Fisch aus dem Stall
Aquakultur ist der am schnellsten wachsende Zweig der globalen Ernährungswirtschaft - auch Deutschland hat ehrgeizige Ziele. Doch der weltweite Boom der Massentierhaltung hat unerwünschte Nebenwirkungen. Neue Technologien sollen die Umwelt weniger belasten.
Ban Nalath, ein Dorf im tropischen Hinterland von Laos. Zwischen grünen Gemüsebeeten wachsen in kleinen Betonbecken Hunderttausend Welse heran. Sobald sie Fingergröße erreicht haben, kommen sie in einen der Fischteiche, die zehn Familien im Dorf angelegt haben. Früher wurden dafür Bombenkrater genutzt, die der Vietnamkrieg auch hier hinterlassen hat. Jetzt erfordern steigende Produktionsmengen den Einsatz einfacher Technik. Wie sie funktioniert, erklärt die landwirtschaftliche Beraterin Hon Seng Vilay:
"Wir heben eine Grube aus und schichten die Erde am Rand zu einem Wall auf. Das ganze kleiden wir mit Plastikfolie aus, damit das Wasser nicht versickern kann. Das ist effizient und so billig, dass es sich viele Dorfbewohner leisten können. Mit dem erzeugten Wels decken sie ihren Eigenbedarf, und den Überschuss verkaufen sie. Kühlung ist nicht nötig, sie transportieren die Fische in Wassertanks lebend zum Markt."
Südostasien ist die Heimat der Aquakultur, so heißt die Massentierhaltung im Wasser. Über zwei Drittel der Weltproduktion finden in China, Vietnam, Thailand und Laos statt. Mit Steigerungsraten von fünf bis acht Prozent im Jahr ist Aquakultur der am schnellsten wachsende Zweig der globalen Ernährungswirtschaft. Nirgendwo wird tierisches Eiweiß effizienter erzeugt als mit der Zucht von Fischen, Shrimps, Muscheln und anderen Wasserbewohnern. Auch ein Viertel der nach Deutschland importierten Fische stammt aus südostasiatischer Aquakultur.
Doch der Boom hat unerwünschte Nebenwirkungen. Chemikalien und Antibiotika belasten häufig nicht nur die Fischprodukte, sondern verseuchen auch Flüsse, Seen und Küstengewässer, der Shrimpszucht fallen Mangrovenwälder zum Opfer, Wildbestände sind durch das Übergreifen von Krankheiten gefährdet. Und für die Herstellung des Kraftfutters wird weltweit mehr Fisch verbraucht als die Aquakultur anschließend damit erzeugt.
In Tromsø - auf der anderen Seite der Weltkugel
Ein Sprung auf die andere Seite der Weltkugel, nach Skandinavien. Im Schnellboot, einem sogenannten Zodiac, geht es hinaus auf den Ersfjord in der Nähe der nordnorwegischen Stadt Tromsø. Dort, wo sich die enge Bucht zum Nordostatlantik hin öffnet, schwimmen 14 kreisrunde Zuchtstationen im Meerwasser. Jede hat einen Durchmesser von 50 Metern, in den darunter aufgehängten Netzen wachsen bis zu 100.000 Lachse heran. Mit einer Jahresproduktion von über einer Million Tonnen sind Norwegens Lachsfarmen die mit großem Abstand wichtigsten Aquakultur-Betriebe Europas.
Bjørn Michalsen steckt in einem roten Ganzkörperanzug mit integrierter Schwimmweste. Er ist einer der Angestellten, die die Lachsfarm rund um die Uhr überwachen. Der Job ist anspruchsvoll, wenn er darüber spricht, tut er das in knappen Sätzen.
"Ich arbeite schon seit 1996 in der Lachsindustrie, und ich komme nicht davon weg. Wenn die Lachse noch klein sind, füttern wir sie den ganzen Tag, auch am Abend. Vor Mitternacht sind wir nie fertig. Nach Hause können wir dann nicht mehr. Also leben wir hier auf dem Schiff. Letztes Frühjahr sind die kleinen Fische angekommen und diesen Herbst sind sie schlachtreif. Im Januar sind wir hier dann fertig und im Mai fangen wir wieder von vorne an. Dazwischen bekommt der Standort eine Pause. Wegen dieser Umweltsache können wir nicht kontinuierlich produzieren."
Die Sache mit der Umwelt hat den Ruf der norwegischen Lachszucht in der Vergangenheit nachhaltig geschädigt. Von Futterresten und Fischkot überdüngte Fjorde, mit Medikamentenrückständen belastete Filets – bis heute leidet die Branche unter ihren Anfangsfehlern. Dabei hat sich vieles verbessert, vor allem aufgrund strenger Auflagen der norwegischen Regierung.
Die Wasserqualität muss permanent überwacht werden, und ein Computersystem verhindert Überfütterung. Es steuert die Menge der Futterpellets, die durch ein Gewirr aus schwarzen Plastikschläuchen von dem im Zentrum der Farm verankerten Versorgungsschiff in die Netze geblasen wird.
Fünf Tonnen sind es im Winter, bis zu 30 Tonnen im Sommer. Unterwasser installierte Videokameras verfolgen das langsame Absinken des Futters. Auf den Bildschirmen im Leitstand kann man die Lachse beim Fressen beobachten. Je mehr von ihnen satt sind, desto tiefer sinken einzelne Pellets hinab. Bevor die ersten Brocken die Unterseite des Netzgeheges erreichen, wird die Futterzufuhr gestoppt. Und Antibiotika kommen nur noch in sehr geringer Dosis zum Einsatz. Pro Tonne Lachs sind es im Durchschnitt 0,3 Gramm, in der Schweinezucht wird mehr als Hundert mal soviel verabreicht. Der Grund für den Rückgang: Heute bekommt jeder einzelne Lachs eine Schutzimpfung. Das geschieht in einer lasergesteuerten Apparatur, die vollautomatisch nach der richtigen Stelle für den Piekser sucht.
"Wir machen das in der Süßwasserphase, ein paar Monate bevor die Setzlinge ins Meerwasser kommen. Es hilft uns enorm. Als es noch keine Impfungen gab, hatten wir viele kranke Fische. Damals war die norwegische Produktion noch gar nicht so groß, aber der Verbrauch von Antibiotika war viel höher als heute."
Doch längst nicht gegen jede Krankheit gibt es eine Impfung. In letzter Zeit kämpfen die Lachsfarmen vor allem mit der massiven Ausbreitung von Amphipoden, sogenannten Sealice. Die kleinen Parasiten setzen sich an den Zuchtlachsen fest und verursachen Wunden, an denen vor allem jüngere Tiere sterben können. Auch Wildlachs, der in der Nähe der Netzgehege vorbeischwimmt, wird durch die Parasiten gefährdet.
Das Fleisch stammt ausschließlich vom Fisch
Der Veterinärmediziner Bernhard Feneis kennt das Problem genau. Er hat 12 Jahre in der Lachs-Branche gearbeitet und ist inzwischen einer der einflussreichsten Funktionäre der europäischen Fischzucht – als Vizepräsident des Verbandes der Europäischen Aquakultur-Industrie und Präsident des Deutschen Binnenfischereiverbands.
"Diese hochintensive Aquakultur, auch diese Anlagen, die so nah beieinander stehen, führen natürlich dazu, dass Krankheiten sich massiv ausbreiten. Die