Antje legt ab

Mit dem Frachtschiff von Hamburg nach Helsinki |
Die M/V Antje Russ - von allen nur Antje genannt - ist knapp zehn Jahre alt, 118 Meter lang und 18 Meter breit. Mit zwölf Mann Besatzung und bis zu 650 Containern verlässt sie jedes Wochenende den Hamburger Hafen und verteilt ihre Ladung auf die kleineren Häfen der Ostseeanrainer. Direkt nach dem Gebot der Sicherheit kommt das Gebot der Eile. Für Romantik à la Hans Albers ist im Alltagsgeschäft der Globalisierung kein Platz.
"Wir fahren jetzt los. Bitte mit ELO."

Sonntagabend, 18 Uhr, Hamburger Hafen, Burchardkai. Ein Lotse und ein Kapitän.

Der Gestank von Schweröl und der Duft der weiten Welt.

"Volles Programm?
Volles Programm. Wir sind jetzt 14 Personen.
Eins, vier. Und die Reise geht nach ...?
Helsinki.
Helsinki."

"Der Wind ist jetzt ein bisschen auflandig hier. Das heißt, wir werden unheimlich schwierig hier wegkommen."

Kai Gödde, Kapitän der Antje. 32 Jahre alt, ein Kerl wie ein Mastbaum in Jeans und T-Shirt.

"Antje legt ab."

Die MV Antje Russ – von allen nur Antje genannt - ist knapp zehn Jahre alt, 118 Meter lang, 18 Meter breit und mit der aktuellen Ladung gut 9000 Tonnen schwer und gut sieben Meter tief im Wasser. 259 Containern aus Houston und Chicago, aus Valparaiso und Cartagena, Hongkong, Montreal, Tokio und dem Rest der Welt. Besitzer der Antje: eine Fondgesellschaft, die Besserverdienenden hilft Steuern zu sparen; Betreiber: die deutsche Reederei Ernst Russ, die Ladung besorgt ein extra Charterunternehmen. Antje ist ein Feederschiff – nach dem englischen "to feed " - "füttern". Feederschiffe dienen als Zubringer zwischen den großen Überseeterminals und kleineren Häfen. Die Aufbauten – so etwas wie das Schiffshaus – befindet sich am Heck, am Ende des Schiffes. Ganz oben auf dem Deck – sozusagen im sechsten Stock – liegt auf ganzer Breite die rundumverglaste Brücke. Von hier aus wird das Schiff gesteuert. Viel Kunststoff, viel Technik und ein grandioser Ausblick. Eine Klimaanlage sorgt für bullige Wärme.

"Also das ist immer so ein Standardmanöver 'über die Vorspring abklappen’. Wir geben jetzt die Maschine voraus, 'hart Ruder' und vorne haben wir einen Bugstrahler, der drückt auch ein bisschen mit weg – dafür brauchen wir dann selten einen Schlepper."

Göddes Blick konzentriert, zwischen den Fingern ein Hebel, nicht größer als ein Kugelschreiber – die Steuerung. Manövrieren als Zentimeterarbeit.

"Vorleine ...
Und los die Vorleine Reinhard.
Und los die Vorleine."

Hinter Kapitän und Lotsen, der erste Offizier Michael Krebs, blond, schlank, umsichtig. Mit dem Funkgerät hält er Kontakt zu den Matrosen, die für die Leinen, also das Losmachen des Schiffes verantwortlich sind.

"Kalt … dieses Nasskalte – das ist fürchterlich – das geht einem in die Knochen."

Am Bug, zusammen mit zwei Kollegen an den Leinen: Schiffsmechaniker Reinhard Dahms, 58 Jahre alt, schwarz-graue Haare, schwarz-graue Bartstoppeln, reichlich Falten, glänzende Augen – ein Seemann wie aus dem Bilderbuch. Die schweren Leinen mit dem Durchmesser einer großen Untertasse sind nur mit Hilfe einer hydraulischen Winde zu bewältigen.

"Viele denken immer, man zieht die Leinen da selber ran."

Die Leinen sind los.

"Springe ist los!"

Gödde manövriert seine Antje durchs Hafenbecken. Der Lotse kümmert sich um "freie Fahrt".
"Hier ist die Antje. Vor dir ist frei? – Vor mir ist frei, ja. – Ich bin jetzt 100 Meter von der Ausfahrt entfernt. Ich komme gleich aus dem Parkhafen. – Wenn du 100 Meter entfernt bist, dann komm doch raus."

