Antisemitismus-Studie

Ein vielstimmiger Streit

Szene von der Demonstration "Steh Auf! Nie wieder Judenhass!" vor dem Brandenburger Tor in Berlin am 14. September 2014.
Szene von der Demonstration "Steh Auf! Nie wieder Judenhass!" vor dem Brandenburger Tor in Berlin am 14. September 2014. © imago stock & people
Von Thomas Klatt |
Die Studie hat gut 130 Seiten, in Auftrag gegeben von der Landeskommission Berlin gegen Gewalt. Titel: "Antisemitismus als Problem und Symbol". Seit Monaten wird diese Studie schon heftig kritisiert, unter anderem von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.
"Es gibt viele jetzt, die nicht mehr öffentlich jetzt sich zur Schau stellen wollen als jüdisch, die nicht mehr ein Kippa auf dem Kopf tragen wollen, einen Davidstern als Kette. Wenn das Problem schon so verbreitet ist, wie kann man da nur von Symbol reden?"
Deidre Berger, Leiterin des Berliner Büros des American Jewish Committee, kritisiert die aktuelle Studie im Auftrag des Berliner Innensenats scharf. In "Antisemitismus als Problem und Symbol" werde lediglich von "antisemitischen Phänomenen" gesprochen, die allein von jüdischen Mitbürgern als besonders emotional empfunden würden, objektiv aber gar nicht so schlimm seien.
"Zu einer Zeit, wo es in Deutschland wie auch in anderen europäischen Ländern die jüdischen Gemeinden zunehmend mehr Angst haben wegen der zunehmenden Anzahl antisemitischer Vorfälle ist es für uns schwierig zu verstehen, wie eine Studie zu dem Schluss kommen konnte, dass antisemitische Vorfälle nur emblematisch sind und dass jüdische Meinungen dazu eigentlich gar nicht zählen, weil Juden im Allgemeinen sehr überemotionalisiert sind."
So steht in der Studie geschrieben:
"Charakteristisch für die jüdischen Perspektiven ist, dass einzelne Vorkommnisse von herausragender symbolischer Bedeutung im Zentrum der eigenen Bedrohungswahrnehmung stehen."
Der Studie fehle somit jegliche Sensibilität für das Thema, kritisiert Deidre Berger. Antisemitische Stimmungen etwa an Schulen würden gar nicht ernst genommen.
"Man muss wenn Leute nicht reagieren auf Anfragen das weiter analysieren. Zum Beispiel Schulleiter, die ihre Schule nicht in Misskredit bringen wollen, reden nicht offen über Vorfälle an Schulen, das wissen wir. Leute, die etwas erlebt haben an antisemitische Vorfälle, gehen nicht zu der Polizei, weil sie das Gefühl haben, das wird sowieso nicht ernst genommen. Das Problem ist, dass die Wissenschaftler nicht die Zugänge gefunden haben, um das Problem in voller Dimension beschreiben zu können."
Antisemitismus unter Muslimen kleingeschrieben
Gerade der Antisemitismus unter Muslimen werde kleingeschrieben. Als würden junge Araber oder Türken es im Grunde gar nicht ernst meinen und sich nur gegen Juden wenden, weil sie sich selbst unterdrückt fühlten.
Zudem werde Initiativen und Organisationen, die gegen Antisemitismus angehen, ein Eigeninteresse und Überbetriebsamkeit unterstellt.
"Die Beteiligten sind zu großen Teilen in politisch-moralischen Milieus verwurzelt, in denen ein 'Kampf gegen Antisemitismus' eine große identitätsstiftende Bedeutung hat. Dies kann zu einer Art von 'Betriebsblindheit' führen."
Nicht Regierungs-Organisationen, jüdische wie nicht-jüdische, würden sich wichtig machen, indem sie permanent die Gefahr des Antisemitismus beschwören, auch um darüber mehr Fördergelder für sich zu reklamieren.
"Die öffentlichen Debatten über Antisemitismus sind häufig geprägt durch Skandalisierung, Kampfrhetorik, Parteinahmen, bekenntnishafte Positionierungen und Grundsätzlichkeiten. Das dominante rhetorische Gefühl ist die Empörung."
"Es beleidigt jüdische Perspektiven und es beleidigt auch die NGOs, die sehr viel daran arbeiten, um gegen dieses Phänomen zu kämpfen. Diese Studie teilt die NGO-Welten in zwei Lager, ein pessimistisches und ein ausgewogenes Lager. Das halte ich für keine wissenschaftliche Aufteilung."
