Anschlagsserie in Berlin-Neukölln

Rechtsextremismus in Großstädten

Teilnehmer der Kundgebung "Neukölln gegen Nazis" im Februar 2018. Sie wollen Solidarität mit den Betroffenen der Anschläge und Gewalttaten von Rechtsextremen zeigen, die sich im Bezirk Neukölln häufen.
Demonstranten zeigen Solidarität mit den Betroffenen der Anschläge und Gewalttaten von Rechtsextremen, die sich im Bezirk Berlin-Neukölln häufen. © imago stock&people
Von Christoph Schäfer |
Ausgerechnet in Berlin-Neukölln, das für seine Studierenden-Szene und migrantische Bevölkerung bekannt ist, existiert rechter Terror. Sind es also längst nicht nur ländliche Regionen, in denen sich "rechte Räume" bilden?
"Bei uns ist das Schlafzimmer direkt hier drüber, wo das Auto stand. Nur weil es eine ganz kalte Nacht war, hatten wir nicht das Fenster auf, wo der Rauch hätte reinziehen können."
Claudia von Gélieu steht vor ihrem Haus, auf ihrem Autostellplatz in Berlin-Neukölln, im Ortsteil Rudow. Hier ist früh morgens am 9. Februar 2017 ihr Auto abgebrannt.
"Ja, und wegen meiner schwachen Blase war ich eben genau nach kurz nach zwei oder kurz vor zwei auf Toilette und hab dann eben den Feuerschein gesehen, dass das Auto brennt. Das heißt, wir haben es auch noch relativ früh entdeckt. Aber die Rauchentwicklung war schon so extrem. Wir haben uns gar nicht aus der Tür getraut."
Claudia und ihr Mann Christian von Gélieu haben sofort die Feuerwehr benachrichtigt. Aber die Front ihres roten Autos war schon ausgebrannt. Das Ehepaar vermutet hinter dem Brandanschlag Mitglieder aus der rechtsextremen Szene. Die Ermittlungen der Polizei sind bisher ergebnislos.

"Ganz klar auch Gefährdung von Menschenleben"

Für das Ehepaar Gélieu steht aber fest: sie sind Opfer von rechtem Terror. Und sie sind nicht die Einzigen. Laut der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin ereigneten sich in den vergangenen zwei Jahren 51 rechtsextreme Anschläge gegen Menschen in Neukölln.
"Es geht darum, dass die Menschen, die aktiv sind gegen Rechts, dass die das einstellen sollen, dass denen Angst eingejagt werden soll. Und bei mehr dieser Brandanschläge, und so war das bei uns auch, ist es nur mit ganz großem Glück nicht auf die Häuser übergegriffen. Und wir hätten auch den Rauch einatmen können, der extrem war. Also, es ist ganz klar auch Gefährdung von Menschenleben."
Mitglieder einer Kundgebung vor dem Neuköllner Rathaus im Februar 2018, zu der verschiedenste Parteien, Bündnisse und Einzelpersonen aufriefen. Sie wollten damit Solidarität mit den Betroffenen der Anschläge und Gewalttaten von Rechtsextremen zeigen, die sich im Bezirk Neukölln häufen.
"Stoppt den Hass" hat eine Demonstrantin der Kundgebung in Neukölln-Berlin auf ihr Plakat geschrieben.© imago stock&people
Die Gélieus betreiben eine antifaschistische Galerie mit und engagieren sich gegen Rechts. Damit ihr Auto nicht nochmal angezündet wird, haben sie sich eine Garage gebaut.
Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus registriert Angriffe wie den auf das Ehepaar von Gélieu. Es handelt sich um Brandanschläge auf Autos und Häuser, Steinwürfe auf Fenster und Drohungen, die an Wohnhäuser gesprayt sind – vor allem in Neukölln.

Ist Neukölln ein "rechter Raum"?

Kürzlich hat das Bündnis Neukölln, unter anderem bestehend aus Gewerkschaften, Kirchen und Parteien, einen Nachtspaziergang durch den Norden des Stadtteils organisiert, um ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen. Ist Neukölln ein rechter Raum?
"Rechte Räume bezeichnen wir als Versuch, durch Kneipen, durch Geschäfte, durch Läden diese rechte Infrastruktur aufzubauen, zu halten, um sie für sich als Basis zu nutzen, für eine weitere Ausbreitung von Ideologie und ihren politischen Organisationen", sagt Matthias Müller von der mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin. "Aber das gelingt ihnen nicht. Das ist ein Wunschdenken." Zumindest nicht in den vergangen 15 Jahren in Berlin, ist sich Müller sicher.