Langsam durch den Parkhafen auf die Unterelbe. Kapitän und Lotse sitzen auf den beiden Steuerplätzen, vor Ihnen Radargeräte und ein großer Monitor mit der elektronischen Seekarte. Darauf nicht nur alle Untiefen und Küstenlinien, sondern auch die jeweils aktuelle Positionen der Antje und aller anderen Schiffe im Umkreis, incl. eines jeweils genauen Steckbriefes mit Typ, Kurs, Geschwindigkeit.

"So im Moment ist das nächste Blankenese, der kleine Tanker. Sonst ist nichts …"
Der Verkehr überschaubar. Gödde ein wenig entspannter. Die Brücke um ihn herum im Dunkeln. Kein Licht das irritiert oder ablenkt.

Auf Höhe des Schiffdecks in der Mannschaftsmesse, dem kleinen, schlichten Aufenthalts- und Essensraum der Matrosen. An den Wänden keine Bilder von Seemannsbräuten, Sonnenuntergängen oder Segelschiffen, sondern - wie überall auf dem Schiff - Sicherheitshinweise, Organisationsrichtlinien, Notfallpläne und Zertifikate.

Schiffsmechaniker Dahms - eine schnelle Kippe, ein schneller Kaffee.

"Ich war frei, ich war zum ersten Mal frei. Das war weg von zu Hause. Ich war nicht mehr unter der Fuchtel von meinem alten Herrn oder von meiner Mutter."

Ein tiefer Zug, eine geballte Ladung Nikotin. Erinnerungen an die ersten Arbeitstage auf See mit 19 - vor knapp 40 Jahren.

"Es war wunderbar. Wir fuhren Westafrika. Für mich war das der Anfang der großen weiten Welt, wie man so schön sagt. Das war phantastisch. Ich hätte in dem Moment gar nichts anderes mehr machen wollen. Ich weiß nicht: wie die anderen zu Hause. Fernsehgucken und Füße unter den Tisch, das ist nicht meine Welt. Ich muss Bewegung haben."

Ein Grinsen. Unterwegs auf allen Weltmeeren, teilweise über drei Jahre am Stück nicht zu Hause. Seefahrerromantik? Nein. Die Kippe klebt an der Unterlippe.

"Das gibt es nur in schlecht geschriebenen Büchern. Seefahrerromantik – ich weiß nicht, was das ist. Ich kann mir das nicht vorstellen. So tun als ob oder was nach oben loben, was gar nicht existiert – das ist das Schlimmste was es geben kann. Ich hab in meiner Seefahrerzeit noch keine Romantik erlebt praktischerweise. Ich hab nur hart arbeiten müssen. Das war alles."

Die letzte Kippe jetzt im Aschenbecher, die neue schon in der Hand. Dahms hat ein Häuschen in einem kleinen Dorf in der Nähe von Bremen, wo er aufgewachsen ist. Das ist ein Platz für seine Modelbauschiffe - mehr nicht.

"Was ist meine Heimat? Also hier fühle ich mich Zuhause, auf’m Schiff. Solange ich hier bin und so lange ich hier arbeite, bin ich Zuhause. Das da, was ich da habe, weiß ich auch nicht, das ist – da verbringe ich meinen Urlaub. Das ist zwar mein Elternhaus, aber hängen tue ich da nicht dran. Das hier ist mein Zuhause praktisch. Ich glaube, da würde ich mehr dran hängen als - ich weiß es nicht."

Oben auf der Brücke – Abschied vom Hafenlotsen.

"Der Hafenlotse geht jetzt von Board und der ELO steigt jetzt auf, der Elbelotse. Das ist eigentlich so die Regel. Jeder hat sein Revier, das fährt er."

1. Offizier Krebs beobachtet ganz am Rand der Brücke von oben ein kleines Boot, das sich längsseits an die Antje drängen will, um den Hafenlotsen aufzunehmen und den Elblotsen zu übergeben. Bereits der zweite Versuch.

"Das wird nichts. Oder?
Nee, er fährt nebenher. Ich weiß auch nicht warum. Es ist ein bisschen wellig, aber nicht so doll.
Jetzt kommt er ran.
Ja, ist längsseits.
Pilot on board."

