Anti-Klimapolitik in Brasilien
Bedrohung für das Ökosystem: Gefällte Bäume werden im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso aus dem Regenwald abtransportiert. © imago images/Photoshot/Balance
Abholzen führt zu Wassermangel
21:27 Minuten
Brasiliens Präsident Bolsonaro setzt auf die Ausbeutung des Amazonas. Unter ihm hat die Abholzung deutlich zugenommen, Umweltschutzbehörden wurden geschwächt. Doch ohne Wald kein Wasser. Was bedeutet das für die potenzielle Kornkammer der Welt?
Zacarias Terena drückt das widerspenstige Gebüsch zur Seite und zeigt auf eine Senke. Dort, sagt er, sprudelte früher das Wasser. Wasser aus dem sich unser Fluss speiste. Wasser, von dem Zacharias Gemeinde lebte. Zu sehen ist heute nur noch staubige, rotbraune Erde und verdorrtes Laub.
"Hier in der Region regnet es nicht mehr, schon seit sechs Monaten", sagt Terena. Eine solche Trockenheit habe es noch nie gegeben. "Die Quellen und Flüsse versiegen, es ist das erste Mal, dass ich so etwas erlebe."
Größtes Feuchtgebiet der Erde trocknet aus
Zacharias Terena ist Kazike vom indigenen Volk der Terena. Vor 15 Jahren hat er mit seiner Gemeinde das angestammte Land wiedererlangt, hier im Pantanal, dem größten Feuchtgebiet der Erde im Südwesten Brasiliens.
Das Dorf Mãe Terra der Terena liegt zwischen Buschland und Wäldern. Hühner spazieren vor den mit Stroh bedeckten Holzhütten herum, Schweine suchen vergeblich nach ein bisschen Matsch zum Suhlen. Rundherum Maniokpflanzen, Zwiebeln und Papaya.
Die Terena sind Selbstversorger. Heute allerdings sind die 80 dort lebenden Familien auf die Lieferungen eines Tankwagens angewiesen, der zwei- oder manchmal auch nur einmal pro Woche vorbeikommt.
"Das passiert nicht nur hier. Wir beobachten das im ganzen Pantanal", sagt die Biologin Leticia Couto Garcia von der Universität des Bundesstaates Mato Grosso do Sul. "Dort, wo früher Wasserläufe waren, liegt heute nur noch verdorrtes Laub."
Die junge Wissenschaftlerin zückt ihr Handy und öffnet eine Karte. "Diese Region hat in den vergangen Monaten 60 Prozent weniger Niederschlag empfangen als normal, und es sieht derzeit nicht so aus, als ob sich das ändert. Das ist alarmierend."
Seit mehr als drei Jahren leidet das Feuchtgebiet unter Dürre. Die extreme Trockenheit birgt eine weitere Gefahr: die Anfälligkeit für Buschbrände.
In den vergangenen zwei Jahren zerstörten Brände rund ein Drittel des Feuchtgebietes, das mit seinen 200.000 Quadratkilometern Ausdehnung etwa halb so groß wie Deutschland ist. Heimat von Wasserschweinen, Kaimanen und Jaguare, den größten Raubtieren des Kontinents. Doch 17 Millionen Tiere starben in den Flammen.
Orangen, Wassermelonen und Papayas, damit kämpfte Ilvanio Martins vergangenes Jahr gegen das große Sterben im Pantanal. "Wir müssen die Tiere dort retten", sagt er. Denn im Pantanal herrsche extreme Trockenheit. "Die Hilfe leisten vor allem Freiwillige wie wir."
Er lädt Säcke voll Obst in einen Pick-up. „Ecotrópica“ steht auf dem Wagen, der Name seiner Hilfsorganisation. Es geht über staubige Wege durch trockenes Gestrüpp vorbei an einer Wasserstelle, die nur noch einer matschigen Pfütze gleicht. Darin liegen mehr als hundert Kaimane, einer neben dem anderen. In der Mittagshitze drohen sie zu verelenden.
Wasser-Lkw muss Kaimane retten
Ilvanio Martins bittet per Telefon die staatliche Umweltbehörde um Hilfe. Sie sollen einen Wasser-Lkw schicken, um die Kaimane vor dem Verdursten zu retten. Für viele andere Tiere kommt die Hilfe zu spät.