Versuche von Rechten, in die Großstadt zu drängen

Das liege am Widerstand, den Rechtsextreme im urbanen Raum erfahren, meint Tobias Bernet. Er ist Sozialwissenschaftler aus Leipzig und forscht zu politischen Unterschieden zwischen Stadt und Land: "In Großstädten leben nun mal sehr unterschiedliche Menschen zusammen: mit unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Ethnien, unterschiedlichen sexuellen Orientierungen, was ja eigentlich in dem Weltbild so nicht sein dürfte. Und gar nicht funktionieren dürfte. Und im Großen und Ganzen funktioniert es aber gar nicht schlecht."
Bevorzugen Rechte Kräfte deshalb das ländliche Gebiet? "Ja und Nein", sagt Matthias Müller von der Mobilen Beratung. Viele Menschen ziehen in die Städte. Das mache es für Rechtsextreme einfacher, sich im ländlichen Raum auszubreiten.
"Das entspricht ja auch dieser völkischen Ideologie, die Verteidigung der eigenen Scholle und diese Romantik, dieses Leben in der Natur, das entspricht ja eher so diesen völkischen Vorstellungen."
Doch es gebe auch immer wieder Versuche von Rechten, in die Großstadt zu drängen.
"Das beste Beispiel ist ja die Stadt Dortmund, wo es ja eine richtige Strategie gab, in der rechtsextremen Szene in der Bundesrepublik, bewusst dahin zu ziehen, da in den Kiez zu ziehen, und da zu versuchen, so eine nationale Hegemonie umzusetzen."

"Wir glauben, dass es eher eine Handvoll Personen ist"

Allerdings hätten rechtsextreme Gruppen keine Antworten auf aktuelle gesellschaftliche Fragen. Das mache sie in der Stadt zu einem schwachen Akteur. Hinter den Angriffen in Neukölln vermutet die Mobile Beratung wenige Täter: "Wir glauben, dass es eher eine Handvoll Personen ist, denen wir das zutrauen in Neukölln. Der Personenkreis von aktionsorientierten Rechtsextremen ist überschaubar."
Diese wohnen sehr wahrscheinlich selbst im Süden Neuköllns und sind seit Längerem aktiv, da sie ein lokales Täterwissen hätten – zum Beispiel, wer welches Auto besitzt.
Eine vermutlich kleine Tätergruppe, die umso vehementer vorgeht. Laut Tobias Bernet kann das Taktik sein: "In so einem doch linksassoziierten Viertel solche Anschläge zu begehen, das kann mehr Aufmerksamkeit auslösen, kann vielleicht auch mehr Schrecken verbreiten, was ja das Ziel ist von solchen Handlungen, als wenn jetzt irgendwo auf dem Flachen Land in Sachsen, wo man weiß, dass es da ein Nazi-Problem gibt, irgendwie ein Hakenkreuz hingeschmiert wird."
Christian und Claudia von Gélieu während eines Gangs durch ihr Viertel.
Engagiert gegen Rechtsextremismus: Christian und Claudia von Gélieu. © Christoph Schäfer
Zurück in Rudow. Claudia und Christian von Gélieu gehen durch die Straßen ihrer Nachbarschaft. Sie halten Ausschau nach rechten Graffitis und Aufklebern.
"Man muss schon suchen, oder?"
"Man muss schon suchen. Also natürlich, wo irgendwelche Wände sind oder so - das ist beispielsweise am U-Bahnhof Rudow. Da werden weitaus mehr Parolen hinterlassen. Also vor Kurzem stand da fett: Deutschland erwache."
"Und es war tagelang da!"
"Es war tagelang da und das ist nun mal öffentlich zugänglicher Bereich, der eigentlich von den Verkehrsbetrieben verwaltet wird. Aber das zeigt auch, dass gegen Nazi-Parolen im öffentlichen Raum selbst die öffentliche Hand eigentlich nicht vorgeht. Weil angeblich das Ordnungsamt keine Zeit hat. Man erweckt ja auch immer den Eindruck, für die Rechten, dass ihr Vorgehen eigentlich toleriert wird."
Absichtlich würden rechte Symbole nicht geduldet, da ist sich Christian von Gélieu sicher. Aber er und seine Frau wünschen sich, dass sie schneller entfernt werden. Aus künstlerischer Sicht bringen die Sticker das Ehepaar aber auf neue Ideen: Sie überlegen, ob sie eine Ausstellung mitorganisieren – über die rechten Aufkleber von Rudow.
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