Sicherheit ist Thema Nr. 1
In England und Frankreich schützen neben der Polizei auch privat organisierte Dienste jüdische Einrichtungen. Männer und Frauen lernen dort etwas über Erste Hilfe und Nahkampf. In Deutschland ist vor allem die Polizei für die Sicherheit verantwortlich.
"Gegen Ende des zweiten Weltkriegs kamen jüdische Soldaten zurück von der Front, um dann zu merken, dass sich neue Neo-Nazi Gruppen auf den Straßen bildeten. Und sie sagten sich, wir haben in Europa gegen die Nazis gekämpft, warum sollten wir sie auf Englands Straßen dulden."
Erklärt Michael Whine vom CST, dem englischen Community Security Trust. Ein jüdischer Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Sicherheit von Juden in der Öffentlichkeit und jüdischen Einrichtungen zu schützen. Die ersten Gruppen, hatten sich bereits Mitte des letzten Jahrhunderts gebildet.
"Wir waren nicht die einzigen, gegen die es ging. Schwarze Einwanderer oder aus der Karibik, aus Afrika oder Asien waren auch Zielscheiben. Aber auf uns hatten sie es besonders abgesehen und die Polizei war unfähig oder unwillig, uns zu schützen. Also gründeten wir unsere eigenen Selbsthilfegruppen."
Aus diesen Gruppen entstand dann 1994 der Community Security Trust mit Büros in Leeds, Manchester und London, wo einige Hauptamtliche angestellt sind. Die große Mehrheit aber sind Freiwillige, meint Michael Whine.
"Nach den Angriffen in Frankreich, Belgien und Dänemark haben wir keinen Mangel an Freiwilligen. Die Leute kommen von selbst. Wir müssen da keine Werbung machen."
Wie sichert man ein Gebäude? Wie befragt man einen Verdächtigen oder durchsucht ihn? Die Freiwilligen, Männer und Frauen, lernen etwas über Erste Hilfe und Nahkampf. Man muss jüdisch sein, um Mitglied zu werden. Aber das sei bei weitem nicht alles, betont Michael Whine.
"Wir brauchen psychisch stabile Leute. Solche Arbeit zieht auch Leute an, die gerne James Bond oder Rambo sein wollen. Daher haben wir intensive Tests. Bevor wir unsere Freiwilligen trainieren, werden sie ausführlich befragt."
Während ganz England schon im letzten Jahr auf die zweithöchste Gefährdungsstufe für Terroranschläge eingestuft worden war, hatte die englische Polizei die jüdischen Einrichtungen als weniger gefährdet eingestuft. Der CST habe das schon damals als falsch empfunden, meint Michael Whine.
"Die englische Polizei hatte einfach die spezielle Bedrohung gegen jüdische Gemeinden nicht verstanden, bevor sie sahen was in Frankreich, Belgien und Kopenhagen passiert war. Dann merkten sie, dass gerade der Islamische Staat speziell jüdische Gemeinden als Ziel hat. Wir waren schon seit Jahren davon überzeugt, aber die Polizei sah das eben anders."
Bedrohung für jüdische Gemeinden in Frankreich
Noch mehr als in England aber seien die jüdischen Gemeinden momentan in Frankreich bedroht, meint Deidre Berger, vom American Jewish Comittee in Berlin.
"In Frankreich gibt es sehr viele Gewalttaten was erschreckend ist. Es gab letztes Jahr eine Verdopplung antisemitischer Vorfälle. Das ist viel und das bedeutet in dem Alltagsleben, dass man schon ein bisschen anders lebt."
Auch in Frankreich gibt es, ähnlich wie in England, einen Schutzdienst jüdischer Gemeinden. Formal sogar schon länger als in England. Auch dort trainiert man die Mitglieder der jüdischen Gemeinden, wie man sich bei Angriffen am besten verhält. Nicht nur dass diese Angriffe sich im letzten Jahr mehr als verdoppelt hätten, betonen Vertreter der französischen jüdischen Gemeinden im Gespräch. Mittlerweile seien solche Angriffe aber fast völlig unvorhersehbar. Ein Schutz daher umso schwieriger. Im Gegensatz zum englischen CST aber will man sich öffentlich gar nicht äußern. Offenbar zu gefährlich.
In Deutschland habe es zwar auch einen Anstieg antisemitischer Angriffe gegeben, meint Deidre Berger, trotzdem sei die Situation hierzulange völlig anders.
"In Deutschland nimmt der Staat seine Verantwortung für jüdisches Leben sehr war und da existiert schon sehr viel Sicherheitsabsprechung mit einzelnen Gemeinden und das ist sehr wichtig und das ist nicht neu."
Zahlenmäßig sind die jüdischen Gemeinden in England und Frankreich deutlich größer. In Frankreich gibt es alleine 700 Synagogen, die es zu schützen gilt. Trotzdem könne der Blick nach Frankreich auch für die deutsche Regierung hilfreich sein, glaubt Deidre Berger.
"Deutschland macht schon eine Menge, wenn die Regierung eine Stelle schaffen könnte von jemand so wie in Frankreich… wo ein Beauftragter im Premierministerbüro sitzt jetzt mit einem ganzen Stab um zu koordinieren."
Dort wurde jetzt die Stelle eines Beauftragten für Antisemitismus und Rassismus geschaffen. So etwas sollte es hier auch im Kanzleramt geben, findet Deidre Berger.
"Es passiert viel in den verschiedenen Ministerien, im Parlament in der Zivilgesellschaft, aber keine koordiniert alle diese Initiativen. Das wäre sehr wichtig für die Erkenntnislage und auch für den Aufbau neuer Programme gegen Antisemitismus."