Info: Näheres über die Zirkus Empathico-App finden sie hier.
Gefühle lesen lernen mit dem Smartphone
Was sagt uns ein Gesicht in einer bestimmten Situation? Diese Frage stellt Menschen mit dem Asperger-Syndrom häufig vor große Rätsel. Die Neurowissenschaftlerin Isabel Dziobek hat nun die App Zirkus Empathico entwickelt, mit der Autisten lernen können, Emotionen zu erkennen.
Zuerst ist das Bild auf ihrem Tablet komplett weiß, dann sind die Nasenspitze, der Mund, die Augen einer Frau zu erkennen, bis das ganze Gesicht zu sehen ist. Die Augen gerade nach vorn gerichtet, der linke Mundwinkel leicht nach oben gezogen. Doch was stellt es dar, was empfindet die Person auf dem Bild?
Isabel Dziobek: "Das ist jetzt so ein Emoblitz. So nennen wir das. Ist diese Frau verliebt, heiter, verachtend, amüsiert oder angeekelt? Das Bild wird nach und nach abgedeckt und die Emotion freigelegt und Sie müssen dann entscheiden, welches von den Emotionslabels, die angeboten werden, das Richtige ist."
Wie eine Fremdsprache
Das Erkennen von Emotionen auf dem Tablett ist natürlich mehr als ein ausgefallenes Ratespiel. Die Neurowissenschaftlerin von der Berliner Humboldt Universität hat eine App entwickelt, mit der Menschen trainieren können, Emotionen im Gesicht ihres Gegenübers zu lesen. Menschen, für die Gesten und Mimik anderer oft ein Rätsel sind: Autisten.
Isabel Dziobek: "Sie können damit trainieren, Emotionen, Gefühle besser zu erkennen, in Gesichtsausdrücken, in der Stimmmelodie und auch in so komplexeren sozialen Interaktionen. Es ist, wie wenn man eine Fremdsprache lernt. Es ist eine ganz ähnliche Fähigkeit, die auch viel Übung erfordert."
Isabel Dziobek: "Sie können damit trainieren, Emotionen, Gefühle besser zu erkennen, in Gesichtsausdrücken, in der Stimmmelodie und auch in so komplexeren sozialen Interaktionen. Es ist, wie wenn man eine Fremdsprache lernt. Es ist eine ganz ähnliche Fähigkeit, die auch viel Übung erfordert."
Entwickelt hat sie die App für Menschen mit einer autistischen Störung. Etwa ein Prozent der Bevölkerung ist davon betroffen. Sie kann sich an verschiedenen Symptomen zeigen – und unterschiedlich stark ausgeprägt sein.
Was viele Autisten eint: Sie haben Probleme in der sozialen Interaktion, Schwierigkeiten, die Gefühlslage ihrer Mitmenschen zu erkennen und sich in sie hineinzuversetzen. Und manchen gelingt es auch nur bedingt, die eigenen Emotionen zu erfassen und angemessen auszudrücken, erzählt Dziobek.
"Im Durchschnitt ist es zwar schon so, dass es da Schwierigkeiten gibt mit dem Lesen von Emotionen. Doch es gibt durchaus auch Personen, bei denen Defizite, die sie trainieren möchten, auf anderen Ebenen liegen. Das muss erstmal Voraussetzung sein, dass die Person das trainieren will und für sich einen Bedarf sieht."
Lernen, Bewegungen im Gesicht zu machen
Dziobeks Mitarbeiterin Silke Lipinski hat diesen Bedarf im Teenager-Alter bei sich entdeckt. Damals stellte sie fest, dass sie anders ist als ihre Mitschüler. Lipinski ist Asperger-Autistin – eine leichtere Ausprägung dieser Störung.
Silke Lipinski: "Ich habe gemerkt, dass andere immer irgendwo Informationen her hatten, die ich nicht hatte, und dass ich ständig einfach weniger Informationen im Gespräch hatte als andere. Dass ich so etwas auch nicht produziere, das habe ich im Theaterunterricht gemerkt. Da wurde mir gesagt, ich muss auch was machen, um die Emotion herzustellen. Ich war fest der Überzeugung ich hab mich in die Emotion rein versetzt, aber nach außen hin war das nicht sichtbar. Und da hat man mir beigebracht, dass man da Bewegungen im Gesicht machen muss."
Silke Lipinski: "Ich habe gemerkt, dass andere immer irgendwo Informationen her hatten, die ich nicht hatte, und dass ich ständig einfach weniger Informationen im Gespräch hatte als andere. Dass ich so etwas auch nicht produziere, das habe ich im Theaterunterricht gemerkt. Da wurde mir gesagt, ich muss auch was machen, um die Emotion herzustellen. Ich war fest der Überzeugung ich hab mich in die Emotion rein versetzt, aber nach außen hin war das nicht sichtbar. Und da hat man mir beigebracht, dass man da Bewegungen im Gesicht machen muss."
Lipinski hat als Kind und Jugendliche unter der autistischen Störung gelitten. Immer wieder wurde sie von Mitschülern für ihr Verhalten kritisiert. Sie wusste aber gar nicht genau warum.
Silke Lipinski: "'Merkst Du denn nicht, dass es dem nicht gut geht?' Es wird immer 'ne Anforderung gestellt, von der man selbst noch gar nicht weiß, dass man vielleicht weniger kann. Vor allem als Kind denkt man ja auch nicht, dass andere was anderes können und wundert sich dann nur, wie das gehen soll, kriegt es nicht hin, kriegt dafür auch immer wieder negatives Feedback.
Das ganze lässt einen dann doch mit einem geminderten Selbstbewusstsein zurück. Irgendwas nicht zu können, aber man weiß noch gar nicht konkret, was es ist, was man nicht kann, weiß auch nicht, wie man sich helfen soll. Aber das wird von den anderen bemerkt und bemängelt."
