Unsere Reihe "Woran arbeiten Sie?"
Die meisten von uns haben Vorsätze für das kommende Jahr. Noch fünf Tage, dann beginnt das Jahr 2017. In den Tagen zwischen den Jahren wollen wir im Deutschlandradio Kultur von Wissenschaftlern und Kulturschaffenden wissen, wer schon handfest dabei ist, aus einem guten Vorsatz eine Tat zu machen. Das sind unsere Gesprächspartner:
Dienstag, 27.12.
Joseph Vogl, Professor für Literatur- und Kulturwissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität, über seine Arbeite an dem Werk "Epoche des Amok"
Hark Bohm, Drehbuchautor, über seine Zusammenarbeit mit Fatih Akin
Götz Aly, Historiker, über den Antisemitismus in Europa
Mittwoch, 28.12.
Ersan Mondtag, Theaterregisseur
Thomas Mettenleiter, Vogelgrippeforscher
Felix Meyer, Musiker
Donnerstag, 29.12.
Günter M. Ziegler, Mathematiker
Stefan Selke, Soziologe
Gila Lustiger, Schriftstellerin
Freitag, 30.12.
Doris Dörrie,Regisseurin
Armin Falk, Verhaltensökonom Armin Falk
Emmanuelle Charpentier, Genforscherin
Samstag, 31.12.
Bruce Allen, Forscher am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik
Auflehnung gegen das herrschende (Un-)Recht
Ersan Mondtag ist der Shooting-Star der deutschen Regie-Szene. Die Fachzeitschrift "Theater heute" hat ihn zum Nachwuchsregisseur des Jahres gekürt. Sein nächstes Projekt ist "Antigone und Ödipus" im Berliner Maxim Gorki Theater. Dabei schlägt er auch den Bogen in die Gegenwart.
Das Stück soll im Februar Premiere haben. Was plant er, welche Ideen hat er, um den Stoff umzusetzen?
"Wir werden die Mythologie an uns heranholen", kündigte er im Deutschlandradio Kultur an. An der Geschichte rund um Antigone interessiere ihn vor allem die Frage nach Recht und Gerechtigkeit, sagte Mondtag: "Wann ist es legitim sich aufzulehnen gegen ein herrschendes Rechtsprinzip?"
Das sei derzeit auch die Frage in Syrien, so der Regisseur - indem wir uns mit den Rebellen solidarisierten, übernähmen wir die "Antigone-Position". Und auch das Attentat in Berlin spielt in seinen Überlegungen, wie man den Stoff von Sophokles in die Jetztzeit holen kann, eine Rolle.
Der Angriff auf den Weihnachtsmarkt schlage "gerade total in die Arbeit rein", sagte Mondtag. Als Grundlage und Motivation für islamistische Gewalt sieht er das Prinzip Rache. "Einen Terroristen kann man nicht in Schutz nehmen. (...) Aber wir müssen verstehen, warum das passiert, wo das herkommt", betonte er. (ahe)
Das Gespräch im Wortlaut:
Nana Brink: Woran arbeiten Sie gerade? Das fragen wir heute den Shootingstar des diesjährigen Theatertreffens. Keine Inszenierung hat so sehr polarisiert wie seine unheimliche Familienhölle "Tyrannis". Ersan Mondtag, 29 Jahre jung, aufgewachsen in Berlin-Kreuzberg, inszeniert demnächst landauf, landab an den größten Häusern, unter anderem an den Münchner Kammerspielen und am Berliner Maxim Gorki-Theater.
Das könnte also sehr spannend werden, wenn sich Mondtag im Februar für seine erste große Arbeit im Gorki die Rebellin "Antigone" von Sophokles vornimmt. Die Proben beginnen in diesen Tagen, und ich habe Ersan Mondtag gefragt, wie viel Regieideen denn schon in seinem Kopf sind oder erst während der Probearbeiten entstehen.
Welche Figuren haben welchen Bezug zur Gegenwart?
Ersan Mondtag: Was als Grundlage mitkommt, ist die Struktur des Abends, und wir versuchen ja nicht nur "Antigone" zu erzählen oder auch die Geschichte von "Ödipus", sondern eigentlich die komplette Kausalität der Mythologie mitzuerzählen, also auch "Sieben gegen Theben", der Krieg der beiden Brüder. Wir werden ab dem dritten Januar anfangen zu proben mit den Schauspielern, und da geht es darum zu gucken, welche Figuren wir haben und welchen Bezug zur Gegenwart, und dann entwickelt man eigentlich gemeinsam den eigentlichen Abend, also auch die Auswahl der Texte, ob man eigene Texte dazu holt.
