Anton Corbijn über Philip Seymour Hoffman

"Der Einzige, der für mich infrage kam"

Der niederländische Fotograf und Filmregisseur Anton Corbijn bei der Premiere seines Films "A Most Wanted Man" in Amsterdam am 1.9.2014
Der niederländische Fotograf und Filmregisseur Anton Corbijn bei der Premiere seines Films "A Most Wanted Man" in Amsterdam © picture-alliance / dpa / Martijn Beekman
Moderation: Patrick Wellinski |
Seinen Spionagefilm "A Most Wanted Man" habe er gemacht, weil ihn die Polarisierung der Gesellschaft störe, sagt Anton Corbijn. Philip Seymor Hofman brilliere darin mit seiner Körperlichkeit, so der Regisseur - als Agent, der nicht an das einfache Gut-Böse-Schema glaubt.
Patrick Wellinski: Herr Corbijn, "A Most Wanted Man" ist ihr dritter Spielfilm, gerade haben sie Ihren vierten zu Ende gedreht. Und was bei Ihren bisherigen Werken so auffällt, ist diese große Bandbreite an Themen und Formen, die Sie angehen. Biopics haben Sie gedreht, das ist ein Spionagefilm "A Most Wanted Man", Auftragskiller-Thriller: Wie finden Sie ihre Stoffe? Wie entscheiden Sie: Das wird mein nächster Film!
Anton Corbijn: Es war eigentlich ein organischer Prozess, ich hatte ja niemals wirklich vorgehabt, wirklich ein Filmregisseur zu werden, der Kinofilme dreht. Aber bei meinem ersten Film, "Control", da ging es um Joy Division und Ian Curtis, da kannte ich mich gut aus mit dem Thema. Ich hatte mit ihm ja auch viele Jahre zusammen gearbeitet. Und der zweite Film war dann wieder eine ganz andere Erfahrung: Ursprünglich wollte ich einen Western drehen, fand aber dann keine gute Story. Und der Film, der dann "The American" wurde, habe ich dann versucht, so viel Westernelemente wie möglich nur einfließen zu lassen. Aber vieles hatte sich eben verändert, ich drehte letztendlich in Italien und nicht mit englischen Darstellern, sondern mit einem Hollywood-Star. Und wo wurde es dann auch ein bisschen ein anderer Film, als ich vorhatte, aber ich lernte so langsam eben auch, mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden umzugehen. Und hier jetzt bei meinem dritten Film, da wollte ich dann doch wieder ein bisschen näher an der Realität sein. Der zweite Film war wirklich eine reine Fiktion im Vergleich zu "Control", und jetzt hier "A Most Wanted Man", da stört mich einfach seit Jahren, wie polarisiert unsere Gesellschaft geworden ist nach den Ereignissen des 11. September. Und da war der Stoff und das Buch von John le Carré einfach ideal für mich.
Wellinski: Im Zentrum von "A Most Wanted Man" steht Günther Bachmann, ein deutscher Spion, der in Hamburg muslimische Terrorzellen im Auge hat. Bevor wir auf das politische Umfeld näher eingehen: Bachmann ist eigentlich ein sehr einsamer Mann, wie alle Ihre Hauptfiguren in einer gewissen Art einsame Männer sind. Was fasziniert Sie so sehr an solchen Figuren?
"Wir müssen unsere eigenen Kämpfe auskämpfen"
Corbijn: Ich glaube, das sind Figuren, die mich einfach anziehen. Weil, wie leben wir? Letztendlich leben wir einsam. Wir leben nicht in einer Gruppe, wir sind am Ende doch irgendwo immer auf uns allein gestellt und müssen unsere eigenen Kämpfe auskämpfen. Weil für mich ... Ich sehe das Leben schon eher als eine Art Kampf und auch die Kunst, das hat viel damit zu tun. Und dann ist das Leben etwas, was das Ganze vielleicht in Töne, in Formen gießt. Aber selbst in meiner Fotografie habe ich hauptsächlich Künstler porträtiert wie Musiker, Schauspieler, auch Maler, die auch innere Kämpfe mit sich austragen. Und dieser schmerzvolle Schaffensprozess, dabei zuzuschauen, das ist etwas, was mich sehr inspiriert.