Mit 16 Knoten – knapp 30 Stundenkilometer – die Elbe runter. Rechts, also steuerbord – die Lichter der Villen von Hamburg Blankenese. Links – also backbord - entgegenkommend ein Riese, ein Frachtschiff mit Platz für circa. 12.000 Container. Da wirkt selbst die Antje winzig.

"N’ abend.
Morjen.
Hallo. Morgen Kapitän.
Gödde, hallo."

Der Elblotse erreicht die Brücke, setzt sich auf seinen Platz, macht Licht an.

"Lass mal an zum Schreiben.
Am Kartentisch haben wir auch Licht."

Gödde macht das Licht wieder aus. Er will die Brücke dunkel, wegen der Konzentration, dem Blick nach draußen. Potenzielle Gefahren und Hindernisse müssen so früh wie möglich erkannt werden. Der Bremsweg der Antje liegt unter diesen Bedingungen bei circa einem Kilometer. Der Lotse verzieht das Gesicht, geht weiter nach hinten, wo die Lampe nicht stört, füllt ein Formular aus.

"Wo geht die Reise hin?
Helsinki.
Ist Flagge Deutsch?
Jawoll.
Länge?
118.
Breite?
118.
Wie viel Leute an Board?
14."

Papierkram erledigt.

"Sie lenken weiter? Drehen, drücken, drehen."

Der Lotse am Steuer. Gödde daneben. Er trägt die Verantwortung. Zwischenziel ist Brunsbüttel, die Einfahrt und Schleuse in den Nord-Ostsee-Kanal.

"Kann ich ihnen Kaffee oder Tee anbieten?
Ja, Kaffee wäre nett. Schwarz, nicht zu stark bitte."

Wieder macht der Lotse Licht an. Gödde hebt die Augenbrauen. Er ist der Kapitän.

"Lotse, ich mache das Licht jetzt zum zweiten Mal aus, wenn sie schreiben möchten, können sie das bitte am Kartentisch machen."

"Der Kapitän ist in meinen Augen heute noch eine Respektperson, ob der nun 20 Jahre alt ist, oder ob der nun 60 Jahre alt ist."

Unten in der Messe Dahms beim dritten Kaffe und der x-ten Zigarette.

"Früher wurden ja Kapitäne gemacht, die als Erster fuhren lange Jahre und die dann betriebsblind wurden und dann hat man sie schnell zum Kapitän gemacht. Heutzutage hat man halt Kapitänsmangel und wenn da ein guter Erster ist, warum soll man den nicht zum Kapitän machen, auch wenn der 20 Jahre ist oder 27. Also für mich macht das keinen Unterschied."

Der Blick raus in die Nacht, am Ufer kurz ein paar Lichter. Dahms - bald 40 Jahre auf See. Das sind viele Geschichten und wohl auch etwas Seemannsgarn. Irgendwann - so der Traum - soll daraus ein Buch werden. Nicht unbedingt ein lustiges.

"In all den Jahren, die ich jetzt mitgemacht habe, man verliert viel, man verliert sehr viel. Ich habe nichts gewonnen – gar nichts, wenn ich ehrlich bin. Gewonnen habe ich durch die Seefahrt nichts. Ich habe mein Geld verdient, das ist richtig, aber alles andere an Beziehungen und sonst dergleichen, das ist alles kaputt gegangen dadurch."

Und das Meer? Die Liebe der Matrosen? Oder ihr natürlicher Feind? Dahms lehnt sich zurück.

"Ne, Angst habe ich überhaupt nicht davor. Nein. Lieben kann ich es auch nicht. Manchmal hasst man das sogar richtig. Es ist unberechen -, es ist wild. Vielleicht passt das gerade zu mir. Das weiß ich nicht. Das kann man gar nicht so beschreiben. Ich finde das toll diese Naturgewalten, die da auf einen zukommen. Das ist gewaltig. Ich mag es."

"Das ist jetzt Brunsbüttel alles. Eine Stunde Wartezeit oder dreiviertel Stunde Wartezeit werden wir wohl haben. Das letzte Mal habe ich immer Glück gehabt. Gleich rein."

