Der Sammler des Hasses
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Manche sammeln Münzen, andere Briefmarken - Arthur Langerman sammelt antisemitische Bücher und Plakate. Der Holocaust-Überlebende nennt Antisemitisches aus ganz Europa sein Eigen und hilft mit seinen Objekten Antisemitismusforschern, den Hass besser zu ergründen.
Arthur Langerman: "So ein Sammler ist ein kranke Person, der absolut unbedingt etwas will. Das ist so eine Obsession."
Arthur Langerman steht in seinem Arbeitszimmer – einem hellen, großen Raum mit Holzfußboden, großen Bildbänden im Bücherregal und einem Klavier. In einer Box mit großen Schubladen bewahrt er Hunderte von Plakaten, Zeitschriftenseiten und Entwürfen auf. Einige der Poster zeigen Männer mit Tierkörpern – teils abstoßend, teils grotesk.
Arthur Langerman: "Das sind französische Plakate, das heißt 'Le Musee des Horreurs' das ist von Dreyfus-Periode – das sind große Plakate von die Leute, die sympathisieren mit Dreyfus."
Ende des 19. Jahrhunderts wurde der französische Hauptmann Alfred Dreyfus wegen Landesverrats verurteilt - zu Unrecht: Das Urteil gegen ihn basierte auf antisemitischen Motiven.
Zola als Schwein dargestellt
Der Fall spaltete ganz Frankreich: Zu den Unterstützern von Dreyfus gehörte der Schriftsteller Emile Zola. Er ist auf einem der Poster als Schwein dargestellt. Das Bild ist Teil einer antisemitischen Plakatserie, initiiert von den Antidreyfusianern.
Arthur Langerman: "Ja, das sind 52 und ich habe sie alle – das war ziemlich schwer, diese zu finden."
Über Ebay erstand Langerman auch Original-Zeichnungen und Entwürfe für den nationalsozialistischen "Stürmer": Die Wochenzeitung betrieb gezielte und aggressive antijüdische Hetze. Urheber der Zeichnungen ist Philipp Rupprecht, genannt Fips, der den Stil des Propagandablatts maßgeblich prägte.
Arthur Langerman: "Ich habe ungefähr 1000 Stück, 1000 Zeichnungen - von Fips."
Postkarten mit Urlaubsgruß und Antisemitismus
Langerman stellt seine Sammlung dem Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung zur Verfügung – zunächst in digitaler Form. Professor Uffa Jensen kommt daher regelmäßig von Berlin nach Brüssel, um die Originale zu sichten.
Zu der Sammlung gehören auch fünf bis 6000 Postkarten mit antisemitischen Motiven. Sie wurden im 19. Jahrhundert aus berühmten Kurorten wie Karlsbad oder Marienbad verschickt – als Urlaubsgrüße. Ressentiments gegen Juden waren also in der deutschen Mentalität fest verwurzelt – wie auch in anderen Ländern Europas.
Arthur Langerman: "Antisemitismus und die Zeichnungen, das ist nicht nur Frankreich und Deutschland, das ist über ganz Europa – die einzigen Länder, wo ich keine Plakate gefunden habe, das sind Spanien, Portugal."
Auch aus Italien, Holland und Belgien habe er nur wenige Bilder gefunden. Die meisten antijüdischen Zeichnungen stammten aus Mittel- und Osteuropa: zum Beispiel aus Russland, Ungarn oder Serbien. Für die Forschung sei das interessant, sagt Uffa Jensen:
"Das Besondere an der Sammlung ist, dass sie alle möglichen europäischen Länder abdeckt, so dass man auch sich anschauen kann, wie die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten in verschiedenen Ländern sind, und auch wie bestimmte Bildmotive oder bestimmte Arten, Juden darzustellen, von einem Land ins andere wandern."
1944 nach Auschwitz deportiert worden
Jeden Tag beschäftigt sich Arthur Langerman mit seiner Sammlung, noch immer kauft er weitere Hassbilder. Warum hat er überhaupt damit angefangen?
"Für meine eigene Satisfaktion. Ich habe Sachen gekauft, die mir gefallen - schreckliche Zeichnungen. Und ich bin wahrscheinlich durch meine Lebensgeschichte beeinflusst, bei Sachen der schwarz ist – ich glaube, mein Aug', wenn ich etwas sehe schön und nichtschön, gucke ich mehr nach: nicht schön, verstehen Sie?"
Arthur Langerman wurde 1942 in Antwerpen geboren. Seine Eltern waren zwar 1940 vor den deutschen Besatzern nach Frankreich geflohen – doch statt wie geplant nach Amerika auszuwandern, kehrten sie nach Belgien zurück – weil sie gehört hatten, Juden seien dort sicher. 1944 wurden Langermans Eltern verhaftet und nach Auschwitz deportiert.
Langerman: "Die SIPO – die SIPO SD, Sicherheitspolizei hat mich genommen, ich war eineinhalb Jahre und sie hatten mich geschickt hier in Brüssel in ein Heim. Ein Heim, das durch die Sicherheitspolizei kontrolliert wurde. Mein Vater ist in Auschwitz gestorben und meine Mutter ist '45 zurückgekommen."
Hassbilder für Forschung und Studium
Seine Mutter, die ihn 1945 wiederfand, sprach kaum über die Kriegszeit - doch der Verlust durch die Shoah war immer spürbar:
"Ich habe ungefähr, glaube ich, 35 Leute von meiner näheren Familie verloren; ich habe nie meine Großeltern gekannt, keine Onkels, Cousinen, Tanten. Ich habe überhaupt keine einzige Erinnerung an die Vorkriegszeit, kein Foto oder Objekt."
Bewusst erfuhr Langerman erst 1961, durch den Eichmann-Prozess, was während des Zweiten Weltkriegs geschehen war.
"Ich war noch jung, ich war 19. Und fragte mich: Was haben eigentlich die Juden gemacht auf der Welt, dass man sie so schrecklich strafte."
Das Sammeln, sagt Arthur Langerman, helfe ihm zu leben. Und die knapp 8000 antisemitischen Hassbilder in seinem Besitz begreift er als wichtige historische Dokumente, die er für Forschung und Studium zugänglich machen will.
"Jetzt bin ich schon 75 und ich bin interessiert, meine Kollektion zu zeigen, der Jugend."