Anwalt: Es geht um die Glaubwürdigkeit der UNO
Die Mütter von Srebrenica verklagen die UNO und die Niederlande, weil sie bei einem Massaker Angehörige verloren haben, obwohl die Stadt in einer Schutzzone lag. Vor der Urteilsverkündung hat ihr Anwalt Axel Hagedorn dafür plädiert, auch die UNO zur Verantwortung zu ziehen.
Klaus Pokatzky: Einen der Anwälte der Streiter in dieser Auseinandersetzung begrüße ich nun im Studio in Amsterdam, den Rechtsanwalt Axel Hagedorn, dessen Kanzlei im Namen der Stiftung Mütter von Srebrenica eine Massenklage gegen den niederländischen Staat und gegen die Vereinten Nationen eingerichtet hat. Guten Tag, Herr Hagedorn!
Axel Hagedorn: Guten Tag, Herr Pokatzky!
Pokatzky: Herr Hagedorn, welches ist denn das Hauptmotiv der insgesamt 6000 Mütter von Srebrenica, die Sie vertreten? Welche Entschädigung wollen Sie und welche Form von Anerkennung und Genugtuung?
Hagedorn: Ja, man muss einfach begreifen, dass diese Mütter bis zum heutigen Tage keine Entschuldigung gehört haben – noch von der UNO, noch von dem niederländischen Staat. Es ist zwar eine Regierung zurückgetreten, aber ohne eine Entschuldigung auszusprechen. Das muss man dann psychologisch begreifen. Das finden die Mütter nicht gut, und sie wollen deshalb vor allen Dingen auch Anerkennung damit erreichen, dass diese Klage eingereicht wurde, dass halt die Weltbevölkerung auch sieht, dass hier etwas passiert ist, was Unrecht ist und wofür diese Parteien – nämlich der niederländische Staat und die UNO – mit zur Verantwortung gezogen werden. Und im zweiten Schritt geht es dann natürlich um eine Vergütung, wobei das nach dem niederländischen Recht eine Massenklage nicht in erster Instanz möglich ist, das ist erst ein zweiter Schritt.
Pokatzky: Wie viel würde denn, wenn jetzt einzelne Frauen, einzelne der Mütter von Srebrenica irgendwann gewinnen würden, um welche Summen geht es da?
Hagedorn: Das ist ganz schwierig zu beurteilen. Sie müssen sich vorstellen, wenn Sie einen Schaden berechnen wollen und jemand verliert Familienmitglieder – ein, zwei, drei –, wie wollen Sie das in Geld ausdrücken? Also die Frage ist, ob das überhaupt zu sozusagen allein individuellen Schadenersatzansprüchen führt oder man nicht irgendwann zu einer Einigung kommt, in der auch infrastrukturelle Maßnahmen mitgenommen werden und sozusagen auch die Bevölkerung die Möglichkeit bekommt, zurückzukehren an den Ort.
Pokatzky: Um wie viele niederländische Soldaten geht es jetzt genau in Ihrem Verfahren?
Hagedorn: Es geht überhaupt nicht um die niederländischen Soldaten individuell. Es geht um die Verantwortung des niederländischen Staates und der UNO, sozusagen als Organisation, also nicht um eine strafrechtliche Verantwortlichkeit individueller Soldaten.
Pokatzky: Wen wollen Sie dann da letztlich zur Verantwortung auch ziehen? Wollen Sie jetzt zwingen entweder den Weltsicherheitsrat oder die Regierung des Königreiches der Niederlande, sich zu entschuldigen, sozusagen als Organe, oder denken Sie da auch an einzelne Personen, etwa an frühere Mitglieder des Weltsicherheitsrates, die ja für diese UNO-Aktion im damaligen Bosnien-Krieg, UNPROFOR, verantwortlich waren?
Hagedorn: Nein, es geht ganz eindeutig um die Verantwortlichkeit, die Mitverantwortlichkeit der Organisationen, der UNO oder des niederländischen Staates, unabhängig von den Personen, die gehandelt haben.
Pokatzky: Was bedeutet es für Ihr Verfahren, dass – wir haben es ja eben im Beitrag von Stephanie von Oppen gehört – dass 2007 das Massaker von Srebrenica vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag als Völkermord anerkannt wurde? Ist das sozusagen förderlich Ihrem Anliegen?
