"Das hier ist Musik für Freaks"
Das neue Album der Antilopen Gang weist nicht nur mit dem Namen "Anarchie und Alltag" auf ein legendäres Album der Fehlfarben hin. Was die Hip-Hop-Gruppe und die Düsseldorfer Punkveteranen eint und warum auf die Fressen hauen manchmal besser ist als ständig zu reden.
Ende 1980: Ronald Reagan wird zum US-Präsidenten gewählt. Und in Deutschland erscheint das Fehlfarben-Album "Monarchie und Alltag". Wie kein anderes steht es für den Neubeginn einer deutschsprachigen Rock- und Popmusik, zu finden in allen Listen der hierzulande wichtigsten Werke.
37 Jahre später: Morgen wird Donald Trump vereidigt. Und in Deutschland erscheint ein Album mit dem bedeutungsschweren Titel "Anarchie und Alltag". Veröffentlicht von einer Band, die hat wie Fehlfarben ihren Sitz in Düsseldorf: die Antilopen Gang.
Spätestens seit ihrem Song "Beate Zschäpe hört U2" gehören die drei Rapper zu den relevantesten deutschen Bands der Gegenwart. Von einigen Medien sogar zum moralischen Gewissen einer Generation hochstilisiert vor allem wegen ihres Einsatzes für Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind.
Mein Kollege Martin Risel hat mit Fehlfarben-Sänger Peter Hein und der Antilopen Gang gesprochen und stellt Ihnen deren neues Album vor.
Manuskript zum Beitrag:
Nein, moralisches Gewissen, einer – endlich wieder! – neuen politischen Generation will man nicht sein.
Aber die Antilopen Gang liefert selbst die Steilvorlage zum medialen Verortungstrip, wenn sie nun ihren Albumtitel allzu deutlich anlehnt an "Monarchie und Alltag", das Referenzalbum des deutschen Popfeuilletons. Antilopen Rapper Danger Dan:
"Wir haben einfach rumgesponnen. Irgendwann kam ich mit der Idee 'Anarchie und Alltag', hab mir aber gar nicht so viel dabei gedacht. Und dann haben wir uns die Platte angehört und gemerkt: Okay, das passt irgendwie. Und dass wir da auf dieses Album anspielen, das ist ja ganz klar."
Und nun sucht man – eher vergeblich – auf dem Antilopen-Album nach solchen Zeitgeist-Zeilen, die auf "Monarchie und Alltag" zu geflügelten Worten wurden:
"Geschichten aus dem täglichen Sterben."
"Es liegt ein Grauschleier über der Stadt, den meine Mutter noch nicht weggewaschen hat."
"Keine Atempause, Geschichte wird gemacht."
"Es liegt ein Grauschleier über der Stadt, den meine Mutter noch nicht weggewaschen hat."
"Keine Atempause, Geschichte wird gemacht."
Damit krachte das Fehlfarben-Album Ende 1980 wie ein Urknall durchs Land, zu hören bis in Übungsräume, Universitäten und Feuilletons. So dass die ZEIT Fehlfarben als "richtungsweisend für die gesamte Bewegung" einstufte und die FAZ deren Sängerdichter Peter Hein als "Leitfigur des deutschen Punks".
Gelangweilter Blick auf das Treiben der Enkel
Vom medialen Thron blickt der knapp 60-jährige nun eher gelangweilt auf das Treiben der Enkel hinunter – und kommentiert lakonisch den Antilopen-Albumtitel "Anarchie und Alltag":
"Pfffh, das find ich jetzt gar nicht so komisch. Das hätten wir ja eigentlich schon selbst eine Woche später gemacht damals: 'Nostalgie und Alltag' oder 'Anarchie und Montag' und alles Mögliche. Also, dass es jetzt einer mal tatsächlich auch als Titel gemacht hat, hat halt erstaunlich lange gedauert. Wenn man von diesem ganzen popkulturellen Hintergrund ausgeht."
Und das kann man getrost. Die Antilopen Gang hat zwar nicht die besten Beats und Rapper des Landes, aber viele frische Ideen - und auch sonst den deutschen Popkanon aufgesogen.
"So ein Fiasko, Antilopen Strafmission /
Das hier ist Musik für Freaks und die Kinder vom Bahnhof Zoo /
doch ihr Trottel findet ja in jeder Scheiße /
irgendwelche popkulturellen Querverweise."