Martins zeigt das Bild eines Kaimans, in den Flammen zum Gerippe erstarrt. "Er hatte keine Chance. Das Feuer tötet in Windeseile. Unser Staat ist nicht darauf vorbereitet, Brände wie diesen effektiv zu bekämpfen. Die Feuerwehr kann oftmals nicht viel tun. Das schadet dem Ökosystem Pantanal sehr."
Die Zerstörung dieses einzigartigen Naturparadieses, das von der UNESCO Jahr 2000 zum Welterbe der Menschheit erklärt wurde, und von Ökotouristen aus alles Welt besucht wird, ist ein Vorbote der Katastrophe, die der Klimawandel in Südamerika anrichten könnte.
Denn das Pantanal, das eine zentrale Rolle für die Wasserversorgung Brasiliens, Paraguays und Argentiniens spielt, droht immer mehr auszutrocknen. Das geht aus Daten von MapBiomas hervor.
Immer weniger mit Wasser bedeckte Flächen
Das Netzwerk aus Wissenschaftlern, Universitäten, NGOs und Technologieunternehmen nutzt Satellitendaten, um Veränderungen in Brasiliens Ökosystemen zu überwachen – dabei beobachten sie, dass die mit Wasser bedeckten Flächen des Landes in den vergangenen 20 Jahren immer mehr geschrumpft sind.
Rund drei Millionen Hektar gingen seit 1991 verloren, 15,7 Prozent der gesamten Wasseroberflächen Brasiliens, das entspricht in etwa Belgien. Am drastischsten ist der Verlust im Pantanal, sagt Wissenschaftler Carlos Souza.
"Alle Ökosysteme haben Verluste erlitten – aber im Pantanal ist die Wasseroberfläche um ganze 68 Prozent geschrumpft, gleichzeitig sind die Durchschnittstemperaturen um zwei Grad gestiegen. Wir beobachten längere Sommer und intensivere Temperaturen, was alles darauf hindeutet, dass es einen Zusammenhang mit der globalen Erwärmung gibt."
Mit der Beschleunigung der Abholzung im Amazonas seien die Temperaturen gestiegen, insbesondere in den Übergangsregionen. Die Regenfälle hätten nachgelassen, der Wald habe weniger Feuchtigkeit produziert.
Der Amazonas fungiert wie ein großer Wasserproduzent. Aus ihm stammt die Feuchtigkeit, die dann in Form sogenannter „fliegender Flüsse“ gen Süden gelangt. Sie bestimmen die Niederschläge im gesamten südlichen Südamerika bis nach Argentinien. Dabei spielen zwei weitere Ökosysteme eine zentrale Rolle: der Cerrado und das Feuchtgebiet Pantanal.
Zwei Ökosysteme: Amazonas und Pantanal
Hundert Stufen führen hoch auf einen Beobachtungsturm. In den Baumgipfel unter der 30 Meter hohen Plattform tummeln sich seltene Hyazinth-Aras, Affen toben durchs Geäst, es summt, flattert und brummt. Ein Flusslauf glitzert in der Mittagssonne – doch seine Ufer säumen breite Sandbänke.
Felipe Augusto Dias, Geologe und Direktor der NGO „SOS Pantanal“, wischt sich mit einem Taschentuch über die verschwitzte Stirn und macht dann mit seinen Armen eine Bewegung, als spiele er Ziehharmonika. "Das Pantanal funktioniert in normalen Zeiten wie ein gigantischer Schwamm", erklärt er. "Einmal saugt es Wasser aus den Flüssen auf, die im Cerrado entspringen, dann gibt es dieses Wasser wieder ab."
Cerrado ist die Bezeichnung einer höher gelegenen Savannenlandschaft in Zentralbrasilien, sie sich von der südlichen Grenze des Amazonasbeckens bis weit in den Bundesstaat Mato Grosso do Sul erstreckt, in dem auch das Pantanal liegt. Kurz, es verbindet die beiden Ökosysteme Amazonas und Pantanal – und ist gleichzeitig Ursprung ihrer wichtigsten Zuflüsse.
"Unter dem Cerrado liegen außerdem die größten Süßwasser-Reservoirs des Landes", sagt Felipe Augusto Dias. "In der Regenzeit füllen sich diese wie eine große Schüssel und geben gewaltigen Wassermassen ab, Richtung Amazonas, Rio São Francisco an der Küste, aber auch – und zwar durch das Pantanal – an die Flüsse Paraguay und Paraná. Der Cerrado ist der große Wasserverteiler der Region."