Wellinski: Der Film basiert auf dem John-le-Carré-Roman "Die Marionetten" von 2008. Da ging es John le Carré auch um die Uneinigkeit der Geheimdienste und die Neuordnung der Welt nach 9/11. Doch jetzt durch diese NSA-Affäre wurde der Stoff etwas durcheinandergebracht und erreicht ein ganz neues Level. Sind Sie selbst vielleicht überrascht, während der Dreharbeiten oder jetzt, wie aktuell "A Most Wanted Man" jetzt geworden ist?
Corbijn: Also, so richtig überrascht war ich dann vielleicht gar nicht mal so, eher noch verärgert, dass das Ganze noch aktueller geworden ist. Weil, das Buch ist 2008 erschienen, das heißt, die Ereignisse, die dort beschrieben werden, die haben sich natürlich davor ereignet, vielleicht so zwischen 2003 und 2007. Wir haben dann 2012 gedreht und wir dachten, wir verfilmen hier ein Buch. Und letztendlich ist es dann so, dass das Leben hier die Kunst imitiert und nicht umgekehrt. Und ich finde es irgendwie unglücklich, dass sich die ganze Welt noch mehr polarisiert hat und dass dieser sogenannte Krieg gegen den Terror so wichtig geworden ist mit all seinen negativen Implikationen. Und ich finde mich, ob wir da immer auch die richtigen Antworten bekommen haben, weil, die bürgerlichen Freiheiten sind doch sehr stark eingeschränkt worden seitdem. Und beispielsweise, was die Invasion in den Irak angeht, da kann man sich ernsthaft fragen, ob das nicht durchgehend eher negativ war für die Region, dieser Einmarsch in den Irak damals!
Wellinski: Hilft es vielleicht, dieses Reflexionslevel zu erreichen, dass Ihr Film sehr langsam, ruhig und gemächlich ist und nicht wie vielleicht der Genre-typische Spionagefilm ein Actionreißer mit vielen Explosionen?
"Oft geht es einfach nur um Beobachten und Abwarten"
Corbijn: Ja, aber das wäre auch niemals mein Interesse gewesen, einen Actionfilm zu drehen. Ich glaube, man muss immer den Film drehen, den man auch selber gerne sehen möchte. Und Spionage, dieses Thema ist jetzt natürlich in den Blockbustern, zum Beispiel in James-Bond-Filmen, aber auch in der Bourne-Trilogie. Aber letztendlich ist Spionage etwas, was sehr viel unspektakulärer ist. Oft geht es einfach nur um Beobachten und um Abwarten. Und John le Carré, der Autor dieser Geschichte, der war ja selber beim Secret Service. Und der hat mir dann auch gesagt, wie der Spionage-Job eigentlich wirklich ist.
Wellinski: Wie groß war die Rolle von John le Carré? Weil, lange Zeit war er nur der Autor seiner Bücher, in der letzten Zeit ist er auch häufiger Produzent. Und ich habe jetzt natürlich auch den Artikel von ihm in der "New York Times" gelesen, wo er geschrieben hat, dass er durch dieses Projekt Philip Seymour Hoffman begegnet ist!
Corbijn: Also, zwei seiner Söhne haben hier koproduziert, also, ich glaube, das verdeutlicht ganz stark, dass man das Erbe von John le Carré doch immer stärker auch schützen möchte, weil, er ist nicht nur ein Spionageroman-Autor, sondern er ist einfach wirklich ein großer Autor. Und die "New York Times", auch die "Sunday Times" und jetzt die "Frankfurter Allgemeine", die haben völlig zu Recht das als ein wirklich großartiges Buch bezeichnet, und das finde ich auch. Ich bin nicht immer unbedingt mit dem einverstanden, was seine politische Meinung ist, aber dieses Buch hier halte ich für großartig und auch für sehr, sehr gut und treffend beobachtet.