Hagedorn: Ja, weil das ist natürlich einmalig, es ist der erste Völkermord auf europäischem Grundgebiet seit dem Zweiten Weltkrieg, und vor allem ist es natürlich auch noch nicht bisher passiert, dass sozusagen festgestellt wurde, dass die UNO an einem Ort war, wo sie die Zivilbevölkerung schützen sollte und dann ein Völkermord stattfindet. Das ist neu, und das spielt eine große Rolle bei der Frage der Immunität der UNO.
Pokatzky: Ich spreche mit Axel Hagedorn, Rechtsanwalt in Amsterdam, der für die Stiftung Die Mütter von Srebrenica die Vereinten Nationen und die Niederlande verklagt hat. Herr Hagedorn, warum sind Sie eigentlich vor die niederländische Gerichtsbarkeit gezogen mit Ihrer Klage, die nun knapp drei Jahre alt ist, und nicht etwa vor den Internationalen Gerichtshof, der ja bei Ihnen auch vor der Tür liegt?
Hagedorn: Das ist ganz eindeutig, weil die niederländischen Blauhelme sind niederländische Soldaten gewesen, und Die Mütter von Srebrenica halten halt den niederländischen Staat für verantwortlich, mitverantwortlich dafür, dass sie nicht beschützt worden sind. Und dann im Zusammenhang, im rechtlichen Zusammenhang, kann man auch die UNO in den Niederlanden verklagen. Der IGH gibt keine Möglichkeit für Zivilpersonen, also für Die Mütter von Srebrenica, um eine Klage einzureichen. Das könnten wir gar nicht. Es geht nur ein Zivilprozess, der dann bei dem niederländischen Staat anhängig gemacht wird, weil der in Den Haag sitzt.
Pokatzky: Von welcher grundsätzlichen Bedeutung ist dieses Verfahren denn überhaupt?
Hagedorn: Es geht um die ganz prinzipielle Frage, ob die UNO eine absolute Immunität genießt, also unter keinen Umständen jemals vor einem Gerichtshof zur Verantwortung gezogen werden kann. Allgemeingut ist, dass das Fundament einer jeden Demokratie die Gewaltenteilung ist. Dies bedeutet, dass es drei Gewalten gibt: die Gesetzgebung, das kennt man, mit den Parlamenten, die ausführende Macht, zum Beispiel die Polizei, die die Gesetze ausführt, und letztlich die richterliche Macht, die die Einhaltung der Gesetze, aber auch die Gesetzgebung kontrolliert. Und idealiter, so lehrt man es im Studium, kontrollieren sich diese Mächte gegenseitig. Bei der UNO ist das anders, da macht diese die Gesetze in Form von UNO-Resolutionen, schickt dann selbst ihre Truppen, um diese auszuführen, aber eine richterliche Kontrolle gibt es absolut nicht. Damit ist die UNO dann die einzige Organisation in der Welt, die richterlich unkontrolliert ist. Und Geschichte lehrt, dass unbeschränkte Macht zu Missbrauch führt, und dieses System kann man also gegenüber den Bürgern als ein diktatorisches System bezeichnen, da der Bürger keinen Rechtsschutz gegen die UNO hat, obwohl effektiver Rechtsschutz ein fundamentales Menschenrecht ist und die UNO als Vorfechter für Menschenrechte auftritt. Es geht also um sehr grundsätzliche Fragen der Rolle der UNO, weit über diese Frage der Mütter von Srebrenica hinaus, und vor allem um die Glaubwürdigkeit der UNO.
Pokatzky: Das heißt, das Berufungsgericht am Oberlandesgericht Den Haag, das morgen entscheiden wird, ob die Vereinten Nationen gezwungen werden können, Rechtsvertreter für das Verfahren vor niederländische Gerichte zu schicken, das Berufungsgericht wird quasi ein historisches Urteil fällen. Welche Erfolgsaussichten sehen Sie denn da?