"Wir müssen den Wald schützen"
Es ist eine feine Maschinerie, die ineinandergreift, sagt auch Carlos Souza von MapBiomas, jede Störung bringt das sensible Gleichgewicht durcheinander: "Wir müssen den Wald schützen, im Amazonas, im Cerrado, im Pantanal." Denn er sei auch äußerst wichtig für Brasiliens Wirtschaft. "Die Agrarindustrie hängt von Niederschlägen ab, unsere Energieerzeugung, die zu großen Teilen auf Wasserkraft beruht, hängt davon ab, und die Versorgung der Stauseen unserer größten Städte, die alle im Süden liegen."
Doch der Cerrado ist gleichzeitig Brasiliens Kornkammer. Hier herrscht die mächtige Agrarindustrie des Landes – und sie dehnt sich immer weiter aus. Richtung Amazonas, Richtung Pantanal.
Auf einer Autofahrt vom Pantanal in Richtung Hauptstadt des Bundesstaates Mato Grosso do Sul. Campo Grande, heißt sie, großes Feld.
"Das sind alles Sojaplantagen", sagt die Biologin Couto Garcia von der Universität des Bundesstaates und zeigt aus dem Fenster. "Zäune sehen wir nicht. Was hier passiert ist, ist typisch. Viele kleine Farmen haben ihr Land an große Agrarunternehmen verpachtet, die darauf großflächig Soja anbauen. Dabei werden meist auch die Uferböschungen der Flüsse zerstört, dadurch setzen sich dort immer mehr Sedimente ab und die Flüsse versanden."
Außerdem zerstörten die Monokulturen die Böden, sie könnten weniger Wasser aufnehmen, es komme häufiger zu Überschwemmungen. "Wir beobachten mit Sorge, wie die großen Plantagen immer näher und dichter an das Feuchtgebiet heranrücken."
Mehr Monokulturen seit Bolsonaros Amtsantritt
Über die Hälfte des Cerrado wurde bereits abgeholzt und mit Soja, Baumwolle und anderen Monokulturen bepflanzt. Sprunghaft angestiegen seien die Anbauflächen seit Amtsantritt von Präsident Jair Bolsonaro im Jahr 2019. Das zeigen auch die Daten von MapBiomas.
Heute wird dort mehr als 70 Prozent des Sojas Brasiliens produziert. Auf den Satellitenkarten sieht man, wie die Anbauflächen das Feuchtgebiet regelrecht in die Zange nehmen.
"Wir sehen, dass einzig die indigenen Territorien der Zerstörung der ursprünglichen Vegetation noch widerstehen." Aber auch dort werde immer wieder illegal Land abgezwackt, für Sojaplantagen.
"Wie sich das alles die nächsten Jahre entwickelt, hängt entscheidend von den politischen Entscheidungen ab, welche Art von Landwirtschaft die Regierung fördert."
Viele Bolsonaro-Anhänger in Soja-Bundesstaaten
Nun ist die aktuelle Regierung von Jair Bolsonaro nicht gerade für ihr Engagement für Umwelt und Klima bekannt – im Gegenteil. Unter dem Rechtspopulisten wurden Kontrollen abgebaut, Behörden geschwächt, Umweltgesetze demontiert.
In den Soja-Bundesstaaten Mato Grosso und Mato Grosso do Sul hat Bolsonaro viele Anhänger. Landwirt Claudio Guerra findet, dass Bolsonaro zu Unrecht als Sündenbock für die aktuelle Situation herhalten muss. Ich spreche mit ihm per Videocall auf seine Hacienda bei Dourados, drei Stunden nördlich von Campo Grande.
"Ich glaube nicht, dass die aktuelle Regierung Schuld an der Zunahme der Abholzung trägt, abgeholzt wird schon seit Jahren", sagt er. "Aber die Medien, die gegen Bolsonaro sind, stellen es so dar, als ob es allein seine Schuld wäre. Die Medien manipulieren die Fakten. Wovon niemand spricht: dass wir Landwirte hier im Süden die ersten Opfer der ausbleibenden Niederschläge sind."
