António Lobo Antunes: "Bis die Steine leichter sind als Wasser"
Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann
Luchterhand Verlag, München 2021
528 Seiten, 24 Euro
Todtrauriger Klagegesang
06:13 Minuten
António Lobo Antunes erzählt in "Bis die Steine leichter sind als Wasser" von den blutigen Folgen des Kolonialismus. Der portugiesische Schriftsteller kennt die Gewalt aus eigener Anschauung. In den 1970er-Jahren war er Militärarzt in Angola.
Portugiesische Soldaten rotten in Angola ein Dorf aus, verstümmeln und töten die Bewohner auf grausame Weise. Ein kleiner Junge bleibt durch einen Zufall verschont. Er wird von einem der Soldaten mit nach Portugal genommen und adoptiert. Als Schwarzer wächst er unter Weißen auf - und wird diskriminiert.
Es ist die Zeit der noch jungen portugiesischen Demokratie, nach dem Ende der Salazar-Diktatur 1974. Der Roman "Bis die Steine leichter sind als Wasser" ist auf ein Schlachtfest hin konstruiert: In dem Dorf, in dem die Familie lebt, wird ein Schwein zerlegt. Dieses blutige, aber auch alltägliche Ritual in einer ländlichen Umgebung wird zur Metapher für die Grausamkeiten des Kolonialkriegs und seiner Folgen.
Der mittlerweile erwachsen gewordene Junge ist eine der Erzählstimmen in dem Roman. Er berichtet von den Demütigungen, die er in Portugal erfährt, und taucht immer weiter in die eigene Vergangenheit und in die seiner Adoptionsfamilie ein.
Psychische Bewältigung der eigenen Kriegserlebnisse
Gegenpol ist die Stimme des Vaters. Er hat damals das Kind geraubt, aber auch gerettet, und wird von Alpträumen eingeholt. Die Brutalitäten, die er miterlebt oder mitverursacht hat, lassen ihn nicht zur Ruhe kommen.
António Lobo Antunes hat zu Beginn der 1970er-Jahre als Militärarzt in Angola gearbeitet. Die Erfahrungen, die er in jener Zeit machte, haben ihn nachhaltig geprägt. Als er anfing, Romane zu schreiben, stand die psychische Bewältigung der Kriegserlebnisse im Mittelpunkt. Seine Literatur ist der Versuch, den Verwüstungen der Seelen - des Individuums, aber auch der Gesellschaft - einen Ausdruck zu verschaffen.
Antunes lässt wenig aus, erspart dem Leser nichts. Erbarmungslos schildert er Demütigungen, Beleidigungen, Entmenschlichung. Vor allem aber auch körperliche Gewalt, die Portugals Soldaten beim Einsatz in Angola gegenüber der einheimischen Bevölkerung angewendet haben. Kampfbombereinsätze, Entlaubungsmittel, Foltermethoden, Herrenmenschengehabe.
Dichtes Geflecht von sich überlagernden Stimmen
Neben der retrospektiv erzählten Kriegserfahrung wird auch eine lebensbedrohliche Nierenerkrankung der Mutter in die Geschichte eingeführt. Krieg, Gewalt, körperliche und seelische Krankheit prägen das Schicksal dieser Familie.
Der Roman ist ein todtrauriger Klagesang, ein komplexes, gewaltiges Sprachgebilde, das Maralde Meyer-Minnemann, Antunes’ langjährige und an seinem Stil geschulte Übersetzerin, sehr eindringlich ins Deutsche gebracht hat. Wie stets bei Antunes, ist auch dieser Roman ein dichtes Geflecht von sich überlagernden Stimmen und Assoziationen. Er arbeitet mit prallen Farben und bedrängenden Bildern. Die langen, atemlosen Sätze, in denen er aus verschiedenen Perspektiven erzählt, werden immer wieder unterbrochen von kurzen Einwürfen in direkter Rede. Das ergibt einen brüchigen und gleichzeitig vorwärts drängenden Rhythmus.
Antunes bezeichnet seine Bücher selbst als "Organismen". Es sind verästelte, überwachsene, verwachsene Gebilde. Auch dieser Roman ist eine üppige Textlandschaft, die nicht immer leicht zu entschlüsseln ist. Das kunstvolle Alterswerk eines Schriftstellers, der über Jahrzehnte hinweg ein ganz eigenes literarisches Universum erschaffen hat.