Wellinski: Herr Corbijn, ich weiß, seit Februar haben Sie Hunderte Interviews über Ihren Film gemacht und in jedem Interview werden Sie höchstwahrscheinlich das Gleiche gefragt, nämlich nach Philip Seymour Hoffman, weil Sie mittlerweile auch zu so einer Art Nachlassverwalter dieses großartigen Darstellers geworden sind. Lastet das vielleicht sehr schwer auf Ihrem Film?
Philip Seymour Hoffmann (1967 - 2014) im Jahr 2012
Der Schauspieler Philip Seymour Hoffmann (1967 - 2014) im Jahr 2012© picture-alliance / dpa / Daniel Dal Zennaro
Corbijn: Ich bin ganz dankbar, dass ich mich dazu auch wirklich in einem Artikel äußern konnte, nämlich im "Guardian", wobei ich gebeten worden bin, etwas über Philip zu schreiben, das war nichts, was ich von mir heraus angeboten hätte. Aber für mich selber war es ganz wichtig, mit selber klar zu werden, was ich da für Gefühle hatte, weil, es war auch für mich eine sehr, sehr schwierige Situation und ich konnte es natürlich auch erst mal nicht fassen. Und natürlich hat der Film jetzt eine Art von Gewicht bekommen, das man nicht so leicht abschütteln kann. Und es ist auch unglücklich in gewisser Weise, dass Philip Seymour Hoffman in dieser Rolle eben nicht so eine spektakuläre Figur gespielt hat, sondern mehr einen zurückgezogenen Typen, der einsam ist und mit sich selbst unzufrieden. Und gewisse Parallelen sind natürlich sofort gezogen worden auf sein Privatleben, ob diese Parallelen nun berechtigt sind oder nicht.
Wellinski: Er ist vor allem das Gravitationszentrum dieses Films, weil er eine unfassbare Körperlichkeit mitbringt. Haben Sie deshalb vielleicht an ihn für die Rolle von Bachmann gedacht, war er die erste Wahl?
"Ein Schauspieler, der sich nichts in den Weg stellen lässt"
Corbijn: Nun, zuerst war es eigentlich als eine deutsche Produktion geplant, aber dafür haben wir leider keine Finanzierung bekommen. Und als es dann klar wurde, dass es auch eine amerikanische Produktion wird, da sind dann die Figuren von Bachmann und auch von Richter mit amerikanischen Schauspielern bedacht und besetzt worden. Und da war Philip Seymour Hoffman eigentlich der Erste und Einzige für mich, der da infrage kam. Diese Körperlichkeit, die Sie angesprochen haben, die war mir schon sehr wichtig, das war ein wichtiges Element, weil, diese Figur, dieser Bachmann ist jemand, der sich nicht um sich selbst kümmert, der sich einfach auch gehen lässt und andererseits aber auch ein sehr gebildeter, ein sehr intelligenter Mann ist. Beispielsweise ist er überhaupt nicht islamophob, ganz im Gegenteil, er hat Kontakt zu Leuten aus dieser Region, die er auch durchaus schätzt. Und er ist irgendwo durchaus auch ein starker Typ, hat auch einen starken Charakter. Aber da ist eben auch diese Körperlichkeit. Nun würde das niemals ausreichen bei jemandem wie Philip Seymour nur darauf zu setzen, er ist wirklich ein ganz kompletter Schauspieler, der sich mit allem, was er hat, einbringt. Und das war eben auch das Beeindruckende, er ist wirklich ein Meister seines Fachs und er versteht sein Handwerk.
Wellinski: Nachdem Sie für "The American" mit George Clooney gearbeitet, von dem man weiß, dass er auf dem Set auch spaßig sein kann, ein lustiger Typ, ein Charmeur, muss ja das Drehen mit Philip Seymour Hoffman wie auf einem anderen Planeten gewesen sein, wenn Philip Seymour Hoffman – so steht es zu lesen – in seiner Rolle, selbst nach dem Dreh blieb!