Auch Landwirte betrifft der Wassermangel
Denn, dass es ein Problem mit dem Klima gibt, das spürt auch Guerra jeden Tag. Seit Generationen betreibt seine Familie Landwirtschaft. Sie kamen als Sieder auf das Land, züchteten zuerst Rinder, nun baut Guerra auf 800 Hektar Soja an. Dabei machte er selbst die Hausaufgaben, sagt Guerra: Mit Humusdünger habe er seine Böden aufgebessert, Wasserläufe durch Uferböschungen geschützt. Doch wenn der Regen ausbliebe, nütze das alles nichts.
Denn die Trockenheit zwinge die Bauern auch dazu, mehr Kunstdünger und Pestizide einzusetzen, da das Saatgut anfälliger werde. All das seien finanzielle Kosten. Um sie zu kompensieren, erweiterten viele ihre Anbauflächen. Und das wiederum auf Kosten von Waldstücken, Wasserläufen und Bodenqualität.
"Was meiner Meinung nach hier in Brasilien fehlt, ist eine Umweltpolitik, die auch die Produzenten in den Blick nimmt. Hier in Brasilien wirst du hart bestraft, wenn du zu viel oder an falscher Stelle abholzt – und das wiederum öffnet Tür und Tor für Korruption", sagt Claudio Guerra.
Dabei sollten wir genau das Gegenteil tun: Der Staat sollte Anreize schaffen, damit die Produzenten selbst erkennen, dass sie ihre Ländereien aufwerten, wenn sie nachhaltig wirtschaften, Flüsse schützen und Waldstücke stehen lassen." Auch die internationale Gemeinschaft könnte sich an einem solchen Anreizsystem beteiligen, meint der Landwirt. "Schließlich ist Brasilien dabei, die größte Kornkammer der Welt zu werden. Brasilien kann viele Menschen ernähren, und die Welt wird mehr und mehr Nahrungsmittel brauchen."
"Wir geben nicht auf"
Zurück in Mãe Terra, dem angestammten Land der Terena. Die indigene Gemeinde hat es erst im Jahr 2005 besetzt und schließlich, trotz massiver Polizeirepression, zurückerobert, nachdem sie jahrelang auf die Demarkierung gewartet hatte. So wird die offizielle Ausweisung als Schutzgebiet genannt.
Zwar belegten anthropologische Studien das Anrecht der Terena, doch das Land befand sich im Besitz des ehemaligen Gouverneurs des Bundesstaates, der dort großflächigen Sojaanbau betrieb. Das Foto von Kazike Zacharias, der stoisch in den Gewehrlauf eines Polizisten blickt, ging damals durch die Medien.
"Auf unserem Land stand damals kaum ein Baum mehr", erzählt er. "Wir begannen, es wieder aufzuforsten, dann begannen die Attacken des Feuers. Wir versuchten die Brände zu löschen, aber wir hatten keine Chance. Bei den vergangenen Bränden haben wir die fast letzten, rund 800 Hektar Wald verloren, dazu all die Vögel und wilden Tiere, die starben und die so wichtig sind für das Gleichgewicht des Ökosystems. All das hat uns sehr traurig gemacht, aber wir geben nicht auf, wir machen weiter mit unserem Projekt", sagt João Terena. Er hat damals die NGO „SOS Pantanal“ kontaktiert. Mit ihrer Hilfe forstet die Gemeinde Uferböschungen und Waldstücke wieder auf.
Ohne Wasser kein Leben
Leticia Couto Garcia streift durchs hohe Gras, alle paar Meter ist ein kleines Pflänzchen zu sehen – von Wald allerdings noch keine Spur. Viele Setzlinge seien wegen der anhaltenden Trockenheit direkt wieder eingegangen, sagt die Biologin. "Um einen Baum zu fällen, braucht es eine Minute, aber damit ein Baum wächst, braucht es Jahre, viel Geld, enorm viel Arbeit."
Fast zärtlich streicht sie über das Blatt eines Sete Cascas: ein Baum, der bis zu 20 Meter hoch werden kann. Noch ist das Pflänzchen 50 Zentimeter klein.
Kazike Zacharias Terena fügt hinzu: "Sie pflanzen Soja und halten Rinder, um Geld zu verdienen. Wir versuchen, den Wald und unser Land zu bewahren. Ohne Wald kein Wasser, ohne Wasser kein Leben. Was gibt es mehr zu sagen!?"