Anton de Kom: „Wir Sklaven von Suriname“

Humanität gegen Brutalität

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Das Buchcover "Wir Sklaven von Suriname" von Anton de Kom ist vor einem grafischen Hintergrund zu sehen.
„Wir Sklaven von Suriname“ von Anton de Kom ist politischer Kommentar, Essay, Geschichtsschreibung und Autobiografie. © Deutschlandradio / Transit Buchverlag
Von Carsten Hueck |
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Als das Buch 1934 erschien, wurde es zensiert. Anton de Koms Bericht über die Brutalität der Sklaverei in Suriname ist ein Klassiker der Kolonialismus-Kritik – und jetzt endlich in neuer Übersetzung auf Deutsch zu lesen.
Abenteurer, Seeräuber und Goldsucher sind die ersten Europäer, die an der Wende des 15. zum 16. Jahrhundert den Boden des südamerikanischen Surinames betreten. Von Anfang an geht es um die Verteilung von Ressourcen – erfolgreich kämpfen die Holländer mit den Briten um das Recht zur Ausbeutung dieses fruchtbaren Fleckchens Erde im Nordosten Südamerikas.
1674 wird Suriname holländisch. Tabak, Baumwolle und Zucker, später Kautschuk und Bauxit werden fortan in die Niederlande verfrachtet. Die Gouverneure, Verwalter und Kaufleute kommen von dort, bereichern sich und reisen wieder zurück in ihre Heimat. Die Arbeit leisten nicht die Kolonialisten selbst, sondern Sklaven, die sie aus Afrika importieren.

Zensiert und verdrängt

Anton de Kom ist Enkel solcher Sklaven und in Suriname 1898 geboren. Sein jetzt im Transit Verlag neuaufgelegtes Buch ist ein Klassiker der antikolonialistischen Literatur. Es macht deutlich, warum die surinamische Sklaverei als die grausamste gilt, die westliche Mächte zu verantworten haben.
Als es 1934 erschien, wurde es zensiert und durfte in den Kolonien nicht erscheinen. Erstmals 1971, vier Jahre vor der Unabhängigkeit Surinames, erschien es in den Niederlanden unzensiert.
Eine deutsche Übersetzung hatte es in russischen und Schweizer Exilverlagen zwar bereits in den 1930er-Jahren gegeben, doch Autor und Buch gelangten hierzulande bislang nicht ins öffentliche Bewusstsein.

Gesellschaftsanalyse von hoher literarischer Qualität

Dabei ist "Wir Sklaven von Suriname" nicht allein eine klare Analyse einer von Rassismus und Klassenunterschieden geprägten Kolonialgesellschaft, sondern auch ein eindringliches – im Ton der Neuen Sachlichkeit geschriebenes, immer auch von hymnischen Passagen und poetischen Bildern durchbrochenes – Stück Literatur.
Es ist politischer Kommentar, Essay, Geschichtsschreibung und Autobiografie. Wer von Zeitungsartikeln zum Kolonialismus gelangweilt ist, findet hier alles, um in das Thema einzutauchen.
Da ist zuerst die Person des Autors selbst: Er spricht und schreibt selbstbewusst und souverän in der Sprache derer, die seine Vorfahren als Arbeitsvieh hielten und die sich in jeder Hinsicht als überlegen ansahen. So geschmeidig mit Sprache umgehen zu können, wie es de Kom tut, ist eine Demonstration der Teilhabe an einer (weißen) Kultur, die gerne exklusiv bliebe.
Darüber hinaus konstituiert sich in diesem Akt nicht nur ein "Ich", sondern de Kom spricht in der ersten Person Plural, spricht für viele. Es geht ihm um Solidarität, um ein "Wir" aller Unterdrückten – gestern und heute.

Den Unterdrückten eine Stimme geben

Als er 1933 in Suriname ein Beratungsbüro für hilfesuchende Arbeiter und Arbeiterinnen einrichtet, wird dies schnell zu einem Zentrum der antikolonialen Bewegung. De Kom wird verhaftet und in die Niederlande abgeschoben.
Dort, von der Polizei bewacht, als Kommunist verschrien, erzählt er – gestützt auf die von der Kolonialmacht in ihren Archiven aufbewahrten Fakten – die Geschichte der Sklaverei in Suriname. Allerdings aus Sicht der Sklaven. Sie werden Menschen, bekommen eine Stimme, eine Haltung. Werden zu Vorbildern an Tapferkeit und Würde, während der Autor detailliert das Verhalten unterschiedlicher Gouverneure durch die Jahrhunderte beschreibt, die barbarischen Strafen und Lebensverhältnisse, denen Sklaven ausgesetzt waren, den wirtschaftlichen Profit der weißen Herren, ihre Bigotterie und Brutalität.
De Kom, der sich während des Zweiten Weltkrieges dem holländischen Widerstand gegen die Nazis anschloss, macht rassistische und kolonialistische Strukturen sichtbar, um Humanität zu beschwören. Seine Schilderungen öffnen uns die Augen und berühren unser Herz.

Anton de Kom: "Wir Sklaven von Suriname"
Mit Beiträgen von Tessa Leuwsha, Mitchell Esajas und Duco van Oostrum
Aus dem Niederländischen übersetzt von Birgit Erdmann
Transit Buchverlag, Berlin 2021
224 Seiten, 20 Euro

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