Die Schleuse zum Nord-Ostee-Kanal in Sicht. Andere Schiffe warten schon - Stau. Gödde geduldig. Irgendwo muss er warten, also parken. Vorschlag vom Lotsen

"Wir haben Nordwestenwind, vier bis fünf sage ich mal. Ich würde vorschlagen, wenn sie nichts dagegen haben, dass wir da mal hinfahren in etwa.
Jo kein Problem.
Dann wir die Ecke Elbehafen, dann können wir uns Nordwesten wenden.
Ja denke ich auch.
Wenn sie nicht ankern wollen.
Wir gucken uns das mal an, wenn er sagt, die nächste, die ist ja fast angelaufen jetzt."

Mit Maschinenkraft und Geschick hält Gödde seine Antje auf Position.

"Weil ankern immer ... da müssen wir wieder alle Leute wecken. Und bei dem Wind ist das sowieso so eine Sache, ob der Anker hält. Hier fliegt gerade wieder so ein Böe rüber."
"Seit 95 fahre ich als Erster, als Chief."

Acht Decks tiefer im Maschinenkontrollraum - Hans Weißflog, Jahrgang 60, Erster Ingenieur der Antje, auch Chief genannt.

"Hier haben wir noch mal so eine Motorüberwachung. Können sie sehen die einzelnen ... Abgastemperaturen, Lagertemperaturen, Turboladerumdrehungen …"

Weißflog, ein zupackender Mann mit hoher Stirn und freundlich verbindlichem Lächeln zeigt auf die grauen Metallwände mit den zu kontrollierenden Armaturen. Zusammen mit einem zweiten Ingenieur ist er für die komplette Technik und Elektrik verantwortlich. Bei allen Manövern, bei allen Fahrten auf engen Revieren sitzt einer der beiden unter Deck, überwacht die Maschinen.

"Falls etwas schief geht, falls irgendetwas ausfällt. Deswegen sitzen wir hier unten. Damit man eingreifen kann. Das ist eigentlich nur zur zusätzlichen Sicherheit."

Kurzer Blick in den penibel sauberen, grün-weiß gestrichenen Maschinenraum. Ein Acht-Zylinder-Turbo-Diesel, gut zehn Meter lang, zwei Meter hoch, zweieinhalb Meter breit und 100 Tonnen schwer. Knapp 6000 KW, etwa 8500 PS für maximal 18 Knoten, gut 30 Stundenkilometer.

"600 bis 700 Tonnen können wir bunkern, am Tag verbrauchen wir so ungefähr 20 Tonnen. Das sind 20.000 Liter pro Tag."

Es gibt eine eigene Frischwasseraufbereitungs- und eine Kläranlage, sowie ständige, genaue Kontrollen und Prüfungen aller Art und wenn die Antje wie jetzt unterwegs ist, wird der Strom mit einem Wellengenerator erzeugt.

20 Stunden später, abends auf der Höhe von Öland. Mit 17 Konten Richtung Finnland. Auf der Antje kehrt Ruhe und Entspannung ein. Ein Schiff gehört auf See. Keine gefährlichen Hafenmauern, Kanalwände oder Untiefen, die Probleme machen und Nerven kosten. Kein Laden oder Löschen, keine kontrollierenden Behörden.

In der kleinen Offiziermesse - Sitzecke, Tisch, drei Stühle, Schrankwand mit Fernseher - sucht Chief Weißflog mit wachsender Verzweiflung einen Fernsehsender, der ein wichtiges Spiel von Werder Bremen übertragen soll.

"Das ist kein Fußball, Hans.
Wollte ich auch gerade sagen, ich dachte, du wolltest Fußball gucken.
Ich denke, das ist ... die beiden Sportkanäle haben wir gehabt."

Die Suche erfolglos. Irgendwelche Musiksender, schwedische Werbung, finnische Talkshows – das muss nicht sein.

"Wind, was sie jetzt angesagt haben ist sieben bis acht."

Gödde am Kartentisch auf der Brücke. Die ist seit dem 11. September vorschriftgemäß durch ein Zahlenschloss gesichert, um Terroristen abzuhalten. So gibt es auch einen versteckten Knopf, über den bei einem Piratenüberfall in der Ostsee Alarm im Internationalen Meeresbüro in Kuala Lumpur auslöst werden kann. Göddes Sorgen gelten im Moment aber eher die Wetteraussichten - die sind schlecht.

"Da ist sieben bis acht angesagt und See nachher vier bis fünf Meter. Und da muss dann nicht unbedingt durchfahren."