Corbijn: Ja, das stimmt, weil, Philip Seymour Hoffman ist ein Schauspieler, der sich nichts in den Weg stellen lässt, um einfach eine Rolle gut zu spielen. George Clooney ist einfach ein anderer Typ, ein anderer Typ Schauspieler. Die beiden sind einfach verschiedene Typen und sie sind beide auf ihre Art und Weise eben sehr gut.
Wellinski: Günther Bachmann, diese Figur hat einen sehr zynischen Weltblick. Einmal sagt er zwar, ich will die Welt besser machen, aber das klingt so zynisch, dass man ihm das kaum glauben kann. Können Sie sich mit so einer Weltsicht wie die von Günther Bachmann identifizieren?
Corbijn: Ich glaube, die Art, wie Günther Bachmann die Welt sieht, ist die gesündere und unterscheidet sich ganz stark von der Art, wie sich Politiker öffentlich äußern. Weil, Günther Bachmann glaubt wirklich an die grauen Zonen, er glaubt nicht an schwarz-weiß, er glaubt nicht, dass Menschen nur gut oder böse sind. Insofern hat er auch nicht diesen polarisierenden Blick auf unsere Gesellschaft.
Wellinski: In Ihrem Film spielen natürlich auch deutsche Stars mit, Nina Hoss, Daniel Brühl zum Beispiel. Und auch natürlich Herbert Grönemeyer. Wenn man den Film im Original sieht, weiß man, dass die amerikanischen Darsteller einen sehr starken deutschen Akzent sich antrainiert haben. Haben Sie darauf Wert gelegt, dass sie wenigstens diesen Akzent sich antrainieren, wenn man sich für so eine multinationale Mischung entscheidet?
"Wir wollten schon, dass die eher wie Deutsche klingen"
Corbijn: Nun, wir haben monatelang auch an diesem Akzent gearbeitet, gerade auch bei Rachel McAdams beispielsweise. Wir wollten schon, dass die eher wie Deutsche klingen, so wie Deutsche Englisch reden, weil, das war ja klar, dass sie auch mit deutschen Schauspielern zusammen spielen und ein Team bilden. Und diese deutschen Schauspieler haben einen mehr oder weniger starken Akzent, wenn sie Englisch reden. Und ich wollte nicht, dass die beiden amerikanischen Schauspieler dann so sehr auffallen und eben Teil dieses Teams bleiben. Jeder Film versucht da, seine eigene Methode zu finden, in Steven Spielbergs "Schindlers Liste" hat er ähnlich so gearbeitet. Aber es gibt auch andere Beispiele aus Hollywood, zum Beispiel "Die Jagd auf Roter Oktober", da war es so, dass am Anfang immer ganz kurz die Originalsprache gesprochen wurde und dann nur noch Amerikanisch. Und das beispielsweise hat mich gar nicht überzeugt.
Wellinski: Sie haben mal gesagt, sie drehen drei Filme und dann entscheiden Sie, ob Sie weitermachen oder nicht mehr weitermachen. Jetzt haben Sie den vierten ja schon zu Ende gedreht, also war die Entscheidung, weiterzumachen, doch keine schwere?
Corbijn: Ich habe bei "A Most Wanted Man" wirklich gespürt, dass das etwas ist, wo ich in Zukunft auch meine Energie hineinstecken möchte, und drehte dann unmittelbar danach einen neuen Film, "Life", und bin mir jetzt ziemlich sicher: Das ist es, was ich die nächsten zehn Jahre wirklich machen möchte. Das bedeutet auch, dass man sich hinsetzt und überlegt, wie man das macht. Aber Film ist für mich wirklich zurzeit das Abenteuer, auf das ich mich einlassen möchte. Und ich möchte mehr davon machen und ich bin auch der Meinung, ich habe noch nicht alles ausprobiert!
Wellinski: Zum Glück für uns, die ins Kino gehen! Herr Corbijn, vielen Dank für den Film, Ihre Zeit, und viel Glück mit allen weiteren Projekten!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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