Philosoph Anton Wilhelm Amo

Auf den Spuren eines schwarzen Aufklärers

07:19 Minuten
Das Berliner Straßenschild der Mohrenstraße ist mit einem Schriftzug überklebt. Dort steht jetzt: "Anton-W.-Amo-Straße".
Erinnerung an einen europäischen Denker afrikanischer Herkunft: Die Berliner Mohrenstraße soll in Anton-Wilhelm-Amo-Straße umbenannt werden. © imago images / Sascha Steinach
Von Constantin Hühn |
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Der aus Westafrika stammende Philosoph und Rechtsgelehrte Anton Wilhelm Amo war im 18. Jahrhundert ein einflussreicher Denker. Ein Besuch an Orten seines Wirkens - und des Erinnerns an ihn.
„Es gibt keine sichere Erkenntnis und Wahrheit von veränderlichen Dingen, weil es immer geschehen kann, dass das Gegenteil eintritt.“ Das schreibt der schwarze Philosoph Anton Wilhelm Amo in seinem Hauptwerk, veröffentlicht 1738 in Halle an der Saale: dem Tractatus de arte sobrie et accurate philosophandi – der "Abhandlung über die Kunst des nüchternen und genauen Philosophierens".

Philosophieren aus verschiedenen Blickwinkeln

„Insofern ist Amo eigentlich der Denker, der Grundlagen dafür legt, wie man aus verschiedenen Blickwinkeln gleichzeitig Philosophie betreiben kann", sagt der Literaturwissenschaftler Otmar Ette, der Amos Denken ein Buch gewidmet hat.
Doch obwohl Amo zu seinen Lebzeiten weit über die Grenzen Preußens hinaus bekannt ist, gerät sein Andenken in den folgenden Jahrzehnten in Vergessenheit, betont der Philosoph Jacob Mabe, der ebenfalls zu Amo geforscht hat.
„Bis vor kurzem hat niemand Amo als Europäer oder europäischen Denker behandelt", sagt Mabe. "Niemand hat gesagt: Das ist es, was ich von Amo gelernt habe. Diese Rezeption hat nicht stattgefunden."

Von Sklavenschiff an den Fürstenhof

Um 1700 an der afrikanischen Westküste geboren – im heutigen Ghana – wird Amo als kleiner Junge von holländischen Sklavenhändlern verschleppt und gelangt schließlich als „Geschenk“ an den Hof der Fürsten von Braunschweig.
Amos Glück: Seine intellektuellen Fähigkeiten wecken das Interesse der Fürsten, die sich als aufgeklärt verstehen und in ihm wohl eine Art „Versuchsobjekt“ sehen. Jedenfalls ermöglichen sie ihm eine exzellente Ausbildung und fördern sein Fortkommen.
1727 beginnt Amo an der damals noch jungen Universität Halle das Studium der Philosophie – und erwirbt sich rasch einen Ruf als brillanter Kopf.

Denken in Bewegung

Die Orte, an denen Amo damals gelebt, studiert und später gelehrt hat, sind nicht überliefert. Nach Spuren seines Wirkens sucht man auf dem Campus der heutigen Uni vergeblich. Fest steht: Nach einigen Jahren in Halle wechselt Amo nach Wittenberg, vermutlich auch, weil das politische und akademische Klima in Halle – unter dem Einfluss der Pietisten – immer intoleranter wird. Ein Klima, in dem Amos Art zu philosophieren keinen Platz hat.
Amos Denken ist eines, das stets in Bewegung bleibt – sowohl was die eigene kulturelle Zugehörigkeit angeht als auch das Durchdenken abstrakter philosophischer Probleme. Ein „Philosophieren ohne festen Wohnsitz“ nennt es Ottmar Ette. Den Kern dieses „viellogischen“ Denkens sieht Ette in Amos Begriff der „Äquipollenz“:
„Und diese Äquipollenz heißt im Grunde nichts anderes, als dass etwas gleich gültig ist, also nicht etwa Indifferenz, sondern etwas besitzt die gleiche Gültigkeit. Hat die gleiche Wertigkeit, ist aber sehr anders.“