Hagedorn: Also es ist natürlich für ein niederländisches Gericht sehr schwierig, gegen die UNO alleine aufzutreten. Deshalb haben wir auch beantragt – und das scheint mir auch eine logische Folge zu sein und sollte auch passieren –, diese Frage vorzulegen an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Weil Sie müssen sich das Folgende vorstellen: Normalerweise kann jetzt ein Gericht in Holland entscheiden eine absolute Immunität, und morgen entscheidet ein Gericht in Frankreich, nein, keine Immunität. Und das kann so weitergehen in den ganzen europäischen Ländern. Es ist eine europäische Frage, akzeptieren die europäische Grundrechte, die europäische Grundrechtscharta und der Lissabon-Vertrag, dass es eine Institution wie die UNO gibt, die nirgendwo vor den Kadi gezogen werden kann. Und das ist eine so grundsätzliche Frage, die dann vom Europäischen Gerichtshof entschieden werden sollte. Und – das ist auch natürlich die Frage dabei – es ist natürlich was anderes, ob ein Europäischer Gerichtshof vertreten mit allen europäischen Mitgliedstaaten gegenüber der UNO ein Urteil fällt oder ein niederländisches Gericht.
Pokatzky: Aber wenn nun tatsächlich der Europäische Gerichtshof sozusagen die Vereinten Nationen in Anführungsstrichen "verdonnern" würde, würde das nicht auch die Gefahr in sich bergen, dass möglicherweise irgendwann keine UNO-Soldaten in Krisengebiete mehr geschickt werden, weil man dann Angst haben muss, dass Soldaten hinterher belangt werden können?
Hagedorn: Das ist eine sehr gute Frage, weil die wird immer wieder auch gerufen, aber ich glaube, dass das nicht richtig ist. Wenn Sie sich vorstellen, dass die Polizei auch in Deutschland, in den Niederlanden überall verklagt werden kann und keiner kommt jemals auf die Idee, dass diese Verantwortlichkeit dafür dazu führen kann, dass die Polizei nicht funktioniert. Es ist an der Zeit, nach 60 Jahren UNO, wo die UNO immer mehr Macht bekommen hat, auch sich selbst zu reformieren. Und wenn man nicht dieses System einführt, was übrigens in der Charta der Vereinten Nationen in einem Vertrag festgelegt ist, dass sie ein unabhängiges Rechtssystem kreieren – und das haben sie nicht gemacht. Deshalb glaube ich, dass man diesen Schutz ihnen nun nicht gewährleisten kann, und es ist ein normaler Prozess für die UNO, dass sie an rechtsstaatliche Grundsätze gehalten wird.
Pokatzky: Danke, Axel Hagedorn, Rechtsanwalt in Amsterdam. Seine Anwaltskanzlei streitet für die Stiftung Mütter von Srebrenica vor den niederländischen Gerichten gegen die Vereinten Nationen und die niederländische Regierung.
Axel Hagedorn: Guten Tag, Herr Pokatzky!
Pokatzky: Herr Hagedorn, welches ist denn das Hauptmotiv der insgesamt 6000 Mütter von Srebrenica, die Sie vertreten? Welche Entschädigung wollen Sie und welche Form von Anerkennung und Genugtuung?
Hagedorn: Ja, man muss einfach begreifen, dass diese Mütter bis zum heutigen Tage keine Entschuldigung gehört haben – noch von der UNO, noch von dem niederländischen Staat. Es ist zwar eine Regierung zurückgetreten, aber ohne eine Entschuldigung auszusprechen. Das muss man dann psychologisch begreifen. Das finden die Mütter nicht gut, und sie wollen deshalb vor allen Dingen auch Anerkennung damit erreichen, dass diese Klage eingereicht wurde, dass halt die Weltbevölkerung auch sieht, dass hier etwas passiert ist, was Unrecht ist und wofür diese Parteien – nämlich der niederländische Staat und die UNO – mit zur Verantwortung gezogen werden. Und im zweiten Schritt geht es dann natürlich um eine Vergütung, wobei das nach dem niederländischen Recht eine Massenklage nicht in erster Instanz möglich ist, das ist erst ein zweiter Schritt.
Pokatzky: Wie viel würde denn, wenn jetzt einzelne Frauen, einzelne der Mütter von Srebrenica irgendwann gewinnen würden, um welche Summen geht es da?
