Elias Canetti: "Das Buch gegen den Tod"
Mit einem Nachwort von Peter von Matt
Aus dem Nachlass herausgegeben von Sven Hanuschek, Peter von Matt und Christian Wachinger
Hanser, München, 2014
352 Seiten, 24,90 Euro
Ein listiger Kämpfer
Über Jahrzehnte hinweg hat sich der Nobelpreisträger Elias Canetti mit dem Phänomen Tod beschäftigt. Das "Buch gegen den Tod" ist die Quintessenz seiner lebenslangen Auseinandersetzung: Das Werk ist ein Ereignis.
Das "Buch gegen den Tod" hat Elias Canetti nie geschrieben. Aber er hat immer darauf hin gearbeitet. Er war besessen vom Tod, den er hasste, den er ächten wollte, gegen den er anrannte, um ihn unmöglich zu machen. Der Tod war sein Lebensthema. Dass das Buch, das er über und gegen ihn schreiben wollte, unterblieb, gehört zur Strategie des listigen Kämpfers. Wenn er damit begonnen hätte, wäre das schon der Anfang vom Ende gewesen. Wer aber das Ende aufschieben möchte, fängt besser gar nicht erst an.
Und doch gibt es "Das Buch gegen den Tod", das jetzt, mit einem fulminanten Nachwort von Peter von Matt, aus dem Nachlass des Literaturnobelpreisträgers erschienen ist. Es versammelt alle relevanten Äußerungen Canettis über und gegen den Tod zwischen 1942 und 1994, gut die Hälfte davon aus bisher unveröffentlichten Aufzeichnungen.
Der Mensch als tötendes Wesen
Entstanden ist nicht nur eine Kompilation von Materialien, Fundstücken, Aphorismen und Anekdoten, sondern tatsächlich ein eigenständiges, zentrales Werk, denn von hier aus, vom Tod, entwickelte Canetti all seine Gedanken über Masse und Macht, über die Liebe, über den Krieg, über Tiere und das Leben, Ewigkeit und Unsterblichkeit, Gott und die Religionen. Vom Tod ausgehend entstand seine Anthropologie - der Mensch als tötendes Wesen - ebenso wie seine entschiedene Moral: Du sollst nicht töten. Wer den Tod ablehnt, muss alles ablehnen, was ihn möglich macht, Mord und Totschlag und Kriege aller Art. In seiner erklärten Todfeindschaft ist Canetti radikaler Pazifist.
Der historische Bogen reicht vom Zweiten Weltkrieg über den Vietnam- und den Golfkrieg bis zum Bosnienkrieg und damit nahe an die Gegenwart heran. Als Exilant in London, der zusammen mit seiner Frau Veza dem Holocaust nur knapp entkommen war, konnte Canetti eine gewisse Genugtuung über die Bombenangriffe auf deutsche Städte nicht verbergen, und doch kämpfte er auch gegen dieses Gefühl an: Den Tod hat niemand verdient, auch nicht diese mörderischen Deutschen. Auschwitz ist der Horizont seiner Epoche und Herausforderung für den Überlebenden: "Habe ich genug gerechtfertigt, dass ich nur Zeuge, nicht Opfer war?" Aus diesem Imperativ heraus denkt er; der "unerschütterliche Hass" auf den Tod ist seine Rechtfertigung.
Gegnerschaft gegen den Tod
"Ich habe es so schwer, ich lebe gerne", schreibt er in unnachahmlicher Verknappung und mit der besonderen Gabe, Gegensätze in einem einzigen Gedanken zusammenzuführen. Hegels Dialektik (die den Tod nicht wirklich kennt) wird nebenbei ebenso verabschiedet wie Heideggers Hereinholen des Todes ins Leben als "Dasein zum Tode": Für Canetti sind das Verharmlosungen, die den Gegner nicht ernst genug nehmen. Dabei schreibt er im Grunde genommen 50 Jahre lang, monothematisch verbissen, immer wieder dasselbe.
Aber das macht nichts. Die Einsichten, die er produziert, funkeln und glänzen; die Wiederholung gehört prinzipiell dazu. Aus all dem Zerstreuten und Widersprüchlichen setzt er sich immer wieder neu zusammen als lebendiger Mensch, der das Wichtigste nicht verlieren darf: "sich zu wiederholen, sich zu atmen, ( ... ) sich zum Tod zu verjüngen und verjüngt zu verschwinden." Die Sätze, die Canetti produziert, sind von großer Schönheit. Seine Gegnerschaft gegen den Tod ist ein Erkenntnismittel. Sein ungeschrieben-geschriebenes Buch ist ein Ereignis.