Wer bekommt Beatmung, falls die Geräte knapp werden?
07:52 Minuten
Vor der Überforderung des Gesundheitssystems warnt die Medizinethikerin Christiane Woopen. Sie appelliert an alle, durch verantwortungsvolles Verhalten die Versorgung von Kranken zu gewährleisten – es komme andernfalls zu "tragischen, konfliktreichen Situationen".
Die dramatische Lage in Italien führt vor Augen, dass auch in Deutschland viele Ärzte bald vor schwierigen ethischen Abwägungen stehen könnten, sollten die Intensivbetten nicht für alle Corona-Patienten ausreichen. "Wenn wir jetzt uns nicht alle zusammen wirklich vernünftig verhalten, dann kann es sein, dass das Gesundheitssystem in die Überforderung geht, wenn es zu viele Infizierte gibt und wir sie nicht mehr alle angemessen versorgen können", sagt Christiane Woopen, Vorsitzende des Europäischen Ethikrats. Dann könne es sein, dass die Beatmungsplätze zu knapp würden und entschieden werden müsse, wer einen Beatmungsplatz bekomme und wer nicht.
"Das sind tragische, konfliktreiche Situationen und wir können nur an alle appellieren, dass es zu dieser Situation nicht kommt", sagt die Medizinethikerin. Es gebe Regeln aus der Katastrophenmedizin, die "Triage" genannt werden, um Patienten in Gruppen einzuteilen. Da gebe es einmal die Patienten, die noch zu retten seien und Aussicht hätten, von der Behandlung zu profitieren. Dann gebe es Menschen, die davon profitierten und es dringend nötig hätten. Die dritte Gruppe seien Patienten, die eine Beamtmung benötigten, aber noch etwas Zeit hätten. Es gebe da auch unterschiedliche Stufen der Intensivversorgung.
Medizinische Prognose als Leitlinie
"Es geht darum, sehr klug zu schauen, wie ist die Prognose der einzelnen Menschen und sie dann ihrer Prognose gemäß auch angemessen zu versorgen", sagt die Medinerin. Wenn ein Arzt in die Situation komme, sich dafür entscheiden zu müssen, wem ein Beatmungsgerät zugeteilt werde, würden erst mal medizinische Kriterien in Betracht gezogen. Sollte es zu sehr zugespitzten Situationen kommen, spielten auch andere Kriterien eine Rolle, so müssten dann diejenigen bevorzugt werden, die für die Aufrechterhaltung des täglichen Lebens zuständig seien, beispielsweise Pflegepersonal oder Ärzte. Nur so könnten die Menschen dann auch weiter versorgt werden. Es gebe Leitlinien und Empfehlungen für solche Situationen.
Die Krankenhäuser seien in der Verantwortung, nicht nur die Intensivplätze aufzustocken und die Versorgung der Kranken zu gewährleisten, sondern auch Ärzte und Pflegepersonal bei ihren Entscheidungen zu begleiten, so die Medizinethikerin. Dass alte Menschen gerade besonders gefährdet seien, dürfe nicht dazu führen, dass strikte Altersgrenzen eingeführt werden. Es gebe auch junge Menschen, die in die Situation kommen könnten, schwer krank zu werden und einen Beatmungsplatz zu brauchen, betont Woopen. "Diese Einstellung, ich stell mich hier mit meiner Bierflasche in Horden an den See und genieße das schöne Wetter, ist verantwortungslos in vielen, vielen Hinsichten und nicht zuletzt auch sich selbst gegenüber."
Verantwortung für Sterben in Würde
Die Medizinethikerin erinnert daran, dass es auch darum gehen müssen, kranke Menschen zu begleiten, wenn sie tragischerweise sterben müssten. "Ein völlig überlastetes Gesundheitssystem kann dann irgendwann keine würdigen Umstände mehr für das Sterben bereit stellen", sagt Woopen. "Wir möchten doch die Menschen, die in diese Situation kommen, auch begleiten, für sie da sein." Die Palliativmedizin müsse vorhanden sein, um die Not zu lindern und schwere Symptome abzufangen und den verbleibenden Stunden und Tagen noch eine gute Qualität zu geben und Menschen vor Leid zu bewahren.
Woopen verwies auf die Bilder aus dem italienischen Bergamo, wo Lastwagen nachts durch die Straßen fahren, um die Menschen nach ihrem Tod zu einem Ort zu bringen, wo mit ihnen würdig umgegangen werden könne. "Ich möchte wirklich keine Panik schüren", sagt sie. "Ich möchte nur gerne den Appell richten, an alle, die jetzt die Möglichkeit haben, solche Situationen zu verhindern, ihrer Verantwortung auch gerecht zu werden und jetzt mal eine Zeit lang zu verzichten auf Dinge, die ihnen wichtig sind, damit unsere Gesellschaft vor den Folgen solcher Zustände geschützt wird."
(gem)