Das ist am Gorki sehr spannend, weil dort die Schauspieler aufgrund ihrer Biografien ganz viel mitbringen. Zum Beispiel Orit Nahmias aus Israel oder Yusuf kommt aus Palästina, und das sind einfach nur … Schon allein anhand der Biografie, wenn man da irgendwie versucht Eteokles und Polyneikes zu behandeln, also den Brüderstreit, und dann irgendwie da mit einer Israelin und einem Palästinenser die Figuren besetzt, hat man einfach bereits über die Biografien eine interessante Reibung.
Brink: Jetzt müssen wir vielleicht ein bisschen unsere Dramenkenntnisse auffrischen. Das sind ja beides Stücke, also gerade "Antigone" und "Ödipus" hängen ja miteinander zusammen. Antigone ist die Tochter von Ödipus, und die Brüder streiten sich, beide sterben, einer wird ehrenvoll begraben und der andere vor der Stadt, und das will Antigone sozusagen nicht mit sich machen lassen und wehrt sich dagegen. Wie weit bedienen Sie sich, haben Sie gesagt, dieses antiken Textes? Wie weit ist der wichtig?
Mondtag: Wir werden natürlich schauen, dass wir also die Mythologie an uns heranholen. Der Versuch ist ja, irgendwie "Antigone" auch durch die Gegenwart umzudeuten, und da ist natürlich die Notwendigkeit auch der eigenen Textarbeit gegeben. Man kann jetzt nicht einfach beziehungsweise kann ich nicht einfach eins zu eins den Text von Sophokles übernehmen, aber er ist natürlich wichtig in der Grundstruktur und auch in der literarischen Form, auch in seiner Dichte, ganz wichtig einfach für den Abend, der bildet so den Grundteppich.
Brink: Jetzt bin ich schon ein bisschen neugierig: Was hat Sie denn dann so fasziniert, was war das, wo Sie gesagt haben, das spiele ich und nichts anderes. Das interessiert mich.
Mondtag: Was mich da bei an der "Antigone" besonders interessiert, ist die Frage nach Recht und Gerechtigkeit. Das ist ja der Konflikt zwischen Antigone und Kreon auch. Also wann ist es legitim, sich aufzulehnen gegen ein herrschendes Rechtsprinzip, was ja auch momentan in Syrien passiert, wenn wir uns irgendwie mit den Rebellen solidarisieren und die Russen mit dem Regime, gehen wir davon auch aus, dass die Rebellen eine legitime Protestform gegenüber der herrschenden Klasse bilden, und dadurch unterstützen wir sie. Also wir nehmen dadurch auch die Antigone-Position im Syrienkonflikt ein. Was ist das für eine Gegenwart, wo können wir diese Frage, wo herrscht sie auch bei uns in Europa, und das zu untersuchen interessiert mich.
Brink: Aber es geht ja auch viel um Gewalt und um Macht, auch um Scheitern, letztendlich bei diesen Dramen auch um die Erkenntnis, ja dass der Mensch sein Schicksal nicht vorbestimmen kann. War das auch das Reizvolle?
"Ich bin selbst Pessimist, und das stört mich"
Mondtag: Genau, dieses Weltbild der Antike ist prinzipiell, finde ich, interessant und auch in dem Kontext, dass wir immer sagen, die Grundstruktur unserer abendländischen wäre die Antike. Dann diese Form von Pessimismus auch, also diese Ausweglosigkeit, diese Ohnmacht, dieses Absolute.
Ich bin selbst auch Pessimist, aber das stört mich auch so an meiner Denkart. Wenn ich mich dem Muster der Geschichte hingeben würde, dann müsste ich jetzt auch wieder von einem Vernichtungsmoment in der Gegenwart ausgehen, weil wir auch wieder in einem zivilisatorischen Prozess sind, wo eine Gesellschaft anfängt, sich nach einer Übersättigung irgendwie selbst zu zerstören, so wie es in verschiedenen Epochen auch der Fall war. Dem kann ich mich nicht einfach hingeben, und das interessiert mich natürlich auch. Also Ödipus, der dann seine Mutter besteigt und seinen Vater erschlägt und dann die Pest mitbringt und dann flieht und dann sich die Augen aussticht und dann die Tochter Antigone … Das ist ja eine Zirkulation von Gewalt, eine Fortführung von Konflikten, auch von Rache. Wie kann man diesem Rachemoment einen Riegel vorschieben, damit das Ganze endet.
