Anti-Apartheid-Kämpfer

Nelson Mandela war Programm

Von Marko Martin |
Heute startet "Mandela - der lange Weg zur Freiheit" in den deutschen Kinos. Mit den Nachrufen auf den verstorbenen Freiheitskämpfer zeigt sich der Schriftsteller Marko Martin nicht zufrieden. Versöhnung sei für Mandela nur ein erster Schritt gewesen - er wollte mehr.
Er wollte versöhnen - keine Frage. Doch er war mehr als nur der alte schwarze, weise, integre Mann, der versöhnen wollte. So wurde Nelson Mandela im Hype um seinen Tod zwar eins ums andere Mal porträtiert, aber immer wieder verkannt.
Das Versöhnen galt ihm nicht als das Nonplusultra eines guten Gemeinwesens. Es war unverzichtbar, jedoch nur ein erster Schritt, um den Rassismus der Apartheid hinter sich zu lassen und eine Zivilgesellschaft voller Vielfalt zu entwickeln.
Eine Regenbogennation zu schaffen, ist für ihn keine Folklore, sie ist Programm. Und dieses hat sich er sich auf einem langen Weg zum Frieden durch Lebenserfahrung selbst erarbeitet, hat es in sich reifen lassen. Nach seinem Wahlsieg im Frühjahr 1994 erhielt Südafrika eine der modernsten Verfassungen der Welt.
Mit ihr wollte er gesellschaftliche Grenzen überwinden. Nicht homogen, nicht länger abgeschottet sollten Ethnien und Gruppen nebeneinander leben, sondern heterogen, miteinander die Zukunft gestalten, Verschiedenes und Gemeinsames hervorbringen. Was Nelson Mandela wirklich auszeichnet ist seine Empathie. Darum verehren ihn die Jungen. Das vermissen sie an schwarzen Eliten, die derzeit das Land und den Kontinent regieren.
Ein Beleg ist der Umgang mit den Homosexuellen. Während in den anderen afrikanischen Staaten die Hatz auf Schwule und Lesben zum tristen Alltag gehört, existiert am Kap das allgemein akzeptierte Recht auf gleichgeschlechtliches Heiraten. Es wurde jüngst von Mandelas altem Freund, Bischof Desmond Tutu mit den Worten verteidigt: Er wolle lieber zur Hölle fahren, als einen homophoben Gott anzubeten.
"Nicht ideologisch, nicht festgelegt, sondern flexibel im Denken und Handeln"
Eine solche Haltung will gleichermaßen "weißen" Calvinismus und "schwarzes" Traditionsdenken erweichen. Und sie trägt Früchte in der jungen Generation. Rührige Bürgerrechtler leisten in diesem Sinne didaktisch gewitzte Aufklärungsarbeit – selbst in unwirtlich-entlegenen Gebieten, fernab der Touristenzentren und der Städte. Sie kümmern sich um Vorsorge gegen HIV und Hepatitis, bieten außerschulische Bildung und setzen sich für Frauen und Minderheiten ein.
Und es ist eine schöne Pointe, dass sie sich dabei auf den landesweit bekannten Kabarettisten Pieter-Dirk Uys berufen, der Aberglauben und Engstirnigkeit ebenso provokant aufs Korn nimmt wie die autoritär-korrupte ANC-Entourage um Präsident Zuma, nicht anders als er es einst mit der weißen Kaste der Apartheidpolitiker tat. Er ist Sohn einer Berliner Jüdin. Mandelas engste weiße Freunde in der Zeit des Widerstandes waren ebenfalls jüdischer Herkunft, fast ausnahmslos auch Kommunisten.
Gerade weil sie so ganz anders waren, bewahrten sie ihn vor einer populistischen "afrikanistischen" Ideologie, die einen weißen nur durch einen schwarzen Rassismus oder eine weiße Diktatur nur durch eine schwarze ersetzt hätte. Und einmal sensibilisiert, war es für ihn auch nicht allzu schwer, orthodox marxistisches Gepäck abzuwerfen und stattdessen sich für eine Mischwirtschaft einzusetzen.
Wenn Südafrika trotz sozialer und gesellschaftlicher Konflikte nicht explodiert ist, liegt dies nicht zuletzt an Nelson Mandela. Sein langer Weg zum Frieden, sein vielfältiger Prozess des Lernens, entpuppt als sein bestes Erbe. Es ist nicht ideologisch, nicht festgelegt, sondern flexibel im Denken und Handeln. Der alte schwarze weise Mann wollte eben mehr als nur versöhnen.
Marko Martin
Marko Martin© privat
Marko Martin, Jahrgang 1970, lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Zuletzt erschien sein Erzählband "Die Nacht von San Salvador" (Die Andere Bibliothek).
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