Antisemitismus-Debatte bei documenta
Aufregung im Vorfeld: Schon vor dem Start der documenta 15 wurde seit Wochen über Antisemitismus-Vorwüfe debattiert. © documenta fifteen 2022
Lehrstück über Dämonisierung und Delegitimierung
07:15 Minuten
Der Debatte über Antisemitismus und Rassismus bei der documenta 15 kann Hanno Loewy wenig Gutes abgewinnen. Statt die Perspektive des jeweils anderen anzuerkennen, falle man übereinander her, sagt der Direktor des Jüdischen Museums Hohenems.
Zum Start der documenta 15 müsste nun eigentlich über die Kunst diskutiert werden, die dort zu sehen ist. Das findet zumindest Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums Hohenems. Stattdessen sorgt die internationale Kunstausstellung mit einer Diskussion über Antisemitismus und Rassismus für reichlich Schlagzeilen.
Zwei Perspektiven auf Israel
Ursache der Debatte ist die Einladung der palästinensischen Künstlergruppe „Question of Funding“. Diese soll der israelkritischen Boykottbewegung BDS nahestehen, so der Vorwurf. „Das Problem ist, dass die Auseinandersetzungen über Antisemitismus und Rassismus miteinander immer mehr ins Gehege geraten, immer mehr zu einem Konflikt um Deutungshoheiten werden“, sagt dazu Loewy.
Kern sei dabei der unterschiedliche Blick auf Israel und Palästina: Für Juden sei "dieses Land im Nahen Osten" die Zuflucht, für die Palästinenser stehe es für europäischen Kolonialismus. „Beides stimmt", sagt Loewy. "Solang man das nicht anerkennt, dass die Perspektive des anderen tatsächlich auch eine legitime Seite besitzt, solang fällt man nur übereinander her, und das erleben wir im Moment.“ Aus Loewys Sicht ein Lehrstück über Dämonisierung, Delegitimierung und doppelte Standards.
Dämonisierung und Delegitimierung
„Das sind ja die drei Kriterien, mit denen häufig auf vermeintlichen Antisemitismus hingewiesen wird", erklärt Loewy: "Man sagt, Kritik an Israel sei in Wirklichkeit Dämonisierung, Delegitimierung und messe mit doppelten Standards. Aber dasselbe gilt leider auch für die Auseinandersetzung mit den Positionen der Palästinenser. Israelische Politik ist eben auch ein Versuch, die Interessen und Positionen der Palästinenser zu delegitimieren und zu dämonisieren, und dabei wird eben auch immer wieder mit doppelten Standards gemessen.“
Ähnliches könne man bei der documenta-Auseinandersetzung beobachten. Der palästinensischen Künstlergruppe wurde beispielsweise vorgeworfen, sie sei antisemitisch, weil wie sich in einem Kulturzentrum treffe, das nach einem Nazi-Freund und Antisemiten benannt wurde. „Das war pure Dämonisierung, denn daran war nichts wahr“, so Loewy.
Konflikt mit Eigendynamik
Ein weiterer Punkt der Diskussionen: Zu der diesjährigen Kunstausstellung wurden keine jüdisch-israelischen Künstlerinnen oder Künstler eingeladen. „Allein das gilt den Kritikern der documenta als antisemitisch. Aber natürlich ist auch das Unsinn“, meint Loewy. Schließlich habe es schon viele documenta-Ausstellungen gegeben, auf die keine palästinensischen Künstlerinnen oder Künstler eingeladen wurden.
„Auch das würde ich nicht per se als rassistisch bezeichnen“, so Loewy. „Das Problem ist, dass in einem solchen Konflikt zu jeder Waffe gegriffen wird, zu der man greifen kann.“
(lkn)