Viele Museen mauern noch
In Berlin treffen sich ab Montag rund 1000 Experten aus aller Welt, um über die bisherige Rückgabepraxis NS-Raubkunst Bilanz zu ziehen. Für Deutschland bleibt hier noch viel zu tun, sagt der US-amerikanische Diplomat und Anwalt Stuart Eizenstat.
Raubkunst identifizieren, vormalige Eigentümer oder Erben ausfindig machen und eine faire und gerechte Lösung finden – das sind die Kernprinzipien der rechtlich nicht bindenden "Washingtoner Erklärung", die am 3. Dezember 1998 von 44 Staaten und mehreren Organisationen in der US-Hauptstadt unterzeichnet wurde. Knapp 20 Jahre später treffen sich in Berlin mehr als 1000 Experten zu einer Bestandsaufnahme: Was wurde getan – und was bleibt zu tun? Eine ganze Menge, sagt US-Anwalt Stuart-Eizenstat, der die Washingtoner Konferenz seinerzeit mitorganisiert hat.
Noch 400.000 Holocaust-Überlebende
Für Eizenstat, der in den 90er-Jahren auch als US-Botschafter bei der EU sowie als stellvertretender Finanzminister unter der Clinton-Administration diente, ist hier klar Eile geboten. Es gebe noch 400.000 Holocaust-Überlebende.
"Da läuft einem dann einfach die Zeit davon. Und deswegen muss von dieser Berliner Konferenz jetzt ein starker Impuls ausgehen, dass man noch mehr erreicht und die Lücken füllt, von alldem, was noch nicht geschehen ist."
"Da läuft einem dann einfach die Zeit davon. Und deswegen muss von dieser Berliner Konferenz jetzt ein starker Impuls ausgehen, dass man noch mehr erreicht und die Lücken füllt, von alldem, was noch nicht geschehen ist."
Es gibt auch Erfolge
Mit der Washingtoner Erklärung sei einiges erreicht worden, so Eizenstat. Viele Museen beschäftigten sich inzwischen mit der Herkunft ihrer Sammlungen. Gleichzeitig gebe es in der EU mehrere Länder, die eine Gerichtsbarkeit eingerichtet hätten, damit Erben sich mit den Museen oder mit dem Staat auseinandersetzen könnten. Österreich habe insgesamt 30.000 Kunstgegenstände zurückgegeben, Deutschland 16.000 – davon fast 6000 Gemälde. Auch bei neuen Sammlungen werde mittlerweile "ganz genau geschaut, ob da nicht Nazi-Raubkunst dabei ist".
Deutschland hat noch viel zu tun
Für Deutschland sieht Eizenstat dennoch weiterhin viel Arbeit. Der hohe Standard, den die Bundesrepublik bei der Entschädigung von Holocaust-Opfern erfülle, sei im Bereich der Raubkunst noch lange nicht erreicht. Das Problem sei, "dass die öffentlichen Museen nach wie vor dem nicht nachgegangen sind, woher ihre Sammlungen stammen, dass sie nichts veröffentlichen wollen". Die Limbach-Kommission agiere seit 15 Jahren, habe aber bislang erst 15 Fälle aufgearbeitet. Ferner habe Deutschland "gar nichts getan", wenn es um private Sammler gehe.
"Da könnte man sich eine dicke Scheibe abschneiden bei Christie's oder Sotheby's, die wirklich gar nichts mehr versteigern, was irgendwie den Verdacht erweckt, Nazi-Raubkunst sein zu können."
(kü)
(kü)
Liane von Billerbeck: Vor 20 Jahren wurden in einer Konferenz die "Washingtoner Prinzipien" erarbeitet, wie man mit der Raubkunst aus der NS-Zeit fair und gerecht umgehen kann. 1998. 44 Staaten hatten sich darauf verständigt, und jetzt gibt es in Berlin eine hochkarätige Konferenz, in der diskutiert wird, wie weit man damit gekommen ist. Und spätestens seit dem Fall Gurlitt ist ja klar, dass auch hierzulande noch viel zu klären ist, was die Herkunft vieler Kunstwerke in öffentlichen und privaten Sammlungen angeht. Stuart Eizenstat war US-Diplomat, Botschafter bei der EU, Stellvertretender Finanzminister unter Clinton, arbeitet für die Jewish Claims Conference, und er ist der Vater dieser Washingtoner Prinzipien zum Umgang mit Nazi-Raubkunst. Er war bei mir im Studio, und ich war natürlich neugierig zu erfahren, was er von dieser Konferenz erhofft.
