Straßennamen

Benannt nach einem Judenhasser

05:19 Minuten
Das Straßenschild der Martin-Luther-Straße in Berlin-Schöneberg im Dunklen im Winter. Schnee liegt auf einer Ampel, eine andere zeigt rot.
Die Martin-Luther-Straße in Berlin trägt den Namen eines Mannes, von dem nicht nur seine frommen Ideen bekannt sind, sondern auch seine antisemitischen Überzeugungen. © picture alliance/dpa/Christoph Soeder
Von Sebastian Engelbrecht |
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Die Namen von 290 Straßen und Plätzen in Berlin haben laut einer Studie antisemitische Bezüge. Viele sind skeptisch, ob man etwa den Richard-Wagner-Platz umbenennen soll. Der Studienautor hat für die meisten Straßen ohnehin einen anderen Vorschlag.
Richard Wagner war ein großer Musiker, wovon die Ouvertüre der „Meistersinger“ zeugt. Allerdings war er auch ein glühender Judenhasser und pflegte antisemitische Vorurteile. In seinem Text „Das Judenthum in der Musik“ schrieb er 1850:
„Der Jude ist nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge dieser Welt wirklich bereits mehr als emanzipiert: er herrscht, und wird so lange herrschen, als das Geld die Macht bleibt, vor welcher all unser Tun und Treiben seine Kraft verliert.“
Darf die Stadt Berlin einem wie Richard Wagner weiterhin die Ehre geben, einen Platz und eine Straße nach ihm benennen? Diese Frage stellt Samuel Salzborn, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Berlin.

Fast 300 Straßen und Plätze

Bei dem Politologen Felix Sassmannshausen gab Salzborn eine Studie in Auftrag. Der fand heraus, dass 290 Straßen und Plätze in Berlin antisemitische Bezüge aufwiesen. Mit der Studie will Salzborn „eine systematische Grundlage für eine wichtige gesellschaftliche Diskussion schaffen“.
„Es setzt eine kritische Auseinandersetzung in Gang, und das führt – so ist meine Hoffnung – zu einer Stärkung von historischer und politischer Bildung, dass man dann eben auch letzten Endes sich stärker bewusst wird: In welcher Straße lebt man vielleicht? Und das muss man, glaube ich, aber auch als Perspektive sehen: Was macht das mit anderen Menschen, was macht das zum Beispiel mit Jüdinnen und Juden, wenn sie in einer Straße leben, die nach einem prominenten Antisemiten benannt ist oder nach einer Person, die sehr viele antisemitische Äußerungen formuliert hat?“
Nicht nur die Ehrung Richard Wagners stellt Salzborn in Frage. Auch über den Fortbestand der Martin-Luther-Straße soll diskutiert werden, eine breite Magistrale im Westen der Stadt. Und selbst die Goethestraße stellt der Antisemitismusbeauftragte zur Diskussion. In der Forschung sei von einem „zwiespältigen Verhältnis“ Goethes zu Juden die Rede, heißt es im „Dossier“, das Salzborn in Auftrag gab. Goethe bediene in seinen Schriften „antijüdische Stereotype“.
„Antisemitismus hat eine Vorgeschichte, und diese Vorgeschichte ist nicht einfach so irgendwann auch da gewesen, sondern sie ist prägend für Gesellschaften gewesen, die sich bis in den Nationalsozialismus hinein radikalisiert haben“, sagt Salzborn.

Umbenennen – oder einen glühenden Antisemiten ehren?

Am Richard-Wagner-Platz in Berlin-Charlottenburg ist die Diskussion schon angekommen, einer unwirtlichen Kreuzung. An vier U-Bahn-Eingängen prangt der Name des antisemitisch denkenden Komponisten.
„Mag ja sein, aber trotz alledem, da können sie ja bald jede Straße, jeden Platz umbenennen“, sagt eine Frau namens Astrid. „Wenn die einmal was da sagen. Man sagt ja so oft: ‚Ach, ich bringe den um, scheiß Jude.‘ Sagt man einfach so. Rutscht einem raus. Aber ich meine es doch nicht so.“
Eine andere Frau findet: „Wenn es wirklich so ist, dann finde ich schon, dass es umbenannt wird. Aber irgendwann nimmt es dann auch mal Überhand.“ Ein Ehepaar ist gegen eine Umbenennung des Richard-Wagner-Platzes: „Man sollte nichts übertreiben.“ „Nee, das sollen sie mal so lassen, wie es ist.“ „War ein großer Künstler – und sollte man mal lassen. Ich weiß aber, dass er ein Antisemit war.“

