Anthologie mit verschiedenen Stimmlagen
Mit "Lyrik der DDR" erscheint nach "100 Gedichte aus der DDR" die zweite DDR-Lyrik-Anthologie innerhalb eines Jahres. Angesichts des größeren Umfangs hätte ein durchaus vorhandener Wissenshunger gestillt werden können. Doch die Anthologie lässt Wünsche offen.
Mit "Lyrik der DDR" erscheint nach "100 Gedichte aus der DDR" die zweite DDR-Lyrik-Anthologie innerhalb eines Jahres. Ein Grund für die intensive Betrachtung der lyrischen Produktion in der DDR dürften die beiden Jahrestage sein: 1949, vor 60 Jahren, wurde die DDR gegründet und vor 20 Jahren, 1989, leitete die Maueröffnung ihr Ende ein.
Der Band "Lyrik der DDR" beginnt vier Jahre vor der Gründung der DDR und endet zehn Jahre nach dem Mauerfall. Diese zeitlichen Zäsuren machen deutlich, dass die Herausgeber bei der Auswahl der Gedichte einen durchaus weiten Begriff von DDR-Literatur zugrunde gelegt haben, der so – wie sie es im Nachwort betonen – fast fragwürdig erscheint.
Sie beschränken sich nicht auf die Lyrik, die in vier Jahrzehnten in der DDR erschienen ist, sondern sie nehmen auch Gedichte von Autoren auf, die, wie zum Beispiel Günter Kunert, Sarah Kirsch, Reiner Kunze und Uwe Kolbe, nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann (1976) die DDR verließen und ihre Texte fortan in der Bundesrepublik veröffentlichten. Berücksichtigt werden aber auch Lyriker, die sich wie Lutz Seiler erst nach dem Untergang der DDR einen Namen gemacht haben.
Insgesamt wurden für die Anthologie rund 500 Gedichte von 180 Autoren ausgewählt. Das ist eine stattliche Anzahl. Dennoch ist zugunsten der Masse manches Ungleichgewicht auffällig, wenn etwa von Thomas Brasch und Richard Leising ebenso viele Gedichte (jeweils zwei) in dem Band erscheinen, wie von Margarete Neumann und Gisela Kraft. Mit 14 Gedichten ist Günter Kunert am häufigsten vertreten, es folgen Adolf Endler (12), Volker Braun (11), Bertolt Brecht, Johannes Bobrowski und Wulf Kirsten (9), Erich Arendt, Wolf Biermann, Heinz Czechowski und Peter Huchel (8) und jeweils sieben Gedichte wurden von Kurt Drawert, Durs Grünbein, Sarah Kirsch, Reiner Kunze, Karl Mickel, Heiner Müller und Bert Papenfuß aufgenommen. Der 1890 geborene Erich Weinert ist der älteste Autor, der sich in dem Band findet, Johanna Lüdde, geboren 1979, ist die jüngste Autorin – von ihr wurde das Gedicht "Schöpfung" ausgewählt.
Allein diese Namen, die nicht nur verschiedenen Generationen angehören, sondern in deren Herkunft und in deren künstlerischer Entwicklung sich auch unterschiedliche Hoffnungen auf die DDR spiegeln, machen deutlich, welche verschiedenen Stimmlagen diese Anthologie präsentiert. Das zeichnet sie aus. Sie ist umfassend und sie will als Chronik gelesen werden, denn die ausgewählten Gedichte sind chronologisch den Jahren von 1945 bis 1999 zugeordnet, wobei für die Auswahl "nicht das Entstehungsjahr, sondern das Erscheinungsdatum der Texte", entscheidend war, wie es im Nachwort heißt.
Somit wird der entscheidende Aspekt auf den historischen Prozess gelegt. Das überzeugt für die Nachkriegsjahre und die Aufbauphase, wird aber später nicht konsequent durchgehalten. Sträflich vernachlässigt wurden für die 80er-Jahre die Lyriker des Prenzlauer Berg und für das zäsursetzende Jahr 1989 findet sich kein ultimatives Grenzfallgedicht. Auch bei der zeitlichen Zuordnung – die gerade bei dieser Gliederung verlässlich sein sollte –, haben sich einige Fehler eingeschlichen. So findet sich Volker Brauns "Das Eigentum", entstanden im Juli 1990, erstmals im August 1990 vor dem Beitritt der DDR zur BRD veröffentlicht, in der Anthologie erst unter jenen Gedichten, die für das Jahr 1993 stehen.
Unnötig wird der Gebrauch der Anthologie dadurch erschwert, dass die Herausgeber auf ein Inhaltsverzeichnis verzichten und nur über das Namenregister oder das Quellenverzeichnis zu erfahren ist, welche Autoren mit welchen Gedichten vertreten sind. Nach den appetitmachenden "100 Gedichten aus der DDR" hätte angesichts des größeren Umfangs mit "Lyrik der DDR2 ein durchaus vorhandener Wissenshunger gestillt werden können. Doch da lässt die Anthologie Wünsche offen. Vielleicht sollte man für die Zukunft, wenn es um die weitere Aufbereitungen der DDR-Lyrik geht, auch diejenigen einladen daran mitzutun, die entweder an der in diesem Land entstandenen Literatur mitgeschrieben haben, oder aber aus einer Innensicht über nicht ganz unwichtige Kenntnisse auf diesem Gebiet verfügen. Ein Nachteil wäre es gewiss nicht.