Stuart Eizenstat: Ich habe in den letzten 25 Jahren wahrscheinlich so viel wie kein anderer mit deutschen Offiziellen darüber gesprochen, was die Folgen des Holocausts sind. Und ich hatte auch immer wieder, wenn ich hier in Deutschland war, Gesprächspartner, bei denen mir klar wurde, dass sie die Missetaten, die die Deutschen früher begangen haben, in irgendeiner Form wieder gutmachen wollen. Und da hat man auch sehr viel erreicht. Allerdings muss ich auch sagen, dass der hohe Standard, den Deutschland normalerweise erreicht hat, wenn es um Entschädigungen von Holocaust-Opfern geht, im Bereich der Raubkunst noch lange nicht erreicht ist. Da gibt es noch viel zu tun, und diese Berliner Konferenz ist jetzt eine Form einer Retrospektive, wo man versucht, herauszubekommen, was ist bereits getan, was hat man gemacht? Was muss noch getan werden, wie weit ist man dabei gekommen. Und man muss auch ganz klar sagen, uns läuft die Zeit davon. Es gibt noch 400.000 Holocaust-Überlebende. Sechs Prozent von ihnen sterben eines natürlichen Todes pro Jahr, und da läuft einem dann einfach die Zeit davon. Deswegen muss von dieser Berliner Konferenz jetzt ein starker Impuls ausgehen, dass man noch mehr erreicht und die Lücken füllt von all dem, was noch nicht geschehen ist, auch wenn natürlich eine Menge schon geschehen ist.
von Billerbeck: Dann lassen Sie uns noch mal zurückgehen in die Zeit vor 20 Jahren. Sie haben ja damals diese Formulierung kreiert, dass es einen "fairen und gerechten" Ausgleich geben soll zwischen den Eigentümern beziehungsweise deren Erben, denen diese Kunstwerke geraubt worden sind, und den Museen und Sammlungen, wo sie sich jetzt befinden. Was heißt fair und gerecht?
Eizenstat: Die Nazis haben 600.000 Gemälde geraubt. Wenn man Bücher und andere Kunstobjekte mit hinzuzählt, sind es sogar über eine Million Kunstgegenstände, die geraubt worden sind. Und die "Monuments Men", die damals damit beauftragt wurden, diese Kunstschätze zu sichern und den rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben, haben nicht gewusst, dass das nicht immer der Fall war. Daher mussten wir diese Washingtoner Prinzipien aufstellen, die aber nur eine moralische Verantwortung beinhalten. Das war kein bindender Vertrag. Es gibt auch viele Erfolge, weil alle Museen sich natürlich jetzt mit der Herkunft ihrer Sammlungen beschäftigen müssen und feststellen müssen, ob in ihren Sammlungen sich Nazi-Raubkunst befindet. Und es gibt auch innerhalb der EU mehrere Länder - Deutschland gehört dazu -, die sozusagen eine Gerichtbarkeit eingerichtet haben, damit Erben sich mit den Museen oder mit dem Staat auseinandersetzen können. Österreich hat insgesamt 30.000 Kunstgegenstände zurückgegeben, Deutschland 16.000, davon fast 6.000 Gemälde. Man hat also eine Menge erreicht, und vor allen Dingen hat man erreicht, dass, wenn neue Sammlungen entstehen, ganz genau geschaut wird, ob da nicht auch Nazi-Raubkunst dabei ist. Aber wie gesagt, wenn man zu diesen moralischen Prinzipien steht, dann muss noch eine Menge getan werden, um die Lücken zu füllen.
von Billerbeck: Es gibt ja zwei Meinungen über dieses Prinzip "fair und gerecht" und was da in den letzten 20 Jahren passiert ist. Die einen sagen, es ist viel zu wenig geschehen, die Museen gehen kaum von sich aus auf die Erben zu oder auf die Besitzer, versuchen eher, eine Rückgabe zu vermeiden. Andere sagen, die Museen hätten ihr Verhalten sehr wohl verändert, aber Erbenanwälte würden das sensible Feld als Raum für gute Geschäfte nutzen und stünden damit einer Einigung im Weg. Was ist Ihre Ansicht?