Brink: Wenn Sie sagen, Sie haben eine pessimistische Weltsicht, dann muss ich sofort denken an das, was uns ja immer noch bedrückt, also gerade hier, wo wir in Berlin sind, nämlich das Attentat, was ja passiert ist auf einem Weihnachtsmarkt. Spielt das auch mit in Ihre Arbeit hinein, ist das ein Punkt, der Sie beschäftigt?
Mondtag: Also mich beschäftigt das prinzipiell erst mal als Berliner. Also es ist natürlich erst mal eine emotional andere Aufladung, wenn man mittendrin ist. Mit ein bisschen Distanz dazu ist es natürlich auch die Frage, wo verortet man so einen Anschlag, so eine Figur, so eine Person auch in der Geschichte, auch in der Narration von "Antigone", weil sie muss ja irgendwie auch einen Platz finden, sie ist ja auch eine Partei. Die würde mich auf jeden Fall auch aus diesem Prinzip von Rache interessieren. Ich will das in keiner Form rechtfertigen oder irgendwie … aber natürlich schlägt das gerade total in die Arbeit rein.
Brink: Aber Sie meinen mit Rache sozusagen, dass einer sich rächt an unserer Gesellschaft?
Mondtag: Ja, das ist ja so das Selbstverständnis der Islamisten: Für die jahrzehntelange Gewalt, die uns angetan wurde, rächen wir uns jetzt dafür, und jetzt sollt ihr mal die Gewalt abbekommen. Das ist ja so die eigentlich ziemlich verflachte Grundlage der islamistischen Gewalt dann auch, aber trotzdem müssen wir das begreifen und irgendwo ansiedeln.
Einen Terroristen kann man nicht in Schutz nehmen
Also einen Terroristen kann man nicht in Schutz nehmen in keiner Weise, auch keine rechten, auch keine linken, aber wir müssen verstehen, warum das passiert und wo das herkommt. Klar, und das wird auf jeden Fall auch jetzt bei unserer "Antigone"-Arbeit eine Frage sein. Mit den Schauspielern proben, das wird wahrscheinlich das erste Thema sein, worüber wir uns beraten und worüber wir nachdenken werden, was ist das überhaupt?
Brink: Wir sprechen jetzt sehr viel, sehr lange schon darüber, wie Sie ein Stück nehmen, sozusagen eine Blaupause, eine antike Blaupause, wenn ich das mal so ganz salopp zusammenfassen darf, um sie ins Heute zu überführen. Ich habe ein sehr schönes Zitat von Ihnen, das stammt von Mitte Mai, und zwar: "Ich glaube nicht, dass das Theater eine große Stimme in der gesellschaftlichen Debatte hat." Spricht da der Pessimist Mondtag?
Mondtag: Ja, oder vielleicht auch so ein bisschen der Realist. Ich arbeite am Theater, und ich bekomme auch mit, ich verfolge auch den Diskurs, und das, was aus dem Theater kommt, hat – vielleicht auch leider – dann eine entsprechende Rückkopplung innerhalb des Diskurses, obwohl da viele spannende Fragen verhandelt werden am Theater, aber wenn man sich den gesamtgesellschaftlichen Diskurs anschaut, ist Theater erst mal keine Partei, und das meine ich damit. Ich glaube nicht daran, dass sie ein Platz in dem Diskurs. Darüber muss man nachdenken.
Brink: Finden Sie es schade?
Mondtag: Was heißt schade, also man muss auch so ein bisschen gucken, was die Funktion von Theater ist und ob Theater sich jetzt wirklich ganz konkret in eine politische Diskussionskultur einmischen kann, was ja auch ganz viel mit täglich wechselnden Themen zu tun hat. Ich weiß gar nicht, ob Theater diese Flexibilität hat.
Der tagesaktuelle Diskurs ist schneller als das Theater
Theater hat über einen längeren Zeitraum die Möglichkeit, sich zu vertiefen in eine Thematik, und die ist meistens nicht tagespolitisch, und da kann sie sich natürlich nicht so flexibel in den tagesaktuellen Diskurs einmischen. Das ist gar nicht möglich rein logistisch, insofern würde ich jetzt nicht schade sagen, aber man muss aber, glaube ich, gucken, dass die Funktion des tiefergehenden Reflektierens, dass das dann wiederum aufgewertet werden muss, und das sind bestimmte Dinge, für die muss man einstehen, und die muss man auch, glaube ich, verteidigen.
Brink: Ersan Mondtag, vielen Dank, dass Sie bei uns waren! Danke!
Mondtag: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.