Besprochen von Michael Opitz
Heinz Ludwig Arnold/Hermann Korte (Hrsg.): Lyrik der DDR
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009
448 Seiten, 24,95 Euro
Der Band "Lyrik der DDR" beginnt vier Jahre vor der Gründung der DDR und endet zehn Jahre nach dem Mauerfall. Diese zeitlichen Zäsuren machen deutlich, dass die Herausgeber bei der Auswahl der Gedichte einen durchaus weiten Begriff von DDR-Literatur zugrunde gelegt haben, der so – wie sie es im Nachwort betonen – fast fragwürdig erscheint.
Sie beschränken sich nicht auf die Lyrik, die in vier Jahrzehnten in der DDR erschienen ist, sondern sie nehmen auch Gedichte von Autoren auf, die, wie zum Beispiel Günter Kunert, Sarah Kirsch, Reiner Kunze und Uwe Kolbe, nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann (1976) die DDR verließen und ihre Texte fortan in der Bundesrepublik veröffentlichten. Berücksichtigt werden aber auch Lyriker, die sich wie Lutz Seiler erst nach dem Untergang der DDR einen Namen gemacht haben.
Insgesamt wurden für die Anthologie rund 500 Gedichte von 180 Autoren ausgewählt. Das ist eine stattliche Anzahl. Dennoch ist zugunsten der Masse manches Ungleichgewicht auffällig, wenn etwa von Thomas Brasch und Richard Leising ebenso viele Gedichte (jeweils zwei) in dem Band erscheinen, wie von Margarete Neumann und Gisela Kraft. Mit 14 Gedichten ist Günter Kunert am häufigsten vertreten, es folgen Adolf Endler (12), Volker Braun (11), Bertolt Brecht, Johannes Bobrowski und Wulf Kirsten (9), Erich Arendt, Wolf Biermann, Heinz Czechowski und Peter Huchel (8) und jeweils sieben Gedichte wurden von Kurt Drawert, Durs Grünbein, Sarah Kirsch, Reiner Kunze, Karl Mickel, Heiner Müller und Bert Papenfuß aufgenommen. Der 1890 geborene Erich Weinert ist der älteste Autor, der sich in dem Band findet, Johanna Lüdde, geboren 1979, ist die jüngste Autorin – von ihr wurde das Gedicht "Schöpfung" ausgewählt.
Allein diese Namen, die nicht nur verschiedenen Generationen angehören, sondern in deren Herkunft und in deren künstlerischer Entwicklung sich auch unterschiedliche Hoffnungen auf die DDR spiegeln, machen deutlich, welche verschiedenen Stimmlagen diese Anthologie präsentiert. Das zeichnet sie aus. Sie ist umfassend und sie will als Chronik gelesen werden, denn die ausgewählten Gedichte sind chronologisch den Jahren von 1945 bis 1999 zugeordnet, wobei für die Auswahl "nicht das Entstehungsjahr, sondern das Erscheinungsdatum der Texte", entscheidend war, wie es im Nachwort heißt.
Somit wird der entscheidende Aspekt auf den historischen Prozess gelegt. Das überzeugt für die Nachkriegsjahre und die Aufbauphase, wird aber später nicht konsequent durchgehalten. Sträflich vernachlässigt wurden für die 80er-Jahre die Lyriker des Prenzlauer Berg und für das zäsursetzende Jahr 1989 findet sich kein ultimatives Grenzfallgedicht. Auch bei der zeitlichen Zuordnung – die gerade bei dieser Gliederung verlässlich sein sollte –, haben sich einige Fehler eingeschlichen. So findet sich Volker Brauns "Das Eigentum", entstanden im Juli 1990, erstmals im August 1990 vor dem Beitritt der DDR zur BRD veröffentlicht, in der Anthologie erst unter jenen Gedichten, die für das Jahr 1993 stehen.
Unnötig wird der Gebrauch der Anthologie dadurch erschwert, dass die Herausgeber auf ein Inhaltsverzeichnis verzichten und nur über das Namenregister oder das Quellenverzeichnis zu erfahren ist, welche Autoren mit welchen Gedichten vertreten sind. Nach den appetitmachenden "100 Gedichten aus der DDR" hätte angesichts des größeren Umfangs mit "Lyrik der DDR2 ein durchaus vorhandener Wissenshunger gestillt werden können. Doch da lässt die Anthologie Wünsche offen. Vielleicht sollte man für die Zukunft, wenn es um die weitere Aufbereitungen der DDR-Lyrik geht, auch diejenigen einladen daran mitzutun, die entweder an der in diesem Land entstandenen Literatur mitgeschrieben haben, oder aber aus einer Innensicht über nicht ganz unwichtige Kenntnisse auf diesem Gebiet verfügen. Ein Nachteil wäre es gewiss nicht.
Besprochen von Michael Opitz
Heinz Ludwig Arnold/Hermann Korte (Hrsg.): Lyrik der DDR
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009
448 Seiten, 24,95 Euro