Antonio Ortuño: "Die Verbrannten"
Aus dem Spanischen von Nora Haller
Verlag Antje Kunstmann, München 2015
206 Seiten, 19,95 Euro
Ein Wutkrimi über Menschenhandel in Mexiko
Der mexikanische Autor Antonio Ortuño erzählt in seinem vierten Roman von den Ereignissen um eine niedergebrannte Unterkunft für Flüchtlinge in einer fiktiven Kleinstadt namens Santa Rita. Das Buch überzeugt durch seine sprachliche Vielfalt und bösen Sarkasmus.
Vom Südwesten Mexikos, von der Grenze zu Guatemala, reisen illegale Migranten aus ganz Mittelamerika quer durchs Land nach Norden - meist auf den Dächern von Güterzügen oder in Containerwagen, ihr Ziel sind die Vereinigten Staaten. Nur ein Bruchteil kommt dort an.
Die Schlepperbanden, die diese Reisen kontrollieren, sind bestens organisiert und äußerst brutal, oft auch mit den lokalen Drogenkartellen verbunden; Vergewaltigungen, Erpressungen und Morde sind an der Tagesordnung.
Diese Fakten sind eigentlich bekannt. Mit dem Kinofilm "Sin nombre - Zug der Hoffnung" (2009) von Cary Fukunaga wurden sie auch dem deutschen Publikum schon nahegebracht.
Und auf Deutsch ist nun auch ein Roman zu diesem Thema erschienen: Der mexikanische Autor Antonio Ortuño, Jahrgang 1976, erzählt in seinem vierten Roman von den Ereignissen in einer fiktiven und ziemlich typischen Kleinstadt namens Santa Rita, tief im Süden. Eines Tages wird die voll besetzte staatliche Aufnahmestelle für Flüchtlinge niedergebrannt. Die Türen waren verrammelt, das Personal bei einer Party. Hinterher erscheint eine Presseerklärung des Nationalkomitees für Migration, in der die Tat verurteilt und schnelle Aufklärung zugesichert wird.
Viele Stimmen in unterschiedlichen Tonlagen
Irma, eine Beamtin der Behörde, wird nun nach Santa Rita geschickt, um bei der Untersuchung zu helfen. Die wenigen Überlebenden sagen aber kein Wort, die Beamten vor Ort weichen aus. Es gibt bald noch mehr Gewalt, noch mehr Tote in Santa Rita, aber der Alltag geht scheinbar unberührt davon weiter.
Ortuño spielt ein wenig mit dem Krimi-Genre und baut Szenen ein, die an die sozialkritischen Wutkrimis von Dashiell Hammett erinnern. Aber das ist nur eine Facette seines Erzählens. Bei ihm kommen viele Stimmen in sehr unterschiedlichen Tonlagen zu Wort: Mitläufer, Täter, Nutznießer und – sehr leise und sehr eindrucksvoll - ein Opfer.
Alle in Santa Rita scheinen irgendwie mit dem Überfall zu tun zu haben, zumindest ein Wissen zu besitzen, das so selbstverständlich ist wie die alltägliche Korruption. Und sogar Irmas Ex-Mann in der fernen Hauptstadt hat auf seine Weise Anteil am Menschenhandel mit indianischen Migranten.
Dieses Buch überzeugt sowohl durch die dokumentarische Deutlichkeit, mit der es die furchtbaren Ereignisse ausbreitet, als auch durch sprachliche Vielfältigkeit - und seinen bösen Sarkasmus.