Anti-Nazi-Computerspiel "Wolfenstein Youngblood"

Merkwürdige Inszenierung von Gewalt

11:31 Minuten
Szene aus dem Computerspiel:Kampfszene am Ausgang einer U-Bahnstation.
Wie beim Originalspiel "Wolfenstein" geht es auich in "Wolfenstein Youngblood" vordergründige darum, so viele Nazis wie möglich abzuknallen. © ZeniMax Germany
Von Sebastian Dörfler |
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„Wolfenstein“ war 1992 eins der ersten Ego-Shooter-Spiele, in dem reihenweise Nazis erschossen werden. Jetzt kommt die neue Version "Wolfenstein Youngblood" auf den deutschen Markt und unser Autor hat es gespielt.
"Wolfenstein", das ist die Computerspielreihe, in der sich alles darum dreht, Nazis abzuknallen. 1992 war das Spiel einer der ersten Ego-Shooter, wo man mit einer Knarre im Sichtfeld herumgelaufen ist und Nazis abgeschossen hat. Wegen der gezeigten Hakenkreuze war das Spiel in Deutschland schnell verboten. Denn anders als Filme, galten Computerspiele lange nicht als Kunst, deswegen war die Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole verboten.
Statt Hakenkreuzen gab es seitdem in den deutschen Versionen der "Wolfenstein"-Spiele runenartige Symbole, aus dem Führer Hitler wurde Kanzler Heiler – und jegliche Referenz auf den Holocaust wurde entfernt. Die Mutter des Spielehelden B.J. Blazkowicz war zum Beispiel keine polnische Jüdin mehr, die in Auschwitz ermordet wurde, sondern eine Polin in Kriegsgefangenschaft. Doch die Zeiten ändern sich: Die neue Version "Wolfenstein Youngblood" darf man nun zum ersten Mal auch hierzulande unzensiert kaufen und sich auf Nazijagd begeben – und zwar zusammen mit einem Freund oder einer Freundin.
"Wolfenstein Youngblood" ist ein sogenanntes "Koop-Spiel", in dem man in die Rolle von zwei Zwillingsschwestern schlüpft. Sebastian Dörfler hat es zusammen mit einem Freund gespielt und geht der Frage nach, wie so ein antifaschistisches Computerspiel aussieht.

Die Eltern kommen vom Krieg nicht los

Das aktuelle Spiel beginnt in den USA im Jahr 1980. Das Nazi-Regime, das im Vorgängerspiel noch über Amerika und die Welt herrschte, ist weitgehend zerschlagen – vor allem dank des Vaters B.J. Blazkowicz. Doch die Eltern kommen vom Krieg nicht los – und wollen auch die Kinder zu Kriegerinnen machen.

Szene aus dem Spiel:
Sophia: "Nein, ich kann nicht mehr, Mama!"
Mutter: "Dann stirbst Du! In diesem Moment haben sie Dich, wir sterben, weil wir es zulassen! Du kämpfst gegen einen großen indoktrinierten Germanen, der den Schmerz eine Sekunde länger aushält, und dann bist Du – Geschichte!"

Im Spiel ist in Europa das Regime noch an der Macht und hält Frankreich besetzt. Und Vater B.J. Blazkowicz, der schon in acht Spielen zuvor die Welt vor den Nazis rettete, kommt auch dieses Mal nicht zur Ruhe. Er lässt das Familienleben hinter sich und setzt sich ohne ein Wort zu sagen nach Frankreich ab. Die zwei Schwestern machen sich auf die Suche nach ihrem Vater – und heuern beim Pariser Widerstand an.
Szene aus dem Spiel:
Widerstandsdame: "Schon mal geschossen?"
Jess: "Absolut!"
Widerstand: "Habt ihr schon einmal Nazis getötet?"
Sophia: "Wir sind geboren, um Nazis zu töten!"
Szene aus dem Computerspiel: zwei Frauen schauen aus durch ein Gerüst.
Die Schwestern Zeppelin, die in Frankreich ihren Vater suchen.© ZeniMax Germany
Jess (flüstert): "Wir haben noch keine Nazis getötet!"
Sophia (flüstert): "Aber das muss sie ja nicht wissen!"
Widerstand: "Also schön, ich hätte da einen Auftrag für zwei ausgemachte Großwildjäger wie euch."
Und bei dieser Großwildjagd fließt das Pixelblut in Strömen. Hier erleben wir den ersten geplatzten Pixelkopf.

