„Kultur, die nach der Krise genauso sein will wie vorher, die darf man getrost reaktionär nennen, oder freundlicher nostalgisch.“
Sachbuch „Apokalypse & Karneval“
Auf der einen Seite betrachte man sich als „kritische Instanz“, auf der anderen Seite nehme man aber Geld vom Staat, so Georg Seeßlen über Künstlerinnen und Künstler. © imago/blickwinkel/McPhoto/M. Gann
Warum sich die Kultur nach der Pandemie ändern muss
12:44 Minuten
In ihrem Buch „Apokalypse & Karneval“ werfen die Autoren Markus Metz und Georg Seeßlen vielen Künstlern und Künstlerinnen vor, nach der Pandemie wieder zur „Normalität“ zurückkehren zu wollen. In Zeiten des Neoliberalismus gehe das aber nicht.
In Zeiten der Corona-Pandemie dürfen auch die Bücher darüber nicht fehlen. So ist Ende Januar „Apokalypse & Karneval. Neoliberalismus: Next Level“ von Autor Markus Metz und Pop-Theoretiker Georg Seeßlen erschienen.
Die Autoren beschäftigen sich mit der Frage, welche Funktion Künstler und Künstlerinnen in der Phase des entfesselten Neoliberalismus innehaben, und kommen zu der Schlussfolgerung, die Kultur habe versagt. Sie schreiben:
Systemrelevanz vs. Autonomie
In der Pandemie wurde der Begriff der „Systemrelevanz“ geprägt, und das habe manche Menschen zur Verzweiflung gebracht, meint Georg Seeßlen.
„Sie mussten sich dann überlegen, bin ich systemrelevant? Wenn ich systemrelevant bin, dann habe ich vielleicht ein Problem mit meinem Selbstbewusstsein, denn ich wollte eigentlich das Gegenteil sein. Ich wollte ja autonom sein. Ich wollte ja außerhalb der Gesellschaft sein, um sie zu beobachten, um ihnen ein Spiegelbild vorzuhalten.“
Im Bereich der Kultur würden Kompromisse nicht mehr funktionieren. Auf der einen Seite betrachte man sich als „kritische Instanz“, auf der anderen Seite nehme man aber Geld vom Staat, so Georg Seeßlen. Jeder und jede sei jetzt aber gezwungen, Farbe zu bekennen.
Das "kulturelle Long Covid Syndrom“
Auch diese Krise habe etwas Traumatisches: Die Menschen würden aber nicht nur unter den medizinischen und den direkten sozialen Problemen leiden, sondern es gebe auch ein „kulturelles Long Covid Syndrom“. Und ohne kulturelle Bearbeitung komme man mit diesem Trauma gar nicht zurecht, meint der Pop-Theoretiker.
Um die Gesellschaft gegen eine Ökonomie, eine post-demokratische Auflösungen oder Neofaschismus zu verteidigen, gebe es Konzepte und Methoden. Gerade die Kultur legitimere sich ja dadurch, weil sie sage, es gebe eine Zukunft, so Georg Seeßlen: „Das heißt also in einem Satz: Zukunft und Gesellschaft müssen wir neu erfinden, und das ist die Kulturaufgabe.“
(jde)