Das hier ist Musik für Freaks und die Kinder vom Bahnhof Zoo /
doch ihr Trottel findet ja in jeder Scheiße /
irgendwelche popkulturellen Querverweise."
Und diese popkulturellen Querverweise finden wir medialen Trottel immer besonders intellektuell. Zur Schadenfreude der Künstler – ob Antilopen Gang oder Fehlfarben. Peter Hein negiert die Bedeutungsebenen seiner Texte. Und kokettiert mit seinem Verweigerungs-Gestus. Kannte angeblich die Antilopen Gang gar nicht, bevor er zuletzt von deren Label ins Studio gebeten wurde.
"Ich hab noch nie was von denen vorher gehört, hmmh. Immer wenn’s irgendwie heißt: Das kommt aus dem Internet. Dann sag ich: Dann tu’s da wieder rein."
Und dann ist da noch diese Parallele: Düsseldorf, immer wieder Keimzelle des deutschen Pop - Kraftwerk, Fehlfarben und die Toten Hosen kommen von da. Und beim dortigen Label der Toten Hosen ist auch die Antilopen Gang. Rapper Koljah ist Düsseldorfer, kennt die dortige Punk-Szene:
"Ich bin schon damit aufgewachsen. Ich hab auch in Düsseldorf immer einen Bezug gehabt, wo ich früh Punks gesehen hab, hab mich für diese Musik auch interessiert. Und das hat auf jeden Fall immer ne Rolle gespielt, bevor dann Hip Hop in mein Leben getreten ist."
Auch deshalb dieser ungewöhnliche Spagat zwischen HipHop und Punk, zu hören in zwei Songs auf dem "Anarchie und Alltag"-Album. Komplett Punk ist das bemerkenswerte Bonusalbum "Atombombe auf Deutschland". Darauf kreischen deutsche Punk-Veteranen Songs der Antilopen Gang: Bela B, Campino – und Peter Hein.
"Das ist ja auch ne Anspielung auf ‘Malaria’. Peter Hein hat, als er das eingesungen hat, noch so n bisschen gefreestyled und hat das etwas eigenwillig interpretiert – was uns sehr gut gefallen hat."
Natürlich: "Kaltes, klares Wasser" von Malaria. Populär zur gleichen Zeit wie "Monarchie und Alltag. 1981: Reagan und Thatcher sind frisch im Amt. Die Zeit klarer Feindbilder. Und heute?
"Es ist auf jeden Fall leichter, Feindbilder zu finden als Freundbilder. Das Ding ist ja, dass sich heute auch einfach die Feinde untereinander bekämpfen. Wenn jetzt die Feinde der Islamisten so Leute wie Pegida sind, dann sind halt beide Gruppen gleichermaßen unsere Feinde."
"Damals ging’s irgendwie A gegen Z. Und heute ist’s irgendwie eins gegen null. Also: Dieses ewige Miteinander reden – ist doch furchtbar! Auf die Fresse hauen – da weiß man doch, wo man dran ist!"
"Damals haben wir von dem, was wir jetzt machen, geträumt, denn Anarchie und Alltag haben mehr gemeinsam als man glaubt."
"Unser Album bleibt noch aktuell"
Das fast schon versöhnliche Ende eines Antilopen-Albums, das sicher in die Charts eingehen wird, aber nicht unbedingt in die Musikgeschichte. Jedenfalls nicht wie einst Fehlfarben. Peter Heins pointierte Zeilen waren meist bedeutender als die nur gelegentlich klugen politischen Erkenntnisse der Antilopen Gang. Kann ja noch werden mit der neuen Zeitenwende.
Ein abgehalfterter Westernheld war damals zunächst genauso wenig vorstellbar als US-Präsident wie heute ein populistischer Politclown. Die Zeit heilt alle Wunden des Zeitgeistes.
"Was das Schöne ist, was man ja auch bei Reagan gesehen hat: Nach dem kräht halt kein Hahn mehr. Und auch ein Trump, der an dem Tag, wenn unser Album kommt, vereidigt wird, wird in 20 Jahren auch uninteressant sein. Allerdings kann’s passieren, dass dann irgendeine Band kommt und ihr Album 'Spaghetti und Alltag' nennt. Und unser Album bleibt noch aktuell."
"Denn Anarchie und Alltag haben mehr gemeinsam als man glaubt."