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Das Vademekum des Fagotts
Er war Geistlicher und Komponist und schrieb besonders gerne für die Geige. Allerdings hat Antonio Vivaldi auch rund 40 Fagottkonzerte komponiert. Was faszinierte den rothaarigen Priester an dem rötlichen Holzblasinstrument so sehr?
"Die vier Jahreszeiten" gehören sicherlich zu den bekanntesten Werken der klassischen Musik; ihr Verfasser Antonio Vivaldi (1678-1741) ist mit diesem barocken Evergreen zum omnipräsenten Komponisten unserer Zeit geworden. Aber das Werk des Mannes, der wegen seiner Haartracht als "prete rosso", als "roter Priester" in die Geschichte einging, birgt viel mehr Schätze als gedacht.
Vivaldi: Schon die bloße Namensnennung ist dazu geeignet, wohlige Italien-Bilder heraufzubeschwören, irgendwo zwischen Cappucino und Cinquecento. A propos 500: Ungefähr so viele Solokonzerte hat Antonio Vivaldi komponiert – sofern sich dieses gewaltige Schaffen überhaupt eingrenzen lässt.
Einige bedeutende Funde aus dem Nachlass des über lange Zeit vergessenen Komponisten sind in den vergangenen Jahren hinzugekommen, und von ganzen Werkgruppen ist zwar bekannt, dass sie existieren – allerdings können die einzelnen Werke nicht als "bekannt" bezeichnet werden, da sie nur selten zu hören sind.
Immer das Gleiche?
Diese erstaunliche, für die Barockzeit allerdings nicht untypische Produktivität veranlasste Igor Strawinsky zu der Bemerkung, Vivaldi habe das gleiche Konzert wohl mehrere hundert Mal komponiert. In dieser Sendung, die wir aus dem Jahr 2017 wiederholen, unternimmt der renommierte Barock-Fagottist Sergio Azzolini die Probe aufs Exempel.
Dies geschieht anhand einer Werkgruppe, die Strawinskys Einschätzung zu bestätigen scheint: An die 40 Fagottkonzerte (die von den Musikwissenschaftlern ermittelten Zahlen weichen voneinander ab) hat Vivaldi in den Jahren um 1730 geschrieben, die meisten davon vermutlich für das Ospedale della Pietà. In diesem seinerzeit berühmten kirchlichen Waisenhaus in Venedig war Vivaldi als Musiklehrer beschäftigt.
Venezianische Avantgarde
Und siehe da: An diesen Stücken ist nicht nur bemerkenswert, dass sie überhaupt existieren, war das Fagott doch als Bass-und Begleitinstrument bis dahin nicht zu der Ehre gekommen, auch solistisch behandelt zu werden. Bemerkenswert ist auch der Erfindungsreichtum des Venezianers, seine mal dramatische, mal elegische, aber für die Verhältnisse der damaligen Zeit immer experimentierfreudige Klangsprache.
Würde man mit den (historisch falschen) Maßstäben der Solokonzerte Beethovens oder Brahms‘ an diese klein besetzten und in der Regel nur zehn Minuten dauernden Stücke herangehen, könnte man Vivaldi unmöglich gerecht werden. Versucht man dagegen, diese konzertanten Miniaturen mit offenen Ohren zu hören, kann man die Originalität eines Meisters bewundern, dessen Konzerte immerhin von Johann Sebastian Bach geschätzt und bearbeitet wurden.