Welcher Überfall ist antisemitisch und welcher nicht?
Doch der so heftig kritisierte Mitautor der Studie, Michael Kohlstruck vom Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin, wehrt sich. Er bemühe sich als Politologe um ein objektiv-wissenschaftliches Bild. Die Studie wolle darauf hinweisen, dass es im Grunde "den Antisemitismus" gar nicht gebe. Allein schon die Quellenlage sei unsicher. So sei die Polizeistatistik uneindeutig, welcher Überfall nun antisemitisch sei und welcher nicht. Werde jeder Überfall auf einen Israeli auch gleich als ein Überfall auf einen Juden registriert? Auch sei unsicher, was die Akteure jeweils unter Antisemitismus verstehen würden.
"Die Existenz antisemitischer Phänomene ist keine Chimäre, das gibt es. Aber wir haben eine Art des unpräzisen Redens darüber in der Bundesrepublik entwickelt, dass diese real existierenden Phänomene überwölbt werden von einer Ebene symbolischer Kommunikation, wobei das Symbol des Anti-Antisemitismus, manche sagen es mit böser Absicht, wie ein Mantra vor den Akteuren hergetragen wird, aber dabei immer unterstellt wird, es sei in sich einheitliches Problem. Sie sagen Antisemitismus und verwenden diesen Begriff für Bezeichnung von Schimpfwörtern auf Schulhöfen und für den Genozid an den europäischen Juden."
Kohlstruck beruft sich auf mehr auf 30 Interviews mit jüdischen wie nicht-jüdischen Akteuren und Initiativen. Ergebnis: Jeder verstehe unter Antisemitismus genau das, was in seine Agenda beziehungsweise Förderrichtlinien passt.
"In ganz vielen Fällen haben wir keine klaren Antworten enthalten, und das ist nicht unproblematisch, wenn diese, die diese ungefähren und vagen Antworten geben, gleichzeitig dezidiert Bildungsarbeit gegen Antisemitismus machen. Da würde man sich wünschen und erwarten, dass doch ein klarer Begriff des Kernproblems gegeben werden kann."
Erstaunliche Schlüsse
Die Studie kommt in ihrer Analyse aber zu erstaunlichen Schlüssen. Wenn man das Problem Antisemitismus etwa in der Schule angehen wolle, so sei es geradezu kontraproduktiv, mit Schülern nach Israel zu fahren.
"Derartige deutsch-israelische Begegnungsprojekte können bei jugendlichen Teilnehmenden ungewollt eine Gleichsetzung der Kategorien "Israelis" und "Juden" befördern und damit eine angemessene Problematisierung von heutigen Antisemitismus-Phänomenen zuwiderlaufen."
Im 50. Jahr der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel rät eine Senatsbroschüre also indirekt von Israel-Fahrten ab. Der Vorsitzende der deutsch-israelischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg, Jochen Feilcke, zeigt sich darüber irritiert:
"Ich bin erschrocken zu lesen, dass hier diese Forschungsarbeit des Zentrums für Antisemitismus-Forschung gegen solche Reisen von Schülergruppen nach Israel ist, weil sie da ja möglicherweise so etwas wie eine Befangenheit vermittelt bekommen."
Die Studie ist aber alles andere als eine Werbung für Israel-Fahrten. Zudem haben im letzten Jahr lediglich fünf Schulen in ganz Berlin Israel-Fahrten durchgeführt, vom Land Berlin gefördert mit rund 14.000 Euro. Die Studie hat dagegen gut 50.000 Euro gekostet. Die Deutsch-Israelische-Gesellschaft und das American Jewish Committee fordern mittlerweile die Zurücknahme der Studie. Der verantwortliche Staatssekretär im Berliner Innensenat, Andreas Statzkowski sieht dazu keine Veranlassung:
"Was die Senatsverwaltung für Inneres und Sport mit Sicherheit nicht tun wird und was meiner Meinung auch den Grundsätzen widerspricht, ist eine Einflussnahme auf die Inhalte dieser Studie und deren inhaltlichen Ausrichtung. Insoweit ist es völlig legitim, sich über eine wissenschaftliche Studie auch kritisch auseinanderzusetzen und diese Diskussion zu führen."
