Neue Lichtgestalt des Nuevo Flamenco
Innerhalb weniger Jahren wurde er zum Star im Nuevo Flamenco: der Andalusier Antonio Lizana. Der Musiker switcht zwischen Flamenco-Gesang und jazzigen Saxofonspiel. In beidem ist er exzellent - wie sein aktuelles Album zeigt.
"Das ist das Allerschönste, was man mir nach den Konzerten sagt: Viele mit dem Flamenco verbundene Leute sagen mir: 'Bislang mochte ich keinen Jazz, aber wie Du es machst, ist es toll'. Und viele Jazz-Fans genauso: 'Bislang stand ich eigentlich nicht auf Flamenco, aber bei dir klingt es anders'. Und ich: yeah so gelingt also die Einführung vieler Jazzer in den Flamenco und umgekehrt", sagt Antonio Lizana.
Und da ist auch nichts Gekünsteltes, Angestrengtes – weder im Wesen des gerne barfuß im Konzert musizierenden Antonio Lizana, noch in seiner Musik. Etwa in dieser ganz zwanglos gen Jazz schwenkenden Bulería namens "Déjate sentir" – "Lass dich spüren" – ein poetisches Plädoyer für ein selbstbestimmtes Leben. Der Opener seines zweiten von drei Alben in nur fünf Jahren. Der vom Blues abstammende Jazz hat mit dem gefühlsintensiven "Blues der Gitanos" offenbar keinerlei Verständnisschwierigkeiten.
Immer wieder taucht das Meer auf
Dass in Antonio Lizanas Musik immer wieder auftauchende Meer kommt nicht von ungefähr. Der Andalusier ist 1986 in Cádiz geboren. Seine Geburtsstadt San Fernando teilt er sich mit dem wohl transzendentesten Flamemco-Sänger der Moderne, dem 1992 verstorbenen Camarón de la Isla.
Für Lizana ein ganz früher, gar der erste musikalische Bezug. Doch selber gesungen hat der junge Andalusier zunächst eher nebenbei. Erst mal war da die Liebe zum Saxofon, das er als Zehnjähriger seiner heimatlichen Musikschule zu lernen begann. Später gings zum Studieren ins Baskenland.
"Mit 14, 15, 16 Jahren - all diese Zeit lang - brachte ich mir vor allem Paco de Lucías Musik bei, wo auch (der Saxofonist und Flötist) Jorge Pardo dabei war. Und mir wurde klar, dass ich, um mich als Spieler eines Blasinstruments weiterzuentwickeln, improvisieren lernen musste. Als ich zu diesem Schluss kam, begann ich Jazz zu studieren. Zunächst betrieb ich das nur mit so einer Art Interesse am Improvisieren - die Jazztradition selbst gefiel mir nicht wirklich.
Ich war halt total Flamenco, meine Sicht auf das Leben, seine Freunde - alles flamenco. Als ich in der Schule tiefgründig zu studieren begann, verfiel ich dem Jazz - schon spät, mit 19, 20 Jahren. Da sagte ich mir: Wow, das bewegt mich wirklich auch! Und von da an nahm ich es ernst und ganz persönlich, wollte Kenny Garrett sein."
Doch Antonio Lizana muss sich eigentlich nicht mehr an den gerade erwähnten Idolen messen: neben dem US-amerikanischen Jazzsaxofonisten Kenny Garrett erwähnter Jorge Pardo, der den Cante mit der Stimme von Saxofon und Flöte übersetzte. Wie der bis heute experimentierfreudige Madrider Flamenco-Jazz-Pionier bricht auch Lizana von diesen beiden Musikwelten in andere aus, etwa gen Orient. Ohne den, ohne die maurischen und jüdisch-sephardischen Einflüsse ist ja – wie er sagt - auch die Entstehungsgeschichte des Flamenco selber auch gar nicht denkbar.
Grenzen werden verwischen
"Fronteras – Grenzen, willkürlich aufgemalt. Die Zeit wird sie wieder verwischen", heißt es im Opener der aktuellen, 2017 erschienenen CD Oriente, der so konkret wie metaphorisch auf das mühselige Grenzüberschreiten von Flüchtenden anspielt.
Der selber so freiheitsliebende Antonio Lizana erweist sich in seinen stilistisch weitschweifenden Kompositionen als poesiebegabter, sozialkritischer Texter. Sein recht hoher, orthodoxer Flamenco-Gesang berührt – nur gut, dass der Saxofonist irgendwann während des Musikstudiums eher aus Not selber zum Gesangsmikro gegriffen hatte und so alles seinen Lauf nahm...
"Das Saxofon erlaubt mir andere Arten von Intervallen zu spielen, die man mit der Stimme vielleicht so nicht erreicht - ein größeres Register. Und mit der Stimme hab ich das Wort. Beides lässt sich gut in Einklang bringen. Und so gebe ich singend vor, wo es langgeht, um dann mit dem Saxofon das Ganze weiterzuentwickeln, anstatt einfach nur so zu singen. Und ja, ich hab dieses vielleicht etwas jugendliche Bedürfnis, etwas mitzuteilen, ich spüre einfach diese Notwendigkeit, mich auszudrücken. Finde schon, dass wir mit der Musik ein machtvolles Werkzeug haben, die Welt zu verändern. Die Kunst kann das zwar selber nicht, aber sie kann aufzeigen, reflektieren, kann kulturell verschiedene Menschen zu einem gemeinsamen Punkt bringen."
Eine solche Allianz gelingt Antonio Lizana auch – musikalisch wie menschlich – mit seinem Jazzquintett, dem sogar ein Flamenco-Tänzer. Viel für die Sinne des Konzertbesuchers – aber nie zuviel.