Appetitverderber

Der Gammelfleischskandal der letzten Monate hat so manchem Konsumenten den Appetit verdorben. Das Vertrauen der Verbraucher zusätzlich erschüttern dürfte die Recherche von Marita Vollborn und Vlad D. Georgescu. Sie haben einen Blick hinter die Kulissen der Lebensmittelindustrie geworfen und dabei nicht nur unappetitliche, sondern auch gefährliche Verfahren entdeckt.
Kein Monat vergeht, in dem nicht irgendein Lebensmittelskandal aufgedeckt wird. Ob Gammelfleisch oder Pestizidrückstände im Obst, Spuren von Genpflanzen in Nahrungsmitteln oder Chemieabfälle im Viehfutter – der Verbraucher wird ständig verunsichert und weiß nicht mehr, wem er trauen kann. Ein Grund dafür, dass die Biobranche boomt.

Nach der Lektüre des Buches werden wohl noch einige Leser die aufwendig verarbeiteten, mit zahlreichen Zusatz- und Ergänzungsstoffen angereicherten Produkte der Lebensmittelkonzerne liegen lassen und wie die Autoren selbst zur Bioware greifen. Wenn man den Report "Die Joghurt-Lüge" der ehemaligen Unilever-Lebensmitteltechnologin Marita Vollborn und des Chemikers Vlad Georgescu gelesen hat, wundert man sich eher darüber, wie wenig passiert oder vielmehr, wie selten gewarnt wird, denn das, was wir täglich zu uns nehmen, steckt voll unerkannter, unbenannter Gefahren. Zynisch könnte man formulieren: erlaubt ist, was niemanden umbringt. Langfristschäden werden in Kauf genommen.

Welchen Bereich die beiden Autoren, die sich mit ihren Büchern über Medizin- und Biotechnikthemen einen Namen gemacht haben, auch anschneiden, überall das gleiche Bild. Was auch immer an Zusatzstoffen, Beimischungen, Rückständen ganz offiziell genehmigt wird, hat normalerweise keinerlei Risikostudie absolvieren müssen. In der Pharmazie kommt kein einziges Medikament auf den Markt, das nicht in langwierigen und gründlichen Untersuchungen an Tier und Mensch auf Nebenwirkungen getestet worden ist. Im Lebensmittelhandel werden solche Sicherheitsnachweise von keinem Produzenten verlangt, obwohl ihre Produkte zahlreiche Stoffe enthalten, die durchaus bedenklich sind.

So behaupten zum Beispiel die Functional-food-Lebensmittel, dass sie durch die Beigabe von Vitaminen, Mineralien und Bakterien unter anderem das Immunsystem stärken, die Abwehrkräfte des Darms mobilisieren, den Cholesterinspiegel senken und damit Herzkreislaufkrankheiten vorbeugen können. Die Beweiskraft solcher Aussagen ist dürr. Die Gefahren, die von den Zusätzen ausgehen, werden runtergespielt. Dabei werden sie in solchen Mengen Keksen, Joghurt, Säften, Frühstücksflocken beigemischt, dass insbesondere Kinder leicht eine Überdosis Vitamine oder Mineralien zu sich nehmen. Und das ist durchaus bedenklich, denn was in kleiner Dosis lebensnotwendig ist, kann in Überdosierung Gesundheitsschäden auslösen. So kann zum Beispiel zu viel Vitamin C zu Magenschleimhautentzündungen führen, zu viel Vitamin B 6 zu Leberschäden. Vitaminpräparate führten bei Rauchern sogar zu einer deutlich erhöhten Lungenkrebsrate. Man kennt bei vielen Stoffen weder die Langzeitwirkungen noch Wechselwirkungen im Stoffwechsel.

Ähnliches gilt auch für die zahlreichen Zusatzstoffe. In vielen Fällen weiß man gar nicht, was man da zu sich nimmt. Die E-Nummern auf der Verpackung, hinter denen sich die Zusatzstoffe verbergen, verschleiern mehr als sie enthüllen. Nur sehr wenige kennen sie wirklich, dabei gilt auch hier: egal ob Enzyme, Farbstoffe, Konservierungsmittel, kaum ein Stoff ist wirklich gründlich überprüft worden. Dabei gelten viele als giftig, stehen im Verdacht, Krebs oder Allergien auszulösen. In diesem Bereich hat die Gentechnik schon längst Einzug gehalten, ohne dass der Verbraucher es erfährt. Risikostudien sind Mangelware, nicht gesetzlich vorgeschrieben.

Sympathisch an dem Buch ist, dass die Autoren alle Panikmache vermeiden. Ihre Warnungen sind sachlich, präzise, begründet, wenn auch oftmals anstrengend trocken und nüchtern. Von den vielen, sicherlich sachlich notwendigen Fachbegriffen brummt einem rasch der Schädel. Doch man versteht die Erklärungen auch ohne Fachstudium.

Marita Vollborns und Vlad Georgescus Bericht ist noch aus einem anderen Grund schockierend. Die hochkomplizierten Herstellungsverfahren, die ganzen Beimischungen dienen weniger dem Verbraucher als der Industrie. Sie sparen vor allem Kosten, verbilligen die Verarbeitung, machen das Produkt länger haltbar und gaukeln dem Esser Inhalte vor, die gar nicht da sind, trimmen ihn auf künstliche Geschmackswelten. Immerhin geht es um 130 Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Da lohnt sich schon manche Lüge.

Rezensiert von Johannes Kaiser

Marita Vollborn, Vlad D. Georgescu: Die Joghurt-Lüge. Die unappetitlichen Geschäfte der Lebensmittelindustrie
Campus Verlag Frankfurt a.M. 2006
336 Seiten, 19,90 Euro