Eizenstat: Ich würde sagen, dass man sehr gemischte Resultate hat. Aber ich möchte mich jetzt wirklich nur auf Deutschland konzentrieren. Das Problem in Deutschland ist, dass die öffentlichen Museen nach wie vor nicht dem nachgegangen sind, woher ihre Sammlungen stammen. Dass sie nichts veröffentlichen, woher ihre Sammlungen stammen. Dass die Limbach-Kommission zwar seit 15 Jahren agiert, aber bisher nur 15 Fälle aufgearbeitet hat. Und dass den Museen bisher eine Art Veto-Recht eingeräumt wurde. In einem Streitfall konnten sie es einfach verweigern, sich überhaupt mit diesem Fall zu beschäftigen. Das heißt, hier ist noch nicht viel geschehen. Dann kommt noch hinzu, dass Deutschland gar nichts getan hat, wenn es um Privatsammler geht, wenn es um Privatsammlungen geht oder wenn es um den privaten Kunsthandel geht. Und da könnte man sich wirklich eine dicke Scheibe abschneiden bei Christie's oder Sotheby's in Großbritannien oder Amerika, die wirklich gar nichts mehr versteigern, was auch nur irgendwie den Verdacht erweckt, Nazi-Raubkunst sein zu können. Insofern haben die Museen einfach noch nicht ihre Hausaufgaben gemacht. Und es gibt hier in Deutschland eine Heldin, und das ist Monika Grütters, die beschlossen hat, dass es von nun an nicht mehr ausreicht, wenn die Museen nicht bereit sind, sich auf einen Streitfall einzulassen, dass man sehr wohl als Kläger trotzdem die Museen dazu zwingen kann, sich damit zu befassen, und dass vor allen Dingen eine größere Transparenz entsteht. Das brauchen wir auch dringend, weil, wie gesagt, es in Deutschland, aber nicht nur in Deutschland, auch in vielen europäischen Ländern und sogar in Amerika - ich nehme mein Land hiervon nicht aus - immer noch große Defizite gibt, wenn es überhaupt darum geht, die Herkunft von Kunstwerken zu klären. Und wenn man dann noch behauptet, dass eine Einigung besonders gierige Anwälte im Weg stünden, dann entspricht das einfach nicht den Tatsachen. Oft handelt es sich ja nicht um wirkliche Kunstwerke, sondern viele Familien möchten einfach den Besitz wiederhaben, der sie auch in Einklang bringt mit ihrer eigenen Vergangenheit. Das sind Familienstücke gewesen. Und dann gibt es eben noch die eklatanten Fälle von Ländern wie Ungarn, Polen, Russland oder Italien, die noch gar nichts gemacht haben, sich nicht einmal an diese moralischen Prinzipien halten. Was eben auch wichtig ist: Vor 20 Jahren gab es noch kein Internet. Heute könnten die Museen ganz einfach auch im Internet veröffentlichen, was sie haben. Monika Grütters hat immerhin die Mittel aufgestockt, von einer Million Euro auf sieben Millionen Euro, dass die Museen jetzt wenigstens die Mitarbeiter bekommen, damit man, und das ist sehr dringend, ganz genau auch im Internet ganz transparent veröffentlicht, was man für Kunst hat und wo sie herstammt. Wie gesagt, ich kann mich nur wiederholen, im Privatsektor ist gar nichts geschehen. Da ist mit Raubkunst sogar gehandelt worden.
von Billerbeck: Das heißt, es geht vor allem um mehr Transparenz, um die Herkunft der Stücke herauszufinden, um diesen Prozess, von dem Sie ja gesagt haben, da ist ganz wenig Zeit noch, weil die Überlebenden wegsterben einfach, um diesen Prozess in Gang zu setzen und da einen fairen und gerechten - ich komme noch mal auf Ihre Formulierung von 1998 zurück, einen fairen und gerechten Ausgleich zu bekommen?
Eizenstat: Die Transparenz ist natürlich sehr wichtig, und das fängt bei der Lenbach-Kommission an, die ihre Resultate zum Beispiel nicht veröffentlicht. Man kann nicht nachvollziehen, wie sie zu ihren Entscheidungen kommen. Das muss natürlich geschehen. Und sie müssen auch Experten zu Rate ziehen, die nicht der Kommission angehören. Auch das ist zurzeit nicht geschehen. Aber da hat Monika Grütters die richtigen Impulse gesetzt. Und dann, wenn es darum geht, eine faire und gerechte Lösung zu finden, dann muss natürlich der politische Wille im Vordergrund stehen, dass man das auch tun will. Und ich muss noch einmal sagen, Deutschland hat einen großen politischen Willen bewiesen, 70 Jahre lang Holocaust-Opfer zu entschädigen, ihnen beispielsweise eine Rente zu zahlen. Allerdings ist das auf dem Gebiet der Kunst, auf dem Gebiet der Raubkunst eben gerade nicht geschehen. Und wir dürfen nicht vergessen, das war der größte Genozid, den es jemals in der Menschheitsgeschichte gegen eine Bevölkerungsgruppe gegeben hat. Dieser Genozid beinhaltete aber auch einen kulturellen Genozid. Die Nazis wollten die jüdische Kultur auslöschen. 100.000 von den 600.000 Gemälden hat man nie gefunden. Man weiß überhaupt nicht, wo die sind. Deswegen ist es so wichtig, dass alle öffentlichen Museen noch einmal eben diesen Check machen, wo kommen unsere Kunstwerke her. Deutschland hat einige Schritte unternommen, beispielsweise sind auch Zwangsverkäufe als Raubkunst definiert, oder auch Verkäufe, wo die rechtmäßigen Besitzer sich längst im Ausland befanden, aber so verschuldet waren, dass sie einer Art von Zwangsversteigerung zustimmen mussten. Aber wie gesagt, Deutschland soll einfach den hohen Standard, den es sonst hat, eben auch für die Raubkunst geltend machen.
von Billerbeck: Stuart Eizenstat war das. 20 Jahre nach den von ihm auf der Washingtoner Konferenz mitentwickelten Prinzipien im Umgang mit Nazi-Raubkunst. Ich danke Ihnen für das Gespräch hier im "Studio 9", das Jörg Taszman übersetzt hat.
Eizenstat: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.