Apokalyptischer Western
Der Roman "Kein Land für alte Männer" beginnt mit einem Blutbad nach einem gescheiterten Drogendeal. Erzählt wird aus der Sicht eines alten Sheriffs. Als Verfilmung ist McCarthys Werk bereits zu höchsten Ehren gelangt. "No Country for Old Men" wurde bei der Berlinale gefeiert, war auch der große Gewinner der diesjährigen Oscar-Verleihung..
Mit seiner Borderline-Trilogie "All die schönen Pferde" (1992), "Grenzgänger" (1994) und "Land der Freien" (1998) schrieb Cormac McCarthy einen grandiosen Abgesang auf den Mythos des alten Westens. In seinem 2006 in den USA und ein Jahr später auf Deutsch erschienenen Weltuntergangsroman "Die Straße" ist das ganze Land der Freien und Tapferen eine verstrahlte Wüstenei. Den im Original ein Jahr vorher erschienenen Roman des großen Lakonikers der amerikanischen Literatur, "Kein Land für alte Männer", ließ dessen deutscher Verlag zunächst links liegen und wurde prompt von den Ereignissen überrollt.
Denn "No Country for Old Man", die Verfilmung des Buches durch die Coen-Brüder, wurde nicht nur bei der Berlinale gefeiert, sondern war auch der große Gewinner der diesjährigen Oscar-Verleihung, weshalb die ursprünglich für Juni vorgesehene Veröffentlichung der deutschen Ausgabe nun auf den März vorgezogen wurde, um zumindest noch marginal vom Erfolg der Kinoadaption zu profitieren. Der Qualität des Buches, soviel sei gesagt, hat der frühere Erscheinungstermin nicht geschadet, die Übersetzung von Nikolaus Stingl ist so gut wie eh und je, das Lektorat wie auch die Aufmachung sind ordentlich.
Mit "Kein Land für alte Männer" kehrt Cormac McCarthy zu Motiven des Westerns zurück, eines apokalyptischen Westerns allerdings, wie er 1985 mit "Blood Meridian" ("Die Abendröte im Westen", 1996 auf Deutsch erschienen) schon einen geschrieben hat, beides Romane, die an die großen filmischen Todesballette eines Sam Peckinpah erinnern, "Kein Land für alte Männer" allerdings eher an "Bringt mir den Kopf von Alfredo Garcia", Peckinpahs radikalsten und aberwitzigsten Film.
Es beginnt mit einem Blutbad. Llewelyn Moss, Vietnamveteran und Freizeitjäger, findet in der Wüste einen zusammengeschossenen Fahrzeugkonvoi und ein halbes Dutzend Leichen, dazu eine gewaltige Ladung Heroin und einen Koffer mit über zwei Millionen Dollar. Offenbar ein gescheiterter Drogendeal. Als er tags darauf zurückkehrt (im Film will er Spuren verwischen, im Roman bleibt sein Motiv offen), erwarten ihn bereits die Häscher. Gnadenlos von zwei konkurrierenden Banden sowie einem freischaffenden Profikiller und Psychopathen namens Anton Chigurh gejagt, der seine Opfer vorzugsweise mit einem Bolzenschussgerät tötet, fliehen Moss und seine junge Frau quer durch Texas und über den Rio Grande nach Mexiko. Doch der Leser ahnt, dass es für die beiden kein Entrinnen gibt.
Erzählt wird die ganze Geschichte aus der Sicht des alten Sheriffs Bell, eines hoch dekorierten Weltkriegsveteranen, der sich indessen darüber im Klaren ist, dass seine seinerzeitige Heldentat pure Feigheit war, und der deshalb ein Leben lang Wiedergutmachung leisten will. Diesem jähen Ausbruch von Gewalt in seinem verschlafenen Provinzbezirk steht er allerdings fassungslos gegenüber. In langen inneren Monologen versucht er vergebens zu ergründen, was dazu geführt hat, dass dieses herrliche Land in Blut, Mord und Totschlag versinkt.
McCarthys Stil ist in seiner Ökonomie so faszinierend wie eh und je, kein Wort zuviel, keine Ellipse zu wenig. Noch immer schreibt der mittlerweile 74-jährige Autor Sätze, die wie Tumbleweed, die Steppenhexen des amerikanischen Südwestens, durch die Seiten treiben, Dialoge, die so trocken sind, dass sie fast stauben.
Eine Message erspart er dem Leser, eine Erklärung für das große Abschlachten liefert er nicht. Nur hin und wieder bietet er ein paar Denkanstöße. Etwa, wenn Sheriff Bell ganz am Anfang von der einzigen Hinrichtung erzählt, an der er je teilgenommen hat und die ihn nachdenklich stimmt, ob es denn richtig ist, viele Jahre nach der Tat einen Menschen zu töten, den mittlerweile selbst das Gefängnispersonal ins Herz geschlossen hat. Und dann ist da noch Chigurh, der Killer, der seine Opfer grundsätzlich und aus Prinzip tötet, auch wenn es nicht nötig ist, sie mit einem Bolzenschussgerät umbringt wie Rinder im Schlachthof.
