"Wer nicht seiner Meinung ist, ist für Bolsonaro ein Feind"
Bolsonaro beschimpft Frauen, Schwarze und Schwule und hat hohe Chancen, brasilianischer Präsident zu werden. Künstler und Intellektuelle fürchten eine Diktatur. Mit kreativen Aktionen wollen sie seinen Sieg verhindern, erzählt Theaterautor Araujo.
Der rechtspopulistische Kandidat Jair Messias Bolsonaro hat laut Umfragen gute Chancen, neuer Präsident Brasiliens zu werden. Er ist ein Mann, der Frauen, Schwarze und Schwule beschimpft, der bedauert, dass unter der Diktatur "nur" gefoltert und zu wenig getötet wurde und der Künstler als "Schmarotzer des Systems" betrachtet.
Seit Monaten machen Künstler und Theaterleute, aber auch Intellektuelle und Wissenschaftler, mobil gegen Bolsonaro, so auch der künstlerische Leiter des Theaterfestivals MITsp (Mostra International do Teatro Sao Paulo) Antonio Araujo.
Araujo leitet seit 25 Jahren das Theaterkollektiv "Teatro da Vertigem", das bekannt ist für seine Side-Specific-Arbeiten. In diesen Tagen ist Araujo iständig unterwegs, um Bolsonaro-Wähler zu überzeugen, sich gegen den Kandidaten zu entscheiden. Susanne Burkhardt sprach mit Araujo in seinem Büro in Sao Paulo.
Susanne Burkhardt: Herr Araujo, haben sie noch Hoffnung, dass die Wahl Bolsonaros verhindert werden kann?
Antonio Araujo: Wir kämpfen nach wie vor, um dieses Desaster zu verhindern. Wir gehen auf die Straße, in die U-Bahn, sprechen mit den Menschen - viele von uns, Tag für Tag. Wenn er am Ende gewinnt, wird das eine Katastrophe für Brasilien im Allgemeinen. Für die Kunstszene aber wird es dann besonders schwer, denn Bolsonaro hasst die Kunstszene, kein ernstzunehmender Künstler unterstützt ihn. Er hat bereits angekündigt, das Kulturministerium abzuschaffen – für das wir lange gekämpft haben hier in Brasilien.
"Rache an Künstlern"
Außerdem soll ein Gesetz abgeschafft werden, dass die Unterstützung von Künstlern regelt. Bolsonaro und der ganze rechte Flügel hat gegen dieses Gesetz eine Kampagne gestartet – als Rache an den Künstlern, die sie nicht unterstützen. Was mich aber am meisten besorgt, ist, dass die Meinungsfreiheit wirklich gefährdet ist durch Bolsonaro. Er akzeptiert keine andere Meinung als seine – jeder der nicht seiner Meinung ist, ist für ihn ein Feind, der vernichtet werden muss.
Erst vergangenen Sonntag hat er in einer Rede davon gesprochen, dass die Arbeiterpartei zerstört werden muss, verbannt aus dem Land und dass all jene, die nicht mit ihm übereinstimmen, ins Gefängnis gehörten oder das Land verlassen sollten. Das ist so absurd – so etwas in einer Demokratie zu sagen – in der wir ja leben. Dazu gehört natürlich, dass man verschiedene Ansichten haben kann. So gesehen ist ein Wahlsieg Bolsonaros eine Gefahr für die künstlerische Freiheit.
Susanne Burkhardt: Wenn Sie auf die Straße gehen,, versuchen, die Leute zu überzeugen, machen Sie das dann mit künstlerischen Mitteln oder eher als politischer Mensch?
Antonio Araujo: Als politischer Mensch. Mit vielen anderen und mit ganz verschiedenen Strategien: Ich bin täglich auf der Strasse – hören den Menschen zu – manche sind noch unsicher – aber viele sind voller Wut gegen die korrupte Arbeiterpartei. Man muss erstmal zuhören, erst dann ist eine rationale Konversation möglich. Manche Kollegen gehen in die U-Bahn und nutzen die Theatertechnik des "Unsichtbaren Theaters" nach Augusto Boal, einem brasilianischen Theatermacher: Zwei Schauspieler unterhalten sich in der U-Bahn laut über die Wahlen – die Fahrgäste hören zu. Das ist eine Form, Themen zu diskutieren – ohne die Leute direkt zu adressieren.
"Es geht um Zivilisation gegen Barbarei"
Andere Gruppen laden zum Kuchenessen ein – um dabei über Politik zu sprechen. Es gibt also ganz verschiedene Strategien, Leute ins Gespräch zu holen. Hier geht es um mehr als Kunst. Hier steht so viel auf dem Spiel: Unser Land, die Demokratie. Es geht um Zivilisation gegen Barbarei. Wir sind nicht naiv. Wir wissen, dass es schwer wird. Aber wir versuchen alles, um es zu verhindern - bis zur letzten Minute.
Susanne Burkhardt: Gibt es den Gedanken bei Ihnen oder bei Theaterleuten, die Sie kennen, nachdem Bolsonaro gewonnen hat das Land zu verlassen, ist das eine Option?
Antonio Araujo: Ich weiß von vielen Freunden, Künstlerkollegen, aber auch Professoren, Intellektuellen, die dann das Land verlassen wollen. Ich verstehe das völlig aber ich finde es wichtig, hierzubleiben und zu kämpfen. Wir müssen ein Gegengewicht schaffen. Das wird natürlich nicht leicht und wir werden verfolgt werden, aber wir können dieses Land nicht einfach diesem Mann überlassen. Ich liebe Brasilien – es ist ein großartiges Land – aber hier findet grade etwas absolut Sozialpathologisches statt: ein kollektives Delirium. Die Leute glauben daran, dass dieser Mann wie ein Messias kommen und die Probleme lösen wird. Aber wenn er gewinnt, brauchen wir eine Gegenkraft, eine Barriere, die versucht, diesen Mann zu stoppen.
Was viele fürchten, weil er wie ein Diktator denkt, ist, dass es zu Folter, zu Verhaftungen kommt. Das kennen wir aus der Diktatur früher. Wenn das passiert, wird es natürlich schwieriger zu bleiben und zu kämpfen. Aber bis das passiert, ist es wichtig, zu bleiben und für die Demokratie zu kämpfen, zu protestieren, auf die Straße zu gehen und die Stimme zu erheben.
Susanne Burkhardt: Wie wichtig ist es, wenn die internationale Kulturszene nach Brasilien schaut und diesen Widerstand unterstützt?
Antonio Araujo: Die internationale Kunstszene unterstützt uns bereits – sendet Nachrichten, macht Videos. Erst vor Kurzem haben die Tänzer von Anne Teresa De Keersmaeker bei einem Auftritt in Portugal alle den Slogan #Ele Não" – #ErNicht – gezeigt, eine Kampagne der Frauen in Brasilien gegen Bolsonaro. Es gibt also eine enorme Unterstützung durch die internationale Kunstszene im Moment – aber klar: Wenn Bolsonaro wirklich gewinnt, wird diese Form von Solidarität noch viel wichtiger für uns, denn dann wird die Siuation für die Künstler nicht nur komplizierter – sondern gefährlich.