Hagedorn: Das ist ganz schwierig zu beurteilen. Sie müssen sich vorstellen, wenn Sie einen Schaden berechnen wollen und jemand verliert Familienmitglieder – ein, zwei, drei –, wie wollen Sie das in Geld ausdrücken? Also die Frage ist, ob das überhaupt zu sozusagen allein individuellen Schadenersatzansprüchen führt oder man nicht irgendwann zu einer Einigung kommt, in der auch infrastrukturelle Maßnahmen mitgenommen werden und sozusagen auch die Bevölkerung die Möglichkeit bekommt, zurückzukehren an den Ort.
Pokatzky: Um wie viele niederländische Soldaten geht es jetzt genau in Ihrem Verfahren?
Hagedorn: Es geht überhaupt nicht um die niederländischen Soldaten individuell. Es geht um die Verantwortung des niederländischen Staates und der UNO, sozusagen als Organisation, also nicht um eine strafrechtliche Verantwortlichkeit individueller Soldaten.
Pokatzky: Wen wollen Sie dann da letztlich zur Verantwortung auch ziehen? Wollen Sie jetzt zwingen entweder den Weltsicherheitsrat oder die Regierung des Königreiches der Niederlande, sich zu entschuldigen, sozusagen als Organe, oder denken Sie da auch an einzelne Personen, etwa an frühere Mitglieder des Weltsicherheitsrates, die ja für diese UNO-Aktion im damaligen Bosnien-Krieg, UNPROFOR, verantwortlich waren?
Hagedorn: Nein, es geht ganz eindeutig um die Verantwortlichkeit, die Mitverantwortlichkeit der Organisationen, der UNO oder des niederländischen Staates, unabhängig von den Personen, die gehandelt haben.
Pokatzky: Was bedeutet es für Ihr Verfahren, dass – wir haben es ja eben im Beitrag von Stephanie von Oppen gehört – dass 2007 das Massaker von Srebrenica vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag als Völkermord anerkannt wurde? Ist das sozusagen förderlich Ihrem Anliegen?
Hagedorn: Ja, weil das ist natürlich einmalig, es ist der erste Völkermord auf europäischem Grundgebiet seit dem Zweiten Weltkrieg, und vor allem ist es natürlich auch noch nicht bisher passiert, dass sozusagen festgestellt wurde, dass die UNO an einem Ort war, wo sie die Zivilbevölkerung schützen sollte und dann ein Völkermord stattfindet. Das ist neu, und das spielt eine große Rolle bei der Frage der Immunität der UNO.
Pokatzky: Ich spreche mit Axel Hagedorn, Rechtsanwalt in Amsterdam, der für die Stiftung Die Mütter von Srebrenica die Vereinten Nationen und die Niederlande verklagt hat. Herr Hagedorn, warum sind Sie eigentlich vor die niederländische Gerichtsbarkeit gezogen mit Ihrer Klage, die nun knapp drei Jahre alt ist, und nicht etwa vor den Internationalen Gerichtshof, der ja bei Ihnen auch vor der Tür liegt?
Hagedorn: Das ist ganz eindeutig, weil die niederländischen Blauhelme sind niederländische Soldaten gewesen, und Die Mütter von Srebrenica halten halt den niederländischen Staat für verantwortlich, mitverantwortlich dafür, dass sie nicht beschützt worden sind. Und dann im Zusammenhang, im rechtlichen Zusammenhang, kann man auch die UNO in den Niederlanden verklagen. Der IGH gibt keine Möglichkeit für Zivilpersonen, also für Die Mütter von Srebrenica, um eine Klage einzureichen. Das könnten wir gar nicht. Es geht nur ein Zivilprozess, der dann bei dem niederländischen Staat anhängig gemacht wird, weil der in Den Haag sitzt.
Pokatzky: Von welcher grundsätzlichen Bedeutung ist dieses Verfahren denn überhaupt?