Lipinski hat damals ihre eigenen Methoden entwickelt, um die Emotionen anderer besser zu lesen. Sie studierte Anatomie-Bücher und schaute wochenlang schlechte Daily Soaps.
Silke Lipinski: "Da werden immer wieder Gesichter ganz lang gezeigt, die auch so extra offensichtlich solche Gefühle machen und damit hab ich dann angefangen, das abzugleichen. Und dann ist auch noch wichtig gewesen, mir das selbst auch anzugewöhnen, solche Muskelgruppen auch zu bewegen."
Ein extrem aufwändiger Prozess.
Silke Lipinski: "Das ist schwierig, weil es eben auch so viele Komponenten beinhaltet. Ohne den Sprechton geht es nicht, das Gesicht allein reicht auch nicht aus. Und ganz wichtig ist der Kontext, was extrem schwierig ist, wenn man wenig Kontext hat, wenn man Menschen gerade erst getroffen hat."
Silke Lipinski: "Das ist schwierig, weil es eben auch so viele Komponenten beinhaltet. Ohne den Sprechton geht es nicht, das Gesicht allein reicht auch nicht aus. Und ganz wichtig ist der Kontext, was extrem schwierig ist, wenn man wenig Kontext hat, wenn man Menschen gerade erst getroffen hat."
Die App ihrer Kollegin hätte ihr damals sehr geholfen, sagt Lipinski.
Vermessung der Gefühle
Neurowissenschaftlerin Dziobek experimentiert schon seit Jahren mit solchen Programmen, für die aktuelle App hat sie mit 80 Schauspielern zusammengearbeitet, die bestimmte Emotionen dargestellt haben und sich dabei fotografieren und filmen ließen. Eine Art Vermessung der Gefühle.
Isabel Dziobek: "Alle Emotionen, um die es geht, sind dargestellt in einer Bücherei. Da kann man sich zum Beispiel mal 'schwärmerisch' raus suchen. Da sieht man, wo das im Emotionsnetz sitzt, 'schwärmerisch' ist hier bei 'heiter' einsortiert. Ist eine positive Emotion, die ein mittleres Erregungsniveau hat. Da kann man sich anschauen, wie die bei verschiedenen Leuten im Gesicht aussieht, dann kann man sich Stimmbeispiele anhören..."
Wie zum Beispiel: "Der Arzt hat Mittwoch nachmittags immer geschlossen."
Isabel Dziobek: "Also da ist sehr explizit, didaktisch aufbereitet, was wir im Alltag fast immer intuitiv machen."
Gemeinsam mit den Schauspielern und ihrem Forscherteam hat Dziobek 40 Gefühlsregungen herausgearbeitet. Einige davon sind grundlegend, erläutert die Wissenschaftlerin.
Isabel Dziobek: "Es gibt sechs Emotionen, die sich in der Entwicklungsgeschichte eines Menschen relativ früh entwickeln, das sind zum Beispiel Traurigkeit und Freude, und Ekel und Ärger und Angst. Das sind die so genannten Basisemotionen, die werden auch relativ gleich dargestellt – übrigens auch über Kulturen hinweg."
Bei den anderen, komplexeren Gefühlen ist die Gestik und Mimik individueller. Entsprechend schwieriger sind sie für autistische Menschen zu lesen.
Isabel Dziobek: "So etwas wie Neid, Eifersucht und so weiter, das sind oft soziale Emotionen. Und die sind individuell, werden auch unterschiedlich dargestellt. Wir haben ja mit fast 80 Schauspielern zusammengearbeitet und die variieren doch extrem in dem Ausmaß, wie die expressiv sind, es gibt vor allem Männer oft, die weniger expressiv sind, ihre Gefühle weniger im Gesicht zeigen, als Frauen das tun, und dann gibt’s natürlich individuelle Unterschiede. Aber es gibt immer einen Kern, der über die Menschen hinweg gleich dargestellt, wird, und diesen Kern zu vermitteln, das ist die Aufgabe dieser App."
Gefühle lesen – nach wie vor kein Automatismus
Silke Lipinski probiert die App auf dem Tablet aus.
"Ja, ein paar Mal hab ich auch schon drauf rum gedaddelt."
Lipinski zieht das Tablet zu sich heran, auf dem Bildschirm ist das Gesicht eines Mannes zu sehen.
Isabel Dziobek: "Also da müsstest Du jetzt mal gucken, ob der jetzt verwirrt, verzweifelt oder wütend ist, wenn Du jetzt auf Start drückst."
Silke Lipinski: "Ich versuch es mit verwirrt, weil er hin und her schaut."
Isabel Dziobek: "Sehr gut."
Silke Lipinski: "Also es gibt oft ein einzelnes Signal, was hilft zu unterscheiden. Blickrichtungen. Aber davor sah der für mich einfach nur wütend aus."
Lipinski hat systematisch an ihren – wie sie es nennt – Defiziten gearbeitet. Sie studierte Linguistik, um zu lernen, wie Sprache jenseits von Grammatik und Semantik funktioniert. Heute forscht die Doktorandin zur Psychotherapie bei Autisten und hilft in einer Ambulanz anderen Betroffenen, bei deren Problem mit anderen Menschen besser klarzukommen.
Trotz allem: Das Lesen von Gefühlen funktioniert bei ihr noch immer nicht automatisch.
Silke Lipinski: "Es bleibt immer eine aktive Anstrengung, es wird nicht automatisch. Und desto weniger Energie bei mir da ist, weil ich müde bin, desto schwerer wird es dann auch sich immer wieder aufzufordern und zu sagen, pass auf pass auf, es gibt einfach viele Signale, es passiert ganz viel."