Zögerliche Wiederentdeckung

Nach einigen Jahren in Wittenberg kehrt Amo 1736 nach Halle zurück, wo er seinen Tractatus veröffentlicht. Doch trotz aller Anerkennung bringt auch der ihm nicht die erhoffte akademische Stellung. Es folgen einige Jahre als Privatdozent in Jena, dann verliert sich seine Spur.
1747 besteigt er wohl in Rotterdam ein Schiff an die afrikanische Westküste, wo er seinen Lebensabend als „Eremit“ verbracht haben soll.
Die Bronzeplastik "Freies Afrika" zeigt die stereotype Darstellung eines Schwarzen Mannes im Lendenschurz und einer Schwarzen Frau in Kleid und Kopfwickel.
Eine Plakette vor der Bronzeplastik "Freies Afrika" soll an der Universität in Halle an Amo erinnern. Dabei hat die Statue selbst mit dem Philosophen nichts zu tun.© imago images / Steinach / Sascha Steinach via www.imago-images.de
Heute wird Amos Andenken zögerlich wiederbelebt, auch in Halle. Der derzeit einzige Hinweis auf den einst berühmten „schwarzen Magister“ ist allerdings leicht zu übersehen: Er befindet sich zwischen dem Campus und dem vielbefahrenen Universitätsring, auf einem schmalen Grasstreifen im Schatten des Archäologischen Instituts.

Stereotype Darstellung trotz guter Absicht

Hier steht seit 1965 eine unscheinbare Statue mit dem Titel „Freies Afrika“: Zwei aufrechte Bronzegestalten, ein Mann und eine Frau, er im Lendenschurz, sie im Kleid und mit Kopfwickel, die Fäuste geballt – trotz der offenbar antikolonialen Absicht aus heutiger Perspektive eine stark stereotype Darstellung schwarzer Menschen.
Einige Meter davor informiert eine alte Plakette, dass die Plastik an Anton Wilhelm Amo erinnern soll. Doch mit Amo selbst hatte die Entstehung der Statue gar nichts zu tun, erzählt Jan Schubert vom Amo-Bündnis Halle.

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„Ursprünglich sollte die auch nach Ghana geschickt werden, im Zuge einer Annäherung zwischen dem unabhängig gewordenen Ghana unter Kwamen Kruma und der DDR", sagt Schubert. "Der einzige Bezug zu Amo ist, dass zur gleichen Zeit ein Forschungsprojekt zu Anton Wilhelm Amo hier an der Universität durchgeführt wurde. Und daraus ist dann die Situation entstanden, dass zehn Jahre später jemand dachte, es wäre sinnvoll an Amo irgendwie zu erinnern, und diese Plakette hinzugefügt wurde.“

"War er ein Philosoph oder war er ein Schwarzer?"

Eine Erinnerungskultur also, die nicht nur ziemlich willkürlich, sondern auch aus der Zeit gefallen scheint. Inzwischen hat das Amo-Bündnis erreicht, dass eine zweite Plakette den Kontext der Statue erklärt. Ein eigenständiger, besser sichtbarer Gedenkort für Amo ist wohl in Arbeit. In Berlin soll demnächst immerhin eine Straße nach Amo benannt werden.
Jacob Mabe warnt allerdings davor, nur deshalb an Amo zu erinnern, weil er schwarz war: „Das kann doch nicht wahr sein, dass man jemanden nur kennt, weil er aus Afrika kommt. War er ein Philosoph, oder war er ein Schwarzer? Dann sage ich: Er war ein Philosoph.“

An verschüttete Denktraditionen anknüpfen

Ähnlich sieht das Otmar Ette mit Blick auf die Straßenumbenennung: ein wichtiges Signal, findet er, sofern damit auch eine neue philosophische Auseinandersetzung einhergeht, die an die verschüttete Denktradition Amos anknüpft.
„Es gab durchaus eine Tradition, aber die ist abgebrochen worden, ja, die wurde totgeschwiegen", sagt Ette. "Und diese Tradition wieder aufleben zu lassen bedeutet zugleich auch, ein ganz kleines Stückchen die deutsche Philosophie – oder zumindest die Philosophie in Deutschland – zu verändern."

Zum Weiterhören: Otmar Ette und Jacob Mabe haben bei einer Veranstaltung des Leibniz-Zentrums Moderner Orient und der Gesellschaft für afrikanische Philosophie über Anton Wilhelm Amo gesprochen – die ganze Podiumsdiskussion finden Sie hier.

Zum Weiterlesen:

Ottmar Ette: "Anton Wilhelm Amo. Philosophieren ohne festen Wohnsitz"
Kulturverlag Kadmos, Berlin 2022
172 Seiten, 19,90 Euro

Jacob Mabe: "Anton Wilhelm Amo interkulturell gelesen"
Woo Publishing, Berlin 2020
104 Seiten, 22,40 Euro

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