Eine popkulturelle Rachephantasie

Das Spiel ist eine strange Inszenierung von Gewalt, die uns noch beschäftigen wird. Wir spielen hier eine popkulturelle Rachephantasie – ähnlich wie wir sie in dem Film Inglourious Basterds sehen. Das Spiel ist ab 18 Jahren. Das Töten ist – wie in allen Ego-Shootern – eine Sache des Gameplays, der Mechanik, das rote Pixelblut auch ein Indikator dafür, wieviel Schaden ich anrichte oder einstecke.
Wir rüsten also unsere Waffen hoch, verteilen unsere gesammelten Erfahrungspunkte auf Fähigkeiten wie Nahkampf, schwere Geschütze oder Heilung – und tunen unsere Hightech Kampfanzüge, in denen wir aussehen wie in einem eng anliegenden Reptilienpanzer. So ziehen wir durch das besetzte Paris, schießen Nazis ab, Maschinencyborgs wie den "Dieselsoldaten", Hunde, die auf uns zu rennen und explodieren, Drohnen, die Raketen auf uns schießen – und sammeln dabei 80er-Jahre Utensilien ein.
Immer wieder bestaunen wir prunkvolle Nazi-Bauten mit Hitler-Büsten und Konferenztischen aus klinischem Stahl, Überwachungszimmer und Folterkammern.
Im Spiel gibt es nur Gut – wir Zwillingsschwestern – gegen böse Nazimänner. Nicht einmal Zivilisten sind in Paris zu sehen. Wir haben keine Entscheidungen mit Konsequenzen zu treffen, eine ganze Spielewelt, ja der ganze Pariser Widerstand wartet lediglich auf unser Feuer – also ballern wir weiter die Häuser, Straßen und Plätze leer.

Per Knopfdruck Probleme und Konflikte lösen

Ich habe mich oft gefragt, warum ich mich in meiner Jugend so lange durch solche Spiele geballert habe. Klaus Theweleits beschreibt in dem Buch "Männerphantasien" die Gefühlslage von Wehrmachtssoldaten beim Zusammenschießen ihrer Gegner. Er nennt dieses Gefühl "entleerter Platz" – und meint den Moment, in dem per Knopfdruck das ganze Gewusel aufhört, der Platz leergefegt ist und damit alle Probleme und Konflikte gelöst sind. Der Abzug wir für den, der ihn betätigt, der Umschalter zu einem heiteren Leben.
Virtuell kann ich das nachvollziehen. Ich habe früher alleine vor dem Rechner gesessen und geballert, um das Leben auszuschalten, um nicht fühlen zu müssen – und nicht sprechen zu müssen.
Sebastian: "Hallo Hallo Frank, kannst du mich hören?"
Frank: "Hallo... na?"
Sebastian: "Wie läufts?"
Frank: "Ja, ganz schön erschöpft irgendwie..."
Seb: Ich fühle mich etwas leer, ehrlich gesagt, ich habe nicht so richtig eine emotionale Bindung zu diesen zwei Nazihuntern aufgebaut, bisher..."

Gemeinsam Türen aufstemmen und Codes entschlüsseln

Das Ballern auf Pixel-Nazis alleine kann es noch nicht sein, was ein Spiel antifaschistisch macht. Dazu müssten Beziehungen kommen, Interaktionen im Spiel, durch die man emotional andere Erfahrungen machen kann als Supersoldatin. In "Wolfenstein Youngblood" können wir gemeinsamen Kisten und Türen aufstemmen, Codes entschlüsseln, durch Gesten wie den "Daumen hoch" können wir uns gegenseitig ein paar Gesundheitspunkte zuwerfen – und, natürlich, können und müssen wir im Gefecht aufeinander aufpassen.
Sebastian: "Shit... Jetzt wollte ich zwei mit meinem Beil umbringen, das war zu viel..."
Frank: "Warte doch auf mich, du stürmst so voran..."
Sebastian: "Ja, sorry"
Ansonsten hält sich die spielerische Verbundenheit der zwei Schwestern leider in Grenzen. Es gibt schöne Zwischensequenzen, in denen wir unseren Spielfiguren zuschauen, wie sie auf Überwachungskameras im Fahrstuhl herumalbern, sich gegenseitig erschrecken oder tanzen. Und es ist eine ungewohnte und nette Erfahrung, in diesem männlichen Ego-Shooter-Genre einmal anders angesprochen zu werden.
Aber irgendwann nutzt sich auch das ab, das Spiel belohnt einen nicht einmal mehr mit kurzen Filmen und spinnt die Story über Stunden gar nicht mehr weiter. So dass wir schon fast vergessen haben, warum wir uns überhaupt auf Nazijagd gemacht haben – als zwei Schwestern, die ihren Vater suchen. Wir sammeln und erledigen also Auftrag um Auftrag in den Katakomben des Widerstands und ballern weiter, bis wir uns als Supersoldatinnen ziemlich hohl im Kopf fühlen. Aber immerhin ist man dabei nicht alleine.
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