"Ansichten Christi"

Von Abdul-Ahmad Rashid |
"Wir möchten Jesus sehen" - diesen Wunsch formulierte Johannes bereits in seinem Evangelium im Neuen Testament. Über Jahrhunderte hinweg haben sich Menschen Gedanken darüber gemacht, wie Jesus aussah. Da dies aber schwer zu beantworten ist, fragt nun eine Ausstellung im Kölner Wallraf-Richartz-Museum: Wie haben die Menschen seit der Antike Jesus dargestellt?
Ein junger Mann leidet. Seine Augen sind geschlossen, der Mund ist halb geöffnet. Aus seinem nur notdürftig mit einem weißen Tuch bedeckten Körper klafft eine große Wunde. Um ihn herum stehen weinende Engel, die ihn mit den Händen stützen sowie eine bis auf das Gesicht verhüllte Frau, die für ihn betet. Von Schmerzen und Erschöpfung gekennzeichnet, wird der junge Mann bald sterben. Dieses um 1640 mit dem Titel "Beweinung Christi" entstandene Bild des flämischen Malers Pieter van Mol ist eines von vielen Exponaten, die in der Kölner Ausstellung "Ansichten Christi" zu sehen sind. Diese schlägt einen Bogen über zweitausend Jahre Kunstgeschichte, wie der Untertitel "Das Christusbild von der Antike bis zum 20. Jahrhundert" verrät. Exemplarisch soll somit die Geschichte der Jesusdarstellung veranschaulicht werden. Ausstellungsleiter Roland Krischel:

"Christus ist das größte Thema der abendländischen Kunstgeschichte. Man kann es unmöglich erschöpfend oder auch nur neutral behandeln. Die Ausstellung zeigt subjektive Blicke auf Christus. Sie zeigt die Perspektive unterschiedlicher Kunstlandschaften, Epochen und künstlerischer Temperamente auf Christus. Sie zeigt Extremansichten Christi, zum Beispiel der gekreuzigte Christus von hinten, der tote Christus von den Füssen her, verkürzt gesehen, und sie zeigt auch … Christus Antlitze, das Angesicht Christi, so dass der Betrachter auch mit Christus von Angesicht zu Angesicht in der Ausstellung dialogisieren kann."

Darüber, wie Jesus aussah, ist wenig bekannt. Das Neue Testament gibt kaum Auskunft hierzu. Daher war es für Künstler zu allen Zeiten reizvoll, die Person Jesu sichtbar werden zu lassen. Doch wie sie es taten, war immer auch von dem jeweiligen Zeitgeist abhängig, so Peter Nagel, Mitarbeiter des Wallraf-Richartz-Museums:

"Im Mittelalter ist das Christusbild geprägt von einem starken Verkündigungsauftrag des Bildes, von dem Auftrag, den Betrachter zu Christus hinzuführen, also ihn … zum Mitleiden … aufzufordern. In der Renaissance kommt dann ganz eindeutig der künstlerische Aspekt in den Vordergrund, das heißt, es geht nicht mehr darum nur, Christus als Heiland darzustellen, sondern auch die künstlerische Form der Darstellung. Der Künstler selbst tritt in das Bild mit ein. Und im späten 19. und dann im 20. Jahrhundert löst sich dann natürlich das Christus-Bild des Künstlers von dem Christus-Bild der Kirche, und wir haben ja einige schöne Beispiele, wo das Christus-Bild des Künstlers dargestellt wird, etwa bei Picasso, bei Korinth oder bei Beckmann, dass dann überhaupt nicht mehr dem Christus-Bild der Kirche entspricht."

Zusammengetragen haben die Verantwortlichen rund 90 Ausstellungsstücke aus verschiedenen Museen der Welt. Aufgeboten werden Werke von berühmten Künstlern wie beispielsweise El Greco, Rubens oder Veronese. Um den Besuchern jedoch nicht einfach nur neunzig verschiedene Darstellungen Christi zu bieten, haben die Aussteller die Werke von Michelangelo bis Joseph Beuys auf sieben Räume verteilt, denen sieben Themen zugeordnet sind. Diese tragen Titel wie "Der Auferstandene", "Passion und Emotion" oder "Bilder vom Nicht-Darstellbaren":

"Also, darf man … Christus darstellen oder nicht. Eine Frage, die die frühen Christen beschäftigt hat, zu einer Zeit, als … sie sich noch nicht von dem jüdischen Bilderverbot getrennt hatten, und eine Frage, die auch die Moderne wieder beschäftigt, wo sozusagen die Frage nach dem Transzendenten, wie kann man das Transzendente bildhaft fassen, eine ganz große Rolle spielt."

Ganz bewusst ist auch auf eine chronologische Anordnung der Exponate verzichtet worden. Stattdessen werden Kunstwerke aus verschiedenen Epochen in einem Raum zusammen ausgestellt, um für die Besucher neue und spannende Bezüge zu schaffen:

"Ein ganz fantastisches Beispiel sind drei Werke, die pars pro toto Christus darstellen, indem sie nämlich die Hand Christi darstellen. Ein Warhol, der die Hand aus dem Abendmahl von Leonardo darstellt, Rodin, der die Hand Gottes, la main de dieu, als Symbol für die Schöpferkraft darstellt, und Cutuso, der die Hand des Gekreuzigten aus dem Isernheimer Altar von Grünewald zitiert. Alle drei sozusagen zeigen ihr Christusbild in Form einer Hand."

Weil die Ausstellung anlässlich des zwanzigsten katholischen Weltjugendtages stattfindet, tritt der Vatikan als Partner auf, der auch die Idee zu der beeindruckenden Schau hatte. Aus seinen Sammlungen stammen wichtige Leihgaben wie die Grabplatten des dritten und vierten Jahrhunderts mit Darstellungen des Guten Hirten sowie Gemälde diverser italienischer Künstler. Und sichtbar hat der Heilige Stuhl bei der Werkauswahl auch seine Verbindungen spielen lassen: Anders ist es nicht zu erklären, dass das Walraff-Richartz-Museum eine solch große Anzahl hochklassiger Gemälde, seltener und kostbarer Grabplatten, Mosaiken und Sarkophagframente zu Gast hat, die geschickt mit hauseigenen sowie Beständen anderer Kölner Museen verknüpft werden konnten.