Wind von vorn. Da ist der kürzeste Weg nicht unbedingt der beste. Mit Lineal und Bleistift sucht Gödde auf der Seekarte einen alternativen Kurs im Schutz der schwedischen Inseln.

"Normalerweise – hier ist Öland – würde das hierher gehen und dann hier auch. Aber bei Nordwestenwind oder bei Nordenwind kann man sich glaube ich auch als Laie vorstellen, was dann hier los ist. Fahren wir jetzt hier hoch, hier zwischendurch und dann wahrscheinlich mit Nordkurs bis hierhin und damit müssten wir auskommen bis in die Nacht und sobald das dann einigermaßen besser wird ziehen wir dann rüber. Und wenn es nicht besser wird, fahren wir hier entlang."

Mit den Koordinaten der einzelnen Zielpunkte füttert er den automatischen Piloten, der dann von einem der alle vier Stunden wechselnden Offiziere überwacht die Steuerung übernimmt.

Kleine Party in der Mannschaftsmesse. Bier, Chips, Musikvideos. Der zweite Offizier - ein schmaler freundlicher Mann mit Schnauzbart – gibt seinen Ausstand. Nach zehn Monaten an Bord geht es demnächst nach Hause, das heißt auf die Philippinen. Drei lang ersehnte Monate bei Frau und kleiner Tochter, dann wieder zehn Monate auf der Antje.

Das Schiff fährt unter deutscher Flagge. Das heißt unter anderem, dass der Kapitän und mindestens zwei der insgesamt fünf Offiziere die deutsche oder eine EU-Staatsangehörigkeit besitzen müssen. Sieben Mann der zwölfköpfigen Besatzung, davon zwei Offiziere stammen von den Philippinen. Einer von ihnen sorgt als Koch für drei warme Mahlzeiten am Tag. Die Philippinos werden als gute Seeleute geschätzt, machen keinen Ärger und - sind mit gut 1000 Dollar monatlich für einen Matrosen vor allem billig.

Draußen boxt sich die Antje durch die Wellen. Es geht auf und ab. Sitzen ist besser als Stehen. Die Stimmung familiär. Deutsche und Philippinos, Matrosen und Offiziere dichtgedrängt im Zigarettenqualm. Gödde stößt kurz mit an, dann rauf auf seine Kammer, beziehungsweise sein Büro direkt unter der Brücke.

Ein kleiner Wohn- und Arbeitsraum. Großer Schreibtisch mit Laptop, Familienfoto und angebrochener Tüte Gummibärchen. Sitzecke im Neonlicht. Daneben eine noch kleinere Kammer zum Schlafen, dahinter Toilette und Dusche. Nichts ist nobel, aber alles praktisch. Gödde wie immer in Jeans und T-Shirt. Uniform? Höchstens mal an Weihnachten.

"In dem Moment, wo die Leinen losgingen, wusste ich sofort, das ist genau das Richtige, das wird mir gefallen und so war es dann auch."

Gödde, 1974 im westfälischen Hagen geboren und aufgewachsen, in der Jugend begeisterter Segler, dann gelernter Schiffsmechaniker, Diplomingenieur mit Fachholschuldstudium – das Kapitänspatent. Ein paar Jahre als Offizier, schließlich: ein Kapitän erkrankt, Gödde bekommt eine Chance und nutzt sie - und jetzt ist er der Chef. Er ist es gern, wenn da nicht die ganzen Formulare, Listen, Abrechnungen und Berichte wären. Seine Finger streichen durch die kurzen braunen Locken.

"Überspitzt sagen würde ich, der Papierkram hat den höheren Stellenwert mittlerweile. Zumindestens das Schiff von A nach B fahren – das ist Nebenbei."

Doch es ist genau dieses "Nebenbei", das ihn reizt: Am Steuer stehen, eine Herausforderung bekommen und sie meistern. Manchmal vermittelt eine Agentur Passagiere. Gödde mag es, auch mal ein anderes Gesicht an Bord zu sehen - bis vielleicht auf die Hobby-Segler, die ihm den ganzen Tag Tipps geben wollen. Alles in allem liegt der Tariflohn für einen Kapitän bei 5800 Euro brutto. Bei Gödde etwas weniger, weil er Frau und Kind zuliebe "nur" sechs Wochen am Stück fährt, dann aber auch sechs Wochen Zuhause im ostfriesischen Leer sein kann. Die Berufsaussichten sind bestens. Ein Lächeln.

