Antje Schrupp: "Schwangerwerdenkönnen: Essay über Körper, Geschlecht und Politik"
Ulrike Helmer Verlag, Roßdorf 2019
192 Seiten, 17 Euro
Was heißt hier Mutter?
06:37 Minuten
Die eine Hälfte der Menschen kann schwanger werden, die andere nicht. Das klingt nach einer Binsenweisheit. Bei Antje Schrupp wird daraus eine radikale Geschlechtertheorie, die feministisch ist und queer zugleich.
"Mein Bauch gehört mir" lautet ein altbekannter feministischer Slogan, der sich in erster Linie auf das Recht auf Abtreibung bezieht, also keine Kinder bekommen zu müssen. Wer aber fragt eigentlich generell nach der Fähigkeit, Kinder in die Welt setzen zu können?
Schwangerschaft – oder besser: das Schwangerwerdenkönnen – sei gemessen an seiner Bedeutung als politisches Thema komplett unterrepräsentiert, meint Antje Schrupp. Es sei der "Elefant im Raum" den alle – Gesellschaftspolitik, Feminismus, Queer- und Genderstudies eingeschlossen – geflissentlich ignorierten. Höchste Zeit also, genauer darüber nachzudenken.
Denn eines ist klar, trotz der avancierten Überlegungen, ob wir die Menschen in zwei, drei, fünf oder gar nicht in Geschlechter einteilen sollen: Es gibt Personen, die potenziell schwanger werden können (rund 97 Prozent der Frauen) und solche, die es nicht können. Diese "reproduktive Differenz" wie Schrupp das nennt, ist eine biologische Tatsache und eine klare Ungleichheit. Bei allen Fortschritten der Reproduktionsmedizin ist es bisher zwar schon gelungen, den Uterus zu transplantieren, nicht aber ihn zu ersetzen.
Was bedeutet Schwangerwerdenkönnen? Antje Schrupp hat lange über das Thema nachgedacht und so enthält ihr Buch eine Fülle interessanter Recherchedetails; en passant erfährt die Leserin etwa, dass es früher einen Zölibat für evangelische Pfarrerinnen gab und dass es möglich ist, von einer Schwangerschaft nichts zu bemerken, was rund 240 Frauen in Deutschland jährlich passiert.
Eine philosophisch-politische Theorie der Schwangerschaft
Schrupp liefert aber auch eine philosophisch-politische Theorie der Schwangerschaft. Die Schwangere kann nicht einfach weggehen von ihrem Kind. Sie sei in einem Zustand des "Nicht eins und nicht zwei", schreibt die Autorin. Dieser biologische Status ende aber mit der Geburt des Kindes und gehe dann über in eine soziale Bindung.
Für die Feministin Schrupp folgt daraus ein absolutes Recht auf "reproduktive Selbstbestimmung", was beutet, dass die Schwangere sich als freie Person für oder gegen die Schwangerschaft entscheiden kann – aber auch, dass sie das Kind nach der Geburt weggeben kann, wenn sie möchte. Aus Schwangerschaft folgt nicht notwendigerweise Mutterschaft.
Interessant ist, dass Antje Schrupp, obwohl sie biologisch argumentiert, nicht bei den klassischen Geschlechterbildern endet. Dezidiert spricht sie meist von "Personen, die schwanger werden können". Traditionellerweise haben wir unsere Vorstellungen von "Frausein" mit dem Schwangerwerdenkönnen verknüpft und die von "Mannsein" mit dem Gegenteil – aber das muss nicht sein.
Weil sie die "reproduktive Differenz" vom traditionellen Geschlechtsdenken entkoppelt, gelingt es Schrupp, eine dezidiert feministische Position – die Schwangerwerdenkönnen als Potenz hervorhebt – mit einer Vorstellung von der Auflösung der Geschlechter zu verbinden. Es geht ihr um "neue freiheitlichere Narrative" und eine Gesellschaft, in der das Schwangerwerdenkönnen nicht mehr nur als "Frauensache" abgetan werden kann.