Jörg Steinleitner, Manuel Andrack, Lamya Kaddor, Georg M. Oswald u.v.a.: "Wir haben die Wahl. Warum wir gerade jetzt für unsere Freiheit einstehen sollten", Piper Verlag, München 2017, 192 Seiten, 12 Euro
Stimmen für die Demokratie
Warum sollen wir gerade jetzt für unsere Freiheit einstehen? Dieser Frage gehen Autoren wie Manuel Andrack oder Hape Kerkeling in der Anthologie "Wir haben die Wahl" nach. In Wutreden, Reportagen oder Erzählungen erheben sie ihre Stimme gegen Ignoranz und Populismus.
Von Erich Kästner ist der Ausspruch überliefert, sein Zeitgenosse und Schriftstellerkollege Kurt Tucholsky sei ein "kleiner dicker Berliner" gewesen, der versucht habe, "mit der Schreibmaschine die Katastrophe aufzuhalten".
Beide, Kästner wie Tucholsky, aber auch viele andere Publizisten des 20. Jahrhunderts haben sich diese Frage stellen müssen: Was können Intellektuelle tun, um Diktatoren und Populisten etwas entgegenzusetzen? Manche von ihnen, darunter Tucholsky, sind an der Vergeblichkeit ihres Tuns verzweifelt. Andere, wie Kästner oder Brecht, schrieben weiter, auch wenn es aussichtslos schien.
Allen gemein ist, dass sie die Hoffnung hatten, dass die dunklen Zeiten vergehen würden – und dass wir uns heute nicht immer noch dieselben Fragen stellen müssen: 30 Prozent aller Deutschen, das zeigt eine Bertelsmann-Umfrage in dieser Woche, haben Sympathie für die großen Vereinfacherer und Hassprediger in der Politik. Wer vor zwei Jahren prophezeit hätte, welchen politischen Einfluss sie bekommen würden, wäre für verrückt erklärt worden.
Kleine Taten verändern mehr als große Worte
Der Piper-Verlag hat eine Anthologie zusammengestellt, die das Unmögliche versucht, diejenigen mit Argumenten zu erreichen, die die Populisten wählen - auch wenn sie das Buch höchstwahrscheinlich nicht lesen werden.
Die Autoren, allesamt bei Piper unter Vertrag, haben die Aufgabe, einen Text unter die Überschrift "Wir haben die Wahl" zu setzen, sehr unterschiedlich gelöst: Der Journalist und Reporter Andreas Altmann liefert eine Wutrede ab, die sich gegen Islamisten wie Rechts- und Linkspopulisten gleichermaßen richtet. Er plädiert für die kleinen Taten im Alltag, die die Welt verändern, mehr als jedes große Wort.
Manuel Andrack, der Wanderer unter den Sachbuchautoren, nähert sich den Flüchtlingsströmen zu Fuß, geht mit ihnen ein Stück über die Grenze bei Passau, zieht den Hut vor ihrer Wander- und Einwanderer-Leistung. Er weiß aus Erfahrung: den Wanderer, der ein Ziel hat, kann niemand aufhalten.
Humoristische Annährung an das Thema Populismus
Ein knappes Drittel der Texte ist von Comedians und Kabarettisten geschrieben, der Anwalt und Fernsehautor Karsten Dusse vergleicht die Wahl von Populisten mit dem Techtelmechtel in der Liebe: Man benutzt es, um dem Partner eins auszuwischen, dann aber wird man den Seitensprung nicht wieder los – diese Art humoristischer Annäherungen ans Thema, die Autoren wie Hape Kerkeling oder Bruno Jonas ähnlich variieren, lockern die Lektüre auf, auch wenn sie nicht immer der Wahrheitsfindung dienen.
Ernsthafter kommen da die Beiträge der Journalisten daher, wie der des Korrespondenten Kai Strittmatter, der die Strategie der Populisten, so lange geistigen Bullshit in den Diskurs zu leiten, bis der denkende Bürger den Glauben an Wahrheit und Wirklichkeit verliert, in China und der Türkei zur Genüge kennengelernt hat. Fassungslos stellt Strittmatter fest, dass dies in den westlichen Demokratien ebenso gut zu funktionieren scheint.
Wir haben die Wahl
Die Erzähler unter den Autoren erfüllen den Auftrag, indem sie Fiktionen schaffen: Sie zeigen die Innensicht eines Asylbewerbers, dessen Heim angegriffen wird, ebenso wie den moralische Konflikt eines Grenzschützers, in dessen Macht es liegt, einen Flüchtling passieren zu lassen, oder eben nicht: Er hat die Wahl. Und das ist es, was jeder dieser Texte zeigen will.
Wir alle haben in fast Lebenslagen die Wahl: zu reden oder zu schweigen, zu handeln oder untätig zu bleiben, mit anderen zu leben oder allein zu bleiben. Deshalb ist dieses Buch, so vergeblich es scheinen mag, bitter nötig.