Über die Broschüre hinaus wird generell Kritik an der Arbeit des Zentrums für Antisemitismus-Forschung (ZfA) laut. Der Hamburger Politikwissenschaftler Matthias Küntzel sieht die deutsche Antisemitismus-Forschung in einer tiefen Krise. Einerseits werde nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa mit einem nicht mehr gekannten Ausmaß von Antisemitismus überzogen. Andererseits reagiere das Zentrum nicht darauf. Beweis dafür ist ihm die neueste Publikation aus dem ZfA. Der Antisemitismus werde auf ein Mindestmaß reduziert.
"Die Definition des Begriffs Antisemitismus wird so zurechtgestutzt, dass der Angriff auf Israel oder auf zionistische Juden gar nicht mehr darunter fällt. Künftig, so die ZfA-Broschüre, soll das Substantiv Antisemitismus nur noch dann gelten, wenn es Zitat die Ablehnung von Juden als Juden geht. Wenn also zum Beispiel in Berlin ein Israeli als Israeli angegriffen, angepöbelt, verprügelt wird, wäre es kein Antisemitismus, weil es ja nicht gegen Juden als Juden geht. Wenn aber die gleiche Person als Jude beschimpft und dann verprügelt wird, dann würde das unter den Begriff des Antisemitismus fallen. Und bei dieser Art von Definition ist selbst ein Ahmidinidschad, der nur den jüdischen Staat, aber nicht die Juden als Juden auslöschen will, vom Stigma des Antisemitismus befreit."
Unerträgliche Nivellierung
Warum aber arbeiten keine Juden beim ZfA mit? Und wieso habe das ZfA bis heute nicht die israelfeindliche Hamas-Charta ins Deutsche übersetzt, fragt Küntzel? Zudem betreibe das ZfA eine unerträgliche Nivellierung, wie sie schon der ehemalige Leiter Wolfgang Benz vorgenommen hatte, als sei Antisemitismus vergleichbar mit Islamophobie. Damit werde ein Verrat an der Gründungs-Idee des Zentrums verübt.
"Die Gründung dieses Zentrums ging von Heinz Galinski, dem damaligen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde von Berlin, sowie vom TU-Präsidenten Rolf Berger aus. Es sollte vor allem die Ursachen, Triebkräfte, Erscheinungsformen und Auswirkungen des modernen Antisemitismus ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erforschen. Diese Forschung sollte gegenwartsbezogen sein und sich auf europäische und außereuropäische Entwicklungen erstrecken."
Stefanie Schüler-Springorum, Leiterin des Berliner Zentrums für Antisemitismus-Forschung, aber weist die Kritik zurück. Ihr Institut als Teil der Technischen Universität diene eben der wissenschaftlichen Begleitung und nicht der aktiven Arbeit gegen Antisemitismus.
"Was wir tatsächlich nicht machen, das ist Antisemitismus-Prävention. Wir sind kein pädagogisches Institut oder keine NGO. Das ist nicht unsere Aufgabe, wohl aber aus wissenschaftlicher Sicht Hinweise zu geben: Antisemitismus und Religion, Antisemitismus und Geschlecht, Antisemitismus und Rechtsradikalismus, und wo es uns darum geht, Lehrer-Multiplikatoren fortzubilden."
Aber den Vorwurf, dass am ZfA keine Juden arbeiten, hält die Leiterin für absurd. Eine Juden-Quote könne es gar nicht geben.
"Die jüdische Wahrnehmung von Antisemitismus ist wichtig. Grundsätzlich haben hier immer Juden gearbeitet und Nicht-Juden, und diejenigen jüdischen Doktoranden würden sich bedanken, wenn sie jetzt hier als jüdische Doktoranden firmieren müssten, um irgendeine Quote zu erfüllen."
Statt sich aber gegenseitig zu kritisieren, sollten vielmehr alle Beteiligten in der Antisemitismus-Arbeit und -Forschung zusammenarbeiten, appelliert die ZfA-Leiterin Stefanie Schüler-Springorum.
"Es ist glaube ich vielen nicht klar, in wie weit sie die jungen Forscher, die hier arbeiten und die sich von morgens bis abends mit großer Leidenschaft dem Thema Antisemitismus-Forschung widmen, in wie weit sie durch solche Debatten nicht auch stark beschädigt werden, weil einfach diese Arbeit nicht gesehen wird, das ist das, was mich am meisten ärgert."
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