Wie können Whistleblower besser geschützt werden? Ein Beitrag von Peggy Fiebig.
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Erst Whistleblower – und dann?
Jahrelang sollen in der Alten Apotheke in Bottrop Krebsmedikamente gestreckt worden seien. Als kaufmännischer Leiter deckte Martin Porwoll den Skandal auf. Doch das geriet ihm zum Nachteil.
Wer Martin Porwolls Haus in Bottrop betritt, sieht ein geordnetes Familienleben. Am Kücheneingang steht ein Bobbycar, im Wohnzimmer ein Klavier, ein Einkaufszettel liegt auf dem Tisch. Äußerlich deutet nichts darauf hin, dass Martin Porwolls Leben seit fast zwei Jahren Purzelbäume schlägt.
"Natürlich gab’s die Ahnung, dass man Jahre braucht, um wieder mit den Füßen auf den Boden zu kommen. Aber das ist ja alles auch immer mit einer gewissen Portion Naivität gemischt, nach dem Motto: Bei Dir wird es ein bisschen anders laufen, aber tut es natürlich nicht."
Martin Porwoll hat den Bottroper Apotheker-Skandal aufgedeckt. Seitdem hat der 46-Jährige keinen Job mehr und einige Freunde verloren. Zeitweise kämpfte er mit Panikattacken.
Alles fing damit an, dass Porwoll kaufmännischer Leiter der Alten Apotheke in Bottrop wurde. Sein Chef war ein ehemaliger Kinderfreund. Die Apotheke hatte zu dem Zeitpunkt etwa 90 Mitarbeiter und war auf die Herstellung von Krebsmedikamenten spezialisiert. Von Beginn an seien immer wieder Gerüchte aufgekommen: Irgendwas stimme mit der Zubereitung dieser Zytostatika nicht.
"Für mich war es dann irgendwann mal wichtig, aus der Gerüchtelage zumindest für mich festzustellen: Ist an den Gerüchten was dran?"
Porwoll fängt an, nachzuforschen
Da war Porwoll schon etwa ein Jahr im Unternehmen. Er fängt an, nachzuforschen: Wie viel Wirkstoff wird eingekauft und wie viel verkauft? Schnell zeigte sich:
"Dass da viel zu wenig eingekauft wurde, wenn man das tatsächlich produzieren wollte, was wir auf den Rezepten hätten produzieren müssen."
Porwoll ist geschockt – und zweifelt. Hat er die Dokumente wirklich richtig gelesen und verstanden? Immerhin geht es um Chemotherapien und Antikörper-Infusionen und Porwoll ist Volkswirt, kein Pharmazeut.
"Man macht sich das nicht einfach, das ist auch naturgegeben so, sollte man es sich auch nicht einfach machen, insbesondere, wenn es um so drastische Vorwürfe geht. Und dann natürlich der innere Konflikt zwischen Loyalität dem Arbeitgeber und dem Freund gegenüber versus… ja… potenziell strafrechtliche relevante Vorgänge… massive."
Aber der 46-Jährige Familienvater weiß auch: Wenn das alles wahr ist, werden Menschenleben aufs Spiel gesetzt.
"Es gab da einen bestimmten Zeitpunkt, an dem mir klar war, dass deutlich mehr an den Gerüchten dran ist, als mir lieb ist, wo man sich dann auch nicht mehr entziehen kann ohne für den Rest seines Lebens auch eine moralische Verantwortung zu tragen, die da heißt: Du bist weggelaufen, und es ist so weitergegangen, möglicherweise für immer."
Er sammelt im Geheimen Beweise, monatelang.
"Man muss dann zwei Leben führen, das normale Arbeitsleben und auch das Leben, das beinhaltet, dass man das Wissen über mögliche Vorgänge mit sich trägt und das ist eine enorme Spannung."