Hagedorn: Es geht um die ganz prinzipielle Frage, ob die UNO eine absolute Immunität genießt, also unter keinen Umständen jemals vor einem Gerichtshof zur Verantwortung gezogen werden kann. Allgemeingut ist, dass das Fundament einer jeden Demokratie die Gewaltenteilung ist. Dies bedeutet, dass es drei Gewalten gibt: die Gesetzgebung, das kennt man, mit den Parlamenten, die ausführende Macht, zum Beispiel die Polizei, die die Gesetze ausführt, und letztlich die richterliche Macht, die die Einhaltung der Gesetze, aber auch die Gesetzgebung kontrolliert. Und idealiter, so lehrt man es im Studium, kontrollieren sich diese Mächte gegenseitig. Bei der UNO ist das anders, da macht diese die Gesetze in Form von UNO-Resolutionen, schickt dann selbst ihre Truppen, um diese auszuführen, aber eine richterliche Kontrolle gibt es absolut nicht. Damit ist die UNO dann die einzige Organisation in der Welt, die richterlich unkontrolliert ist. Und Geschichte lehrt, dass unbeschränkte Macht zu Missbrauch führt, und dieses System kann man also gegenüber den Bürgern als ein diktatorisches System bezeichnen, da der Bürger keinen Rechtsschutz gegen die UNO hat, obwohl effektiver Rechtsschutz ein fundamentales Menschenrecht ist und die UNO als Vorfechter für Menschenrechte auftritt. Es geht also um sehr grundsätzliche Fragen der Rolle der UNO, weit über diese Frage der Mütter von Srebrenica hinaus, und vor allem um die Glaubwürdigkeit der UNO.
Pokatzky: Das heißt, das Berufungsgericht am Oberlandesgericht Den Haag, das morgen entscheiden wird, ob die Vereinten Nationen gezwungen werden können, Rechtsvertreter für das Verfahren vor niederländische Gerichte zu schicken, das Berufungsgericht wird quasi ein historisches Urteil fällen. Welche Erfolgsaussichten sehen Sie denn da?
Hagedorn: Also es ist natürlich für ein niederländisches Gericht sehr schwierig, gegen die UNO alleine aufzutreten. Deshalb haben wir auch beantragt – und das scheint mir auch eine logische Folge zu sein und sollte auch passieren –, diese Frage vorzulegen an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Weil Sie müssen sich das Folgende vorstellen: Normalerweise kann jetzt ein Gericht in Holland entscheiden eine absolute Immunität, und morgen entscheidet ein Gericht in Frankreich, nein, keine Immunität. Und das kann so weitergehen in den ganzen europäischen Ländern. Es ist eine europäische Frage, akzeptieren die europäische Grundrechte, die europäische Grundrechtscharta und der Lissabon-Vertrag, dass es eine Institution wie die UNO gibt, die nirgendwo vor den Kadi gezogen werden kann. Und das ist eine so grundsätzliche Frage, die dann vom Europäischen Gerichtshof entschieden werden sollte. Und – das ist auch natürlich die Frage dabei – es ist natürlich was anderes, ob ein Europäischer Gerichtshof vertreten mit allen europäischen Mitgliedstaaten gegenüber der UNO ein Urteil fällt oder ein niederländisches Gericht.
Pokatzky: Aber wenn nun tatsächlich der Europäische Gerichtshof sozusagen die Vereinten Nationen in Anführungsstrichen "verdonnern" würde, würde das nicht auch die Gefahr in sich bergen, dass möglicherweise irgendwann keine UNO-Soldaten in Krisengebiete mehr geschickt werden, weil man dann Angst haben muss, dass Soldaten hinterher belangt werden können?
Hagedorn: Das ist eine sehr gute Frage, weil die wird immer wieder auch gerufen, aber ich glaube, dass das nicht richtig ist. Wenn Sie sich vorstellen, dass die Polizei auch in Deutschland, in den Niederlanden überall verklagt werden kann und keiner kommt jemals auf die Idee, dass diese Verantwortlichkeit dafür dazu führen kann, dass die Polizei nicht funktioniert. Es ist an der Zeit, nach 60 Jahren UNO, wo die UNO immer mehr Macht bekommen hat, auch sich selbst zu reformieren. Und wenn man nicht dieses System einführt, was übrigens in der Charta der Vereinten Nationen in einem Vertrag festgelegt ist, dass sie ein unabhängiges Rechtssystem kreieren – und das haben sie nicht gemacht. Deshalb glaube ich, dass man diesen Schutz ihnen nun nicht gewährleisten kann, und es ist ein normaler Prozess für die UNO, dass sie an rechtsstaatliche Grundsätze gehalten wird.
Pokatzky: Danke, Axel Hagedorn, Rechtsanwalt in Amsterdam. Seine Anwaltskanzlei streitet für die Stiftung Mütter von Srebrenica vor den niederländischen Gerichten gegen die Vereinten Nationen und die niederländische Regierung.