Kommentar

Eine Resolution wird das jüdische Leben nicht schützen

04:27 Minuten
Festakt zur Einweihung des Synagogenzentrums in Potsdam.
Festakt zur Einweihung des Synagogenzentrums in Potsdam: Schlechte Ideen bekämpft man am besten nicht mit Zensur, sondern mit besseren Ideen, betont Max Paul Friedman. © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
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Seit Monaten ringen Union und Ampelparteien um eine Resolution zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland. Immerhin liegt jetzt ein Entwurf vor. Doch der wird nicht weiterhelfen.
„Der Schutz jüdischen Lebens bleibt für Deutschland eine weltweite Verpflichtung“, heißt es in dem Resolutionsentwurf.
Danke. Aber bitte nicht so.
Der Entwurf fordert die Bundesregierung sowie Länder und Kommunen auf, Förderprojekte auf eine „Reproduktion von antisemitischen Narrativen zu überprüfen“. Die armen Bürokraten, die diese Einschätzung vornehmen müssen. Sollen deutsche Hochschulen jetzt Shakespeare wegen antisemitischer Passagen im „Kaufmann von Venedig“ vom Lehrplan streichen?

Gegen die BDS-Bewegung

Der Entwurf fordert außerdem zu einem verstärkten Vorgehen gegen die antiisraelische Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung BDS auf. Einige internationale akademische Organisationen haben Pro-BDS-Resolutionen verabschiedet. Sollen ihre Mitglieder dann von deutschen Universitäten ausgeschlossen werden?
Aber das Problem bei diesem Resolutionsentwurf ist grundlegender: Er basiert auf einer umstrittenen und sehr weitreichenden Antisemitismusdefinition. Entwickelt hat sie die International Holocaust Remembrance Alliance, kurz IHRA, 2016. Diese Definition erklärt viel Israelkritik für antisemitisch. So wird zum Beispiel behauptet, es sei antisemitisch, wenn man die Situation im besetzten Westjordanland mit der Apartheid vergleicht.
Aber die IHRA-Definition war nie als rechtsverbindlicher Text konzipiert. Und sie war von Anfang an umstritten: 2021 schlugen 300 überwiegend jüdische Professoren, darunter viele Antisemitismusforschende, eine Alternative vor: in der sogenannten Jerusalem-Erklärung.
Die argumentiert, dass Kritik an Israel nicht unbedingt maßvoll, verhältnismäßig oder vernünftig sein muss, um nicht antisemitisch zu sein. Putins Russland darf man auch kreischend kritisieren, ohne als slawophob zu gelten. Die Definition des Antisemitismus ist selbst Gegenstand der Forschung, und da kein Konsens besteht, sollte Deutschland nicht versuchen, eine der problematischsten Definitionen durchzusetzen.

Schutz von Minderheiten

Das ist nicht nur die Perspektive eines amerikanischen Außenseiters, der aus seiner Heimat gewöhnt ist, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung uneingeschränkt gilt, viel weitreichender als hier. In einem Vierteljahrhundert Erfahrung in und mit Deutschland habe ich verstanden, dass es angesichts Eurer Vergangenheit sinnvoll ist, beispielsweise die Leugnung des Holocaust oder die Verbreitung von Nazi-Symbolen zu verbieten.
Aber dieser Resolutionsantrag wird Juden nicht schützen. Er wird etwas fördern, gegen das Juden schon lange an vorderster Front kämpfen, nämlich die staatlich geförderte Unterdrückung unpopulärer Ideen. Als Minderheit in jedem Land der Erde außer einem haben wir Juden schon lange verstanden, dass unser Überleben nicht von der staatlichen Durchsetzung einer Parteilinie abhängt, sondern vom Schutz von Minderheiten und Minderheitsansichten. Darüber hinaus sind energisches Argumentieren und Dissens sehr jüdisch. Die talmudische Tradition verlangt eine Vielzahl von Stimmen und Interpretationen. Wie wir unter uns sagen: zwei Juden, drei Meinungen.

Vermittlung staatsbürgerlicher Werte

Natürlich wollen wir ein Deutschland, in dem Juden gefahrlos auf der Straße eine Kippa tragen können. Aber den Antisemitismus in Deutschland zu bekämpfen, wird schwieriger sein als eine Resolution zu erlassen, die Kritik an Israel unterbindet und zum Schweigen oder zum Karriereende seiner Kritiker führt, darunter auch jüdischer. Es erfordert ein Engagement für den freien Gedankenaustausch, die Vermittlung staatsbürgerlicher Werte durch öffentliche Bildung, vorbildliches Verhalten in der politischen Kultur und eine differenzierte Medien- und Kommunikationsarbeit.
Schlechte Ideen bekämpft man am besten nicht mit Zensur, sondern mit besseren Ideen.

Max Paul Friedman ist Professor für Geschichte und internationale Beziehungen an der American University in Washington D.C.

Der Historiker Max Paul Friedman
© American University / Jeff Watts
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