Seinen Chef spricht er auf die Vorwürfe nicht an
Ein halbes Jahr nach Beginn seiner Nachforschungen geht Porwoll mit seinen Erkenntnissen zur Staatsanwaltschaft und stellt Strafanzeige. Seinen Chef spricht er auf die Vorwürfe nicht an – zu groß sei die Gefahr gewesen, dass Beweismittel vernichtet werden. Nur eine Kollegin weiht er kurz vor der Strafanzeige ein. Sie unterstützt ihn.
"Jedem, dem man das mit aufbürdet, den bringt man ja auch in irgendeiner Art und Weise in Gefahr oder in Verlegenheit. Auch wenn es einen selber in der Sekunde entlastet, darf man nicht vergessen, dass man das Gewicht auf die Schultern eines anderen legt."
Porwoll und seine Kollegin durchleben eine ungewisse Zeit. Monatelang hören sie von den Ermittlungsbehörden – nichts. Erst rund drei Monate nach der Strafanzeige wird er zum Verhör gebeten.
"Das war alles andere als ein Willkommensgespräch, sondern da wurde man schon einmal auf links gedreht."
Porwoll merkt: Mit seinen Hinweisen bringt er nicht nur den Apotheker in Bedrängnis, sondern auch möglicherweise mitwissende Kollegen, die Kontrollbehörden und die Staatsanwaltschaft, die einen früheren Hinweis auf die Apotheke nicht ernst genommen hatte.
"An jeder erdenklichen Stelle in dieser Geschichte knüpfen sich wie ein Gespinst andere Geschichten an, persönliche, faktische und das macht das dann am Ende zu so einer großen Geschichte, die weit über die Grenzen des eigenen Falles hinaus geht."
Ein paar Wochen nach dem Verhör nimmt der Fall dann doch Fahrt auf: die Polizei durchsucht die Apotheke und nimmt Porwolls Chef fest. Die Beweise, die bei der Razzia sichergestellt werden, sind erdrückend: Dem Bottroper Apotheker, der sich mittlerweile vor Gericht verantworten muss, wird vorgeworfen, gepanschte Krebsmedikamente an 4600 Patienten in sechs Bundesländer geliefert zu haben. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen.
Porwoll hat sich gedanklich auf die Festnahme seines Chefs vorbereitet und ahnte, dass er entlassen werden würde.
"Auf der anderen Seite ist man dann doch immer noch ein Stückchen naiv zu glauben, dass einen nicht die ganze Bandbreite treffen wird, aber das ist nicht so. Das heißt, man wird diskreditiert, es wird versucht, die persönliche Existenz zu ruinieren und so weiter."
Unterstützung kam in dieser Zeit von seiner Familie
In der fristlosen Kündigung wird Porwoll unter anderem vorgeworfen, Medikamente gestohlen zu haben. Letztlich einigen sich beide Seiten nach einem langen Gerichtsprozess auf einen Vergleich.
Unterstützung habe er in dieser Zeit vor allem von seiner Familie erfahren, erzählt der 46-Jährige. Außerdem wird er in der Öffentlichkeit größtenteils als Held gefeiert. Vor einem halben Jahr bekam Porwoll den Whistleblower-Preis, wie vor ihm schon Chelsea Manning oder Edward Snowden. Diese Anerkennung ist schön, aber was bringt sie dem Familienvater? Er hat weiter keinen Job, Dutzende Bewerbungen sind ins Leere gelaufen, seine alten Kollegen meiden ihn.
"Das geht hier jetzt nur, weil meine Frau arbeitet und sich jetzt auch von ihrer Lebensplanung sicherlich nicht da gesehen hat, die Familienernährerin zu sein. Das geht jetzt halt."
Der 46-Jährige wünscht sich mehr Unterstützung von der Gesellschaft oder Politik. Eine unabhängige Stiftung für Whistleblower müsse es geben, meint er.
"Im Fall der Hinweisgeber haben wir einen ganz kuriosen Fall, wo die Gesellschaft durch den Hinweisgeber sozusagen den Gesamtvorteil einfährt. Sie profitiert in Gänze von dem Hinweis eines Einzelnen. Die Kosten trägt der Einzelne. Und diese Verteilung von Kosten und Nutzen, die ist schon ziemlich merkwürdig."