Skepsis auch bei jüdischen Menschen

Kritik an Salzborns Liste regt sich nicht allein auf der Straße. Der Historiker Michael Wolffsohn, selbst ein Jude, meint, wer Straßen umbenenne oder Denkmale stürze, gebe vor, das Geschehene rückgängig machen zu können, als hätte es nie existiert.
„Zur Geschichte gehören Lichtseiten ebenso wie Schattenseiten. Ebenso wie zu einem Tag die Helligkeit und die Dunkelheit gehören. So ist das nun einmal. Dass nach Verbrechern keine Straßen benannt werden können, ist dabei selbstverständlich.“
Wolffsohn fühlt sich erinnert an die Stalin-Ära, in der Fotos, auf denen ursprünglich Trotzki zu sehen war, retuschiert wurden. „Ja meine Güte, was ist denn das für eine Geschichtssicht? Im Namen des Fortschritts die Dummheit und die Lüge propagieren? Also ich bin nicht dabei.“
Bei der Umfrage auf dem Richard-Wagner-Platz pflichtet Miriam Levin ihm bei: „Ich bin selbst Jüdin. Aber wenn wir so vorgehen, dann können wir die ganze Geschichte neu schreiben. Und je nach dem, welches Regime an die Macht kommt, schreiben wir die Geschichte wieder neu. Jetzt befinden wir uns offenbar in einer Welt von Gutmenschen, die noch nie einen Krieg erlebt haben, die für sich erfinden, was jetzt moralisch gut ist. Und ich finde, das ist eine sehr, sehr bedenkliche, radikale Entwicklung in dieser Gesellschaft.“

„Fragwürdiger Ansatz“ oder Diskussionsimpuls?

Selbst der Aufklärungsphilosoph Johann Gottfried Herder steht aufs Salzborns Liste mit den 290 Straßennamen. Dieser habe im dritten und vierten Teil seiner „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ „frühantisemitische Motive“ verwendet. Auch deshalb bescheinigt Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper Berlin, ebenfalls jüdischer Herkunft, dem Berliner Antisemitismusbeauftragten einen „fragwürdigen Ansatz“.
Im Fernsehsender „arte“ befindet Kosky: „Ich bin gegen jede Form von Listen. Listen spielten in Deutschland im 20. Jahrhundert eine sehr dunkle Rolle. In der Nazi-Zeit gab es viele Listen, in der DDR gab es auch viele Listen. Nazilisten, Stasilisten. Ich brauche keine Liste zu jüdischen Themen. Schon die Idee einer solchen Liste jagt mir große Angst ein.“
Er wolle doch nur den „Stein der erinnerungspolitischen Diskussion ins Rollen bringen“, hält Samuel Salzborn dem entgegen:
„In der großen Mehrheit sind die Vorschläge, die von dem Autoren, Dr. Felix Sassmannshausen, entwickelt werden, ja auch gar keine Umbenennung, sondern eine Form von erinnerungspolitischer Auseinandersetzung, sei es durch weitere Forschung, die in manchen Fällen wirklich nötig ist, aber sei es dann auch durch Kontextualisierung, und das meint zum Beispiel in digitalen Straßenverzeichnissen oder eben auch vor Ort mit einer entsprechenden Erinnerungsplakette oder mit einer entsprechenden Informationstafel.“
Den älteren Herrn, der alltäglich über den Richard-Wagner-Platz läuft, wie seit Jahrzehnten, rührt es wenig. Der Name muss bleiben – findet er: „Das sollte man schon so lassen. Man soll nicht alles ändern hier. Das ist ewig her. Und die Musik ist toll.“

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