Altmeister der analogen Fotografie
In den frühen Achtzigern fotografiert Anton Corbijn als Autodidakt für britische Musikzeitungen. Schnell erobern seine düsteren und grobkörnigen Porträts die Kunstwelt. Nun sind seine Fotos in Berlin zu sehen.
Seine Fotos sind meist sehr poetisch und sehr suggestiv, manchmal völlig unscharf, mit Schatten auf den Gesichtern und nichts wird extra ausgeleuchtet: Eigentlich fotografiert man so nicht. Aber Anton Corbijn enthüllt auf diese Weise das Wesen hinter den Images.
David Bowie mal als eleganter Herr und mal Jesus im Lendenschurz, Mick Jagger mal als erschöpfter Poparbeiter und mal als Transvestit. Um den Bluessänger und –gitarristen John Lee Hooker angemessen zu porträtieren, hat Anton Corbijn nur seine alten Hände fotografiert. Und einige seiner Fotos wurden zu wahren Ikonen der Popkultur: Nick Cave vor der Backsteinmauer, U2 in der Wüste vor dem Joshua Tree, Miles Davis – das Gesicht in den Händen und Björk mit der Puppe am nächtlichen Gartenzaun.
Manche vermuten, Anton Corbijn habe Heiligenbilder der Popkultur erfunden als Rebellion gegen die strenge protestantische Prägung: 1955 geboren, aufgewachsen in einem kleinen südholländischen Dorf als Sohn des Pfarrers mit dem Friedhof vorm Haus: kein Fernseher, kein Radio, und wenn er mit 16, 17 nach Haus kam, ging er in sein Zimmer zu seinen Schallplatten. Ziemlich einsam, wütend und introvertiert. Und so kam er, durch puren Zufall eigentlich, zur Fotografie: genau genommen durch eine etwas verbogene Vorstellung für Realität.
Anton Corbijn: "Ich dachte, Musik sei das gelobte Land. Und ich wollte Teil davon sein. Weil ich aber so schüchtern war, lieh ich mir den Fotoapparat meines Vaters und schlich mich damit an den Bühnenrand. Natürlich dachte jeder: Ah, der gehört dazu. Und wo ich schon mal da stand, habe ich auch ein paar Fotos gemacht. Die ließ er dann im Laden um die Ecke entwickeln und schickte alle neun an ein kleines Magazin, und die druckten drei. Toll! Dachte der junge Corbijn: So komme ich in die Musikwelt rein."
Angetan von der Post-Punk-Szene in London
Er ging nach England, wo auch in den späten Siebzigern die interessante Musik spielte – vor allem die Post-Punk-Szene hatte es ihm angetan. Und plötzlich sah man im New Musical Express und bald darauf in allen europäischen Musikzeitungen diese unglaublich stimmungsvollen, so völlig anderen, irgendwie düsteren und körnigen Fotos, die die Leere der frühen Achtziger widerspiegelten: Und das, obwohl - beziehungsweise: weil - der Fotograf überhaupt keine Ahnung vom Fotohandwerk hatte! Das grobe Korn zum Beispiel, das bröselige Vergänglichkeit zu symbolisieren schien und diffuse Realität, entstand, weil Corbijns Entwickler eigentlich zu warm war.
Der lange und hagere Anton Corbijn ist kein Mietfotograf, sondern selber ein Pilger - ein Freund der letzten Cowboys und Heilssucher. Er fotografiert nur die, deren Arbeit und Wirken ihm selber gefällt. Und er hat eine Aversion gegen Fotografen, die zwei Bilder machen, dann auf die Rückseite der Kamera gucken, noch mal zwei Bilder machen, dann das Stativ verschieben und wieder zwei Bilder machen.
"Er benutzt gar kein Stativ, schießt ein paar Fotos – und wartet dann voller Spannung auf die Kontaktabzüge. Und auch wenn das zwei, drei Wochen dauert, wenn er gerade unterwegs ist: Dieses Abenteuer beim Fotografieren will er nicht missen."
Vom Autodidakten zum einflussreichen Fotografen
Anton Corbijns Entwicklung vom Autodidakten zu einem der einflussreichsten Fotografen dokumentiert die Doppelausstellung in der Berliner C/O-Galerie: von dem noch recht unbedarften Fan, der hinter den Bands her rennt in Hinterhöfe und Backstage-Räume, wo er sie dann fotografiert – bis zu neueren Kunstprojekten, wie den Paparazzi-Fake-Dokus, und den melancholisch-hintergründigen Fotos von anderen Leuten, deren Arbeit er mag: Clint Eastwood, Cameron Diaz, Nelson Mandela. Und Gerhard Richter von hinten beim Betrachten eines seiner Werke. Denn inzwischen fotografiert Corbijn auch bildende Künstler.
Doch seit er Kinofilme dreht, hat er kaum noch Zeit für seinen Fotografenberuf: Inzwischen macht er das eher zur Erholung – und um ein paar von den vielen Leuten zu treffen, die ihm inzwischen nahe sind. Gucken, ob an was zusammen machen kann. Und wenn nicht, einfach 'ne Tasse Tee trinken. Ein sehr angenehmes Leben, findet Anton Corbijn.