Apokalypse mit Gurkensandwich
Salman Rushdie sagte über James Gordon Farrell: "Wäre dieser Mann nicht so früh und jung gestorben, dann wäre er heute ohne Zweifel einer der wichtigsten englischen Schriftsteller". Eines der Hauptwerke des 1979 verstorbenen Farrell ist erstmals in deutscher Übersetzung erschienen.
1970 erschien James Gordon Farrells meisterhafter Roman "Troubles", in dem ein verfallendes Luxushotel an der irischen Ostküste zum Symbol für den Untergang des britischen Empire wird. Die Geschichte erzählt von allerlei skurrilem Personal der beginnenden 20er Jahre – und führt in eine der marodesten Immobilien der Literaturgeschichte.
Der Pool ist trocken, die Queen Victoria Statue am Eingang voller Grünspan, das Palmenhaus ist zu einer düsteren Dschungelhöhle mit grau verstaubten Sitzmöbelgruppen geworden, in dem alles, was lang genug an einem Platz steht mit vegetabilen Tentakeln umfangen wird. Das "Majestic" in dem Fantasiestädtchen Kilnalough an der irischen Ostküste ist ein riesiges Grandhotel, das seine besten Jahre hinter sich hat. Im Sommer 1919, zu Beginn des Romans, zeigen die meisten Uhren im Haus nur noch zweimal am Tag die richtige Zeit an – doch das ist den Bewohnern des "Majestic" herzlich egal. Als der just aus dem Kriegsdienst ausgeschiedene Major Brendan Archer das Hotel betritt um die Hotelierstochter als seine Braut nach London heimzuführen kommt er in eine bröckelige letzte Bastion des britischen Empire mitten im irischen Unabhängigkeitskrieg.
Im ehemals prächtigen Gebäude teilen sich die anglo-irische Inhaberfamilie Spencer, ein paar uralte Stammgäste, eine sonderbare Dienerschaft und eine wachsende Meute von wilden Katzen das Regiment. Es ist nur noch die Hälfte der 300 Zimmer bewohnbar – ganze Bereiche des Hauses sind der Natur zurück gegeben, nur "gab es hier auf dieser Etage oder auf jener dort immer noch eine lebendige Zelle, die versorgt sein wollte. Doch nach und nach, als die Jahre vergingen und der Blutdruck sank, starben sie eine nach der anderen ab." Die letzten Gurkensandwiches sind vor langer Zeit serviert worden. Und das Hotel, dem die irischen Dienstboten weglaufen, wird Schauplatz von politischen Anschlägen und privaten Desastern. Der Sog des Verfalls reißt alles mit sich, das nicht die Flucht ergreift – am Ende werden nicht nur steinerne Ruinen übrigbleiben.
Im Zentrum steht der stattliche Major, der in den Bann des "Majestic" gerät und dessen Abreise – ähnlich wie es Hans Castorp im "Zauberberg" geschieht – immer wieder verzögert, zunichte gemacht wird. Der Engländer kommt als Beobachter und wird Beteiligter: Seine Braut stirbt, er verguckt sich ein eine katholische Bankierstochter aus dem Ort, und er wird spätestens als er sich in einer Abstellkammer ein Nest aus alten Decken baut und dort tagelang seinen Liebeskummer ausschwitzt zur Kippfigur in die komische Melancholie.
Hotels sind literarisch gesehen schon immer gute Orte, um im kleinen Kosmos den großen vorzustellen, Strukturen und Dynamiken zu extrahieren. Dabei es ist nicht nur eine der marodesten Immobilien der Literaturgeschichte, in die dieser Roman führt. Mit ebenso unerbittlichen wie liebevollen Beschreibungen und in einer bis zum Schluss tragenden Dynamik von Fabulierkunst und Detailfreude bringt James Gordon Farrell eine Fassade nach der anderen zum Einsturz und entfaltet ein skurriles Sittenbild auf den Gewalten des Unabhängigkeitskampfes.
Farrell, von dem es heißt, dass er in Irland immer für einen Engländer, in England dagegen für einen Iren gehalten wurde, ist einer der großen Unbekannten der englischen Literatur; geboren 1935 in Liverpool, gestorben bei einem Angelunfall nur 44 Jahre später. "Troubles" ist Teil einer Trilogie über den Verfall des Empire – das Lebensthema des Dichters. Dank dem Spürsinn des Matthes & Seitz Verlages und der ebenso eleganten wie sicheren Übersetzung Manfred Alliés ist sein "Majestic" nun auch auf Deutsch begehbar. Längst war es fällig, die Türen zu James Gordon Farrells Werk wieder aufzusperren. Betreten empfohlen.
Katrin Schumacher
Der Pool ist trocken, die Queen Victoria Statue am Eingang voller Grünspan, das Palmenhaus ist zu einer düsteren Dschungelhöhle mit grau verstaubten Sitzmöbelgruppen geworden, in dem alles, was lang genug an einem Platz steht mit vegetabilen Tentakeln umfangen wird. Das "Majestic" in dem Fantasiestädtchen Kilnalough an der irischen Ostküste ist ein riesiges Grandhotel, das seine besten Jahre hinter sich hat. Im Sommer 1919, zu Beginn des Romans, zeigen die meisten Uhren im Haus nur noch zweimal am Tag die richtige Zeit an – doch das ist den Bewohnern des "Majestic" herzlich egal. Als der just aus dem Kriegsdienst ausgeschiedene Major Brendan Archer das Hotel betritt um die Hotelierstochter als seine Braut nach London heimzuführen kommt er in eine bröckelige letzte Bastion des britischen Empire mitten im irischen Unabhängigkeitskrieg.
Im ehemals prächtigen Gebäude teilen sich die anglo-irische Inhaberfamilie Spencer, ein paar uralte Stammgäste, eine sonderbare Dienerschaft und eine wachsende Meute von wilden Katzen das Regiment. Es ist nur noch die Hälfte der 300 Zimmer bewohnbar – ganze Bereiche des Hauses sind der Natur zurück gegeben, nur "gab es hier auf dieser Etage oder auf jener dort immer noch eine lebendige Zelle, die versorgt sein wollte. Doch nach und nach, als die Jahre vergingen und der Blutdruck sank, starben sie eine nach der anderen ab." Die letzten Gurkensandwiches sind vor langer Zeit serviert worden. Und das Hotel, dem die irischen Dienstboten weglaufen, wird Schauplatz von politischen Anschlägen und privaten Desastern. Der Sog des Verfalls reißt alles mit sich, das nicht die Flucht ergreift – am Ende werden nicht nur steinerne Ruinen übrigbleiben.
Im Zentrum steht der stattliche Major, der in den Bann des "Majestic" gerät und dessen Abreise – ähnlich wie es Hans Castorp im "Zauberberg" geschieht – immer wieder verzögert, zunichte gemacht wird. Der Engländer kommt als Beobachter und wird Beteiligter: Seine Braut stirbt, er verguckt sich ein eine katholische Bankierstochter aus dem Ort, und er wird spätestens als er sich in einer Abstellkammer ein Nest aus alten Decken baut und dort tagelang seinen Liebeskummer ausschwitzt zur Kippfigur in die komische Melancholie.
Hotels sind literarisch gesehen schon immer gute Orte, um im kleinen Kosmos den großen vorzustellen, Strukturen und Dynamiken zu extrahieren. Dabei es ist nicht nur eine der marodesten Immobilien der Literaturgeschichte, in die dieser Roman führt. Mit ebenso unerbittlichen wie liebevollen Beschreibungen und in einer bis zum Schluss tragenden Dynamik von Fabulierkunst und Detailfreude bringt James Gordon Farrell eine Fassade nach der anderen zum Einsturz und entfaltet ein skurriles Sittenbild auf den Gewalten des Unabhängigkeitskampfes.
Farrell, von dem es heißt, dass er in Irland immer für einen Engländer, in England dagegen für einen Iren gehalten wurde, ist einer der großen Unbekannten der englischen Literatur; geboren 1935 in Liverpool, gestorben bei einem Angelunfall nur 44 Jahre später. "Troubles" ist Teil einer Trilogie über den Verfall des Empire – das Lebensthema des Dichters. Dank dem Spürsinn des Matthes & Seitz Verlages und der ebenso eleganten wie sicheren Übersetzung Manfred Alliés ist sein "Majestic" nun auch auf Deutsch begehbar. Längst war es fällig, die Türen zu James Gordon Farrells Werk wieder aufzusperren. Betreten empfohlen.
Katrin Schumacher
James Gordon Farrell: Troubles
Aus dem Englischen von Manfred Allié
Mit einem Nachwort von John Banville
Matthes & Seitz, Berlin 2013
540 Seiten, 24,90 Euro
Aus dem Englischen von Manfred Allié
Mit einem Nachwort von John Banville
Matthes & Seitz, Berlin 2013
540 Seiten, 24,90 Euro