbstmordattentat konnten sie dennoch nicht verhindern. © dpa-Bildfunk / AP / Rui Vieira
Bruno Lezzi im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 29.05.2017
Ob das Lkw-Attentat in Berlin oder der Selbstmordanschlag in Manchester: Immer waren die Täter unter Beobachtung - und doch konnte das ihre Verbrechen nicht verhindern. Es mangele an personellen Ressourcen, Lageanalysen und einer guten Zusammenarbeit, sagt der Sicherheitsexperte Bruno Lezzi.
Liane von Billerbeck: Es ist fast immer der gleiche Ablauf: Wenn ein Anschlag verübt wurde, dann sagen die Sicherheitsbehörden, ja, ja, den kennen wir, den hatten wir auf dem Radar, auch schon vor dem Anschlag. So war das auch in Manchester am vorigen Montag, besser gesagt: danach, bei dem 22 Menschen starben und 100 verletzt wurden, und man fragt sich natürlich, wie ist das, wie viel Überwachung braucht man, um so einen Anschlag zu verhindern? Diese Frage wollen wir stellen eine Woche nach diesem Attentat, und sie geht, die Frage, an den einst … an den Historiker, Journalisten und Generalstabsoffizier a.D. Bruno Lezzi, der jetzt Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaft der Uni Zürich ist, und er ist zudem ehemaliger Mitarbeiter des schweizerischen Nachrichtendienstes. Schönen guten Morgen, Herr Lezzi!
Bruno Lezzi: Guten Tag, Frau von Billerbeck!
Billerbeck: Nach den bislang letzten terroristischen Anschlägen hieß es auch diesmal wieder, die Person war den Behörden bekannt. Was sagt uns das? Überwachung hilft nicht oder sie ist nicht effizient?
Lezzi: Man kann das nicht so allgemein formulieren. Wenn man jetzt zurückschaut oder die Lage jetzt beurteilt, dann sieht man ja doch, dass Verhaftungen im raschen Rhythmus erfolgen, dass man eigentlich die Leute kennt, aber es braucht unglaublich viel an Einsatz, an Personal, um überhaupt eine Bewachung vorzunehmen, um jeden Gefährder oder jeden potentiellen Attentäter wirklich im Visier zu halten. Dort liegt es nicht. Also man kann hier eigentlich immer nur mit begrenzten Mitteln und personellem Aufwand arbeiten.
Billerbeck: Aber könnte man …
Lezzi: Und das führt dann leider zu diesen schweren, blutigen Anschlägen mit vielen Toten und viel Leid.
Billerbeck: Haben wir vielleicht eine naive Vorstellung, was Geheimdienste und die Überwachung überhaupt leisten kann?

"Es haben sich Missgriffe ergeben"

Lezzi: Ja, das ist schwierig zu sagen. Die Geheimdienste, die Polizeiapparate entziehen sich natürlich der öffentlichen Einblicknahme. Das ist immer so, das ist auch heute der Fall. Sie können viel leisten, gerade wenn die Zusammenarbeit klappt zwischen den Nachrichtendiensten und den polizeilichen Organen, den Strafverfolgungsbehörden, und da haben sich natürlich in der letzten Zeit, haben sich immer wieder Missgriffe ergeben. Nehmen Sie nur den Fall Berlin: Da sind halt menschliche Unzulänglichkeiten, wie sie mal Graham Greene in seinem berühmten Roman, der "Human Factor", der ebenfalls im Geheimdienst spielt, geschildert hat. Da liegen meistens die Probleme, dass es bei den personellen Ressourcen, bei der menschlichen Arbeit, bei der Lageanalyse, bei der Zusammenarbeit nicht klappt.
Billerbeck: Der menschliche Faktor ist das eine. Liegt es aber, Herr Lezzi, vielleicht auch daran, dass man so prinzipiell Daten über alle und jeden sammelt, statt genauer darüber nachzudenken, wer ist denn eigentlich in unserem Blick, können wir den nicht genauer beobachten und überwachen, um eben immer nicht erst hinterher zu sehen, ja, den hatten wir schon auf dem Radar, aber leider immer erst dann, wenn so ein Anschlag verübt worden ist?
Lezzi: Ja, wir haben ja das Problem diskutiert in der Schweiz beim neuen Nachrichtendienstgesetz. Also man überwacht nicht alle und jeden, sondern man fokussiert sich schon auf einen gewissen Personenkreis. Wenn man auch den neuesten Bericht des schweizerischen Nachrichtendienstes betrachtet, das sind dann nicht Tausende, sondern das konzentriert sich auf einen Personenkreis von einer Größenordnung von ein-, zweihundert Leuten, und letztlich wirkliche Gefährder sind dann, wenn man den nachrichtendienstlichen Meldungen glauben darf, sind das etwa 80 bis 90 Personen, die wirklich dann als Gefahr eingestuft werden.
Aber eben, es beginnt eben schon früher, also nicht nur die Polizeiarbeit, sondern man muss früher beginnen, und darum arbeiten wir gerade hier in der Schweiz auf lokaler und regionaler Ebene. Dort setzen wir das Schwergewicht fast in gesellschafts- und sozialpolitischer Art und Weise, dass hier die Kontrolle über mögliche Fehlentwicklungen schon frühzeitig greifen kann.

"Im Wildwuchs kann man nicht beobachten"

Billerbeck: Aber wir müssen noch mal auf die Neuen Medien gucken, nämlich zum Beispiel Facebook und den Begriff Gefährder. Wenn ein Verdächtiger, ein einziger, bei Facebook 150 Freunde hat, dann werden diese 150 Freunde mit unter die Lupe genommen, und die 150 Freunde dieser 150 Freunde auch wieder. Das sind dann schon 22.500. Kommen deren Freunde hinzu, sind wir bei 3.375.000 Menschen, deren Mails, Telefonate und Chats registriert werden. Das kann man nicht überwachen, und das bringt auch vermutlich nix.
Lezzi: Nein, das wird man auch nicht so machen. Das können Sie nicht. Das ist ja ganz gigantisch. Sie können so technisch, aber wie bereits gesagt, aber bezüglich Analyse, das Ganze dann zu bewerten, das ist praktisch unmöglich, und ich glaube, Sie haben jetzt auch etwas übertrieben. Ich glaube, man nimmt dann … nicht das ganze Feld zieht man in Betracht. Also, ich habe das intensiv ja verfolgt und diskutiert auch bezüglich des schweizerischen Nachrichtengesetzes. Da hat es … derart viele Kontrollmöglichkeiten sind eingebaut, Aufsichtsbehörden, also man kann nicht in diesem Wildwuchs dann einfach beobachten und untersuchen.
Billerbeck: Der Schweizer Blick war das von Bruno Lezzi, Historiker, Journalist, Generalstabsoffizier a.D. und einstiger Mitarbeiter des schweizerischen Nachrichtendienstes. Ich danke Ihnen, Herr Lezzi!
Lezzi: Danke vielmals, Frau von Billerbeck!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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