Vielleicht, so scheint hier durchzuklingen, ist das Land unter anderem deshalb in Chaos und Gewalt versunken, weil es auch im 21. Jahrhundert ein Land ohne Gnade ist, in dem noch immer von Staats wegen getötet wird.
Rezensiert von Georg Schmidt
Cormac McCarthy: "Kein Land für alte Männer",
übersetzt von Nikolaus Stingl
Rowohlt Verlag, 284 S., 19,90 €
Denn "No Country for Old Man", die Verfilmung des Buches durch die Coen-Brüder, wurde nicht nur bei der Berlinale gefeiert, sondern war auch der große Gewinner der diesjährigen Oscar-Verleihung, weshalb die ursprünglich für Juni vorgesehene Veröffentlichung der deutschen Ausgabe nun auf den März vorgezogen wurde, um zumindest noch marginal vom Erfolg der Kinoadaption zu profitieren. Der Qualität des Buches, soviel sei gesagt, hat der frühere Erscheinungstermin nicht geschadet, die Übersetzung von Nikolaus Stingl ist so gut wie eh und je, das Lektorat wie auch die Aufmachung sind ordentlich.
Mit "Kein Land für alte Männer" kehrt Cormac McCarthy zu Motiven des Westerns zurück, eines apokalyptischen Westerns allerdings, wie er 1985 mit "Blood Meridian" ("Die Abendröte im Westen", 1996 auf Deutsch erschienen) schon einen geschrieben hat, beides Romane, die an die großen filmischen Todesballette eines Sam Peckinpah erinnern, "Kein Land für alte Männer" allerdings eher an "Bringt mir den Kopf von Alfredo Garcia", Peckinpahs radikalsten und aberwitzigsten Film.
Es beginnt mit einem Blutbad. Llewelyn Moss, Vietnamveteran und Freizeitjäger, findet in der Wüste einen zusammengeschossenen Fahrzeugkonvoi und ein halbes Dutzend Leichen, dazu eine gewaltige Ladung Heroin und einen Koffer mit über zwei Millionen Dollar. Offenbar ein gescheiterter Drogendeal. Als er tags darauf zurückkehrt (im Film will er Spuren verwischen, im Roman bleibt sein Motiv offen), erwarten ihn bereits die Häscher. Gnadenlos von zwei konkurrierenden Banden sowie einem freischaffenden Profikiller und Psychopathen namens Anton Chigurh gejagt, der seine Opfer vorzugsweise mit einem Bolzenschussgerät tötet, fliehen Moss und seine junge Frau quer durch Texas und über den Rio Grande nach Mexiko. Doch der Leser ahnt, dass es für die beiden kein Entrinnen gibt.
Erzählt wird die ganze Geschichte aus der Sicht des alten Sheriffs Bell, eines hoch dekorierten Weltkriegsveteranen, der sich indessen darüber im Klaren ist, dass seine seinerzeitige Heldentat pure Feigheit war, und der deshalb ein Leben lang Wiedergutmachung leisten will. Diesem jähen Ausbruch von Gewalt in seinem verschlafenen Provinzbezirk steht er allerdings fassungslos gegenüber. In langen inneren Monologen versucht er vergebens zu ergründen, was dazu geführt hat, dass dieses herrliche Land in Blut, Mord und Totschlag versinkt.
McCarthys Stil ist in seiner Ökonomie so faszinierend wie eh und je, kein Wort zuviel, keine Ellipse zu wenig. Noch immer schreibt der mittlerweile 74-jährige Autor Sätze, die wie Tumbleweed, die Steppenhexen des amerikanischen Südwestens, durch die Seiten treiben, Dialoge, die so trocken sind, dass sie fast stauben.
Eine Message erspart er dem Leser, eine Erklärung für das große Abschlachten liefert er nicht. Nur hin und wieder bietet er ein paar Denkanstöße. Etwa, wenn Sheriff Bell ganz am Anfang von der einzigen Hinrichtung erzählt, an der er je teilgenommen hat und die ihn nachdenklich stimmt, ob es denn richtig ist, viele Jahre nach der Tat einen Menschen zu töten, den mittlerweile selbst das Gefängnispersonal ins Herz geschlossen hat. Und dann ist da noch Chigurh, der Killer, der seine Opfer grundsätzlich und aus Prinzip tötet, auch wenn es nicht nötig ist, sie mit einem Bolzenschussgerät umbringt wie Rinder im Schlachthof.
Vielleicht, so scheint hier durchzuklingen, ist das Land unter anderem deshalb in Chaos und Gewalt versunken, weil es auch im 21. Jahrhundert ein Land ohne Gnade ist, in dem noch immer von Staats wegen getötet wird.
Rezensiert von Georg Schmidt
Cormac McCarthy: "Kein Land für alte Männer",
übersetzt von Nikolaus Stingl
Rowohlt Verlag, 284 S., 19,90 €