"Es ist lange Zeit in der deutschen Seeschifffahrt vergessen worden auszubilden. Das heißt, die Ausbildung ist immer sehr teuer, und lange Zeit sind keine Seeleute ausgebildet worden und jetzt sind auch die starken Jahrgänge gewesen, wo viele Leute in Rente gingen und dann kam noch dazu, dass Neubauten ohne Ende bestellt wurden, sprich die Schifffahrt gewachsen ist und so ist es jetzt gekommen, dass jede Menge Nautiker und Kapitäne fehlen."

Eine der vielen Zigaretten gegen den Stress. Gödde hat viel Verantwortung und einen leichten Schlaf. Über so was wie Seefahrerromantik macht er sich keinen Kopf. Früher, ja, da war alles anders und natürlich besser, das hat er schon oft gehört. Sehr oft sogar.

"Ich bin in einer nautischen Verbindung in Leer, da sind auch viele ältere Kollegen oder nicht mehr Kollegen, die schon lange in Rente sind und die sagen auch: ‚Mensch die Seefahrt, das ist ja nichts mehr, wie das bei uns noch war.’ Und dann zu ihren Kollegen: ‚Mensch weißt du noch?’ Ich kann da ja nichts vermissen. Ich habe die Seefahrt so kennengelernt, wie sie heute ist. Schnell, ein Hafen zehn Stunden, raus, in den nächsten Hafen rein, Landgang immer mal kurzeitig möglich, zwei, drei Stunden, eben irgendwo schnell was angucken oder einen Apfel kaufen und wieder zurück an Bord. Das ist so der Unterschied zu den älteren Kollegen dann, die halt noch kennen gelernt haben bevor es in den Hafen geht noch drei Wochen ankern und dann in Hafen und da vier Wochen liegen und drei Monate bis zum nächsten Hafen und da drei Wochen ankern bis es an den Liegeplatz geht, das kenne ich halt gar nicht."

Mit 14,4 Knoten nächtliche Anfahrt auf Helsinki. Große hellerleuchtete Fährschiffe auf dem Weg nach Tallin gleiten wie riesige Weihnachtsbäume übers dunkle Wasser. Dann die Lichter der Stadt, davor die leuchtenden Markierungstonnen für die unzähligen Untiefen.
Die Mannschaft wird für die kommenden Manöver geweckt.

"Lass uns die anderen auch schon mal raushauen, du."

Unten, vorn am Bug wie gewohnt Reinhard Dahms, Offizier Krebs hält den Kontakt. Das Schiff wird langsamer. Der finnische Hafenlotse gibt Ratschläge.

Rückwärts einparken gegen den Wind. Mit den auf Deck gestapelten Containern bietet das Schiff viel Angriffsfläche. Eine plötzliche Bö und die Antje hat eine Beule und eine Beule - das wird teuer und kostet Zeit.

"Und passt?
Ja sieht gut aus.
Der Wind drückt hier ziemlich drauf, deswegen halten wir ein bisschen Abstand.
Wir werden sowieso schneller rankommen als uns lieb ist."

Gödde am Steuer in seinem Element.

"Springe ist an Land.
Alles schön lose hängen lassen.
Alle schön lose hängen lassen Reinhard."

Aus Konzentration wird Anspannung.

"Wir kommen gleich ran.
Jo. Und fest die Springleine.
Und fest die Springleine."

"Und fest die Vorleine Reinhard.
Jo, bin dabei ..."

"More or less a soft landing.
Yeah quite soft.
Oder war nicht soft Michael?
Doch das war okay.
Ohne Beule ist immer soft."

Gödde erleichtert. Griff zur Zigarette.

"Auf den letzten Metern merkt man immer erst, wie schnell es zu Pier geht. Das sieht dann immer so langsam aus und dann drückt man immer noch einen nach und dann nachher ohohoho."

Wenig später werden die gebrachten Container ent- und neue aufgeladen. Viskosefasern für New York, Kranteile für Kapstadt, Enzyme für Tokio, gefrorene Blaubeeren für Xingang, gefrorene Schweine für Hongkong, Papier für Melbourne, Valparaiso und die ganze Welt .... - alles via Hamburg oder Bremerhaven. Ein paar Stunden dauert die Prozedur, dann ist die Antje wieder weg.