Anuschka Roshani: "Gleißen"

Das große Ich-Abenteuer

07:55 Minuten
Anuschka Roshanis "Gleißen. Wie mich LSD fürs Leben kurierte"
© Kein&Aber

Anuschka Roshani

Gleißen. Wie LSD mich fürs Leben kurierteMatthes & Seitz, Berlin 2022

176 Seiten

22,00 Euro

Von Sarah Elsing |
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Neugierig geworden durch die Renaissance der Psychedelikaforschung unternimmt die Journalistin Anuschka Roshani einen Selbstversuch mit LSD. Danach ist nichts mehr wie vorher. Auch die Sprache der Autorin nicht – welch ein Glück, sie so zu lesen!
Fürchterlich abgeschmackt habe sie Selbsterfahrungsberichte als Journalistin oft gefunden, schreibt Anuschka Roshani zu Beginn ihres eigenen Reiseberichts durch ihre Erfahrungen mit LSD. Das Risiko an "gespreizten Binsen" und "sprachlichen Abziehbildern wie 'Carpe Diem' oder 'Love is everything you need' entlangzuschrammen" sei doch erheblich.
Natürlich gibt es Höhen und Tiefen in der LSD-Literatur. Doch das, was die "acid heads" Allen Ginsberg, William S. Burroughs oder Aldous Huxley Mitte des vergangenen Jahrhunderts schrieben, ist literarisch so aufregend, dass es jeden zeitgenössischen Text, in dem das Wort "abgeschmackt" vorkommt, in eine wohltemperierte, aber langweilige Boomer-Welt verweist. Es kommt eben darauf an, wer schreibt.
Im Fall von Anuschka Roshani lohnt es sich jedoch, literarische Wertungen zunächst hintanzustellen. Ihr zweites Buch „Gleißen“ legt Zeugnis ab von einer doppelten Verwandlung, und zwar der eines kontrollbedürftigen Kopfmenschen zum emotional durchlässigen Wesen, das sich staunend durch eine beseelte Welt bewegt. Und der einer routinierten Journalistin, die sich traut, die Literatin in sich freizulassen.

Ein kühner Sprung ins Ich-Abenteuer

Neugierig geworden durch einen Zeitungsbericht über Michael Pollans Bestseller "Verändere dein Bewusstsein", der mittlerweile als Netflix-Doku ein noch größeres Publikum als per Buch erreicht, stürzt sich Roshani so naiv wie kühn in ein großes Ich-Abenteuer.
Sie tut das zunächst aus journalistischem Ehrgeiz und im Namen der Wissenschaft im Rahmen einer Studie des Universitätsspitals Basel über die Wirkung von hoch dosiertem LSD – schließlich bricht nach über 50 Jahren Stigmatisierung und Verbot gerade der zweite Frühling der Psychedelikaforschung an und erstmals ist die Anwendungen von LSD als Medikament gegen Ängste, Depressionen, Alkoholismus, Nikotinsucht oder Zwangsneurosen wieder denkbar.
Doch schnell wird der studierten Verhaltensbiologin klar, dass ihr Verstand, der die Dinge bisher so schön in Reih und Glied brachte, "under the influence", nicht weiterhilft. Roshani, die sich zuvor als einen von keinerlei Kindheitsversehrungen, Süchten oder anderen allzu emotionalen Eruptionen angewehten und "intakten" Menschen im „milden Glück“ des Schweizer Mittelstands verankert sah, kommt zu dem Schluss: „Ich ist eine andere“.
Ihr Ich auf LSD ist eine sprudelnde Wasserfontäne, ein atmender Baum, ihr sterbender Vater, die Höllenfratzen von Hieronymus Bosch. Sie erlebt das „ozeanische Fließen“, von dem Freud schreibt, und die euphorische Gelassenheit, von denen die Beatles, Pink Floyd und The Doors singen.

Inneres Beben und sprachliche Katharsis

Allein das ist schon unfassbar, doch was sich in der klassischen Dreiaktstruktur des Buchs ebenfalls vollzieht, ist – rein literarisch betrachtet – fast der noch größere Gewinn.
Im ersten Kapitel („Vorbeben“) schnurrt Roshani, die als Redakteurin für „Das Magazin“ des schweizerischen Tagesanzeigers arbeitet, die Geschichte der von Nixons „War on drugs“ jäh beendeter LSD-Forschung runter, als wäre es eine nicht enden wollende Reportage im Nachrichtenmagazin "Spiegel", für das die Autorin ebenfalls viele Jahre geschrieben hat.

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Im zweiten Akt löst die LSD-Erfahrung dann nicht nur ein innerliches „Beben“, sondern auch eine sprachliche Katharsis aus: Mit dem Zerspringen ihres Ichs fällt auch der eingeübte Feature-Ton von Roshani ab. Zum Glück! Plötzlich blitzen literarische, fast poetische Formulierungen auf, die der gewaltigen Verschiebung der Welt versuchen, sprachlich gerecht zu werden. Roshani lässt ihre Worte wie „persische Derwische übers Papier wirbeln“, ohne sich davon einschüchtern zu lassen, „meine Worte könnten mitunter zu entrückt vor objektiver Entschlüsselung dastehen".

Gleißen im Post-LSD-Alltag

Zwar schieben sich mit dem wiedergewonnenen Zeitgefühl und den retrospektiven Deutungsversuchen Logik und Ego zurück ins Bewusstsein. Aber das titelgebende „Gleißen“ lässt sich Roshani weder aus ihrem Post-LSD-Alltag verscheuchen, noch aus ihrem neugeborenen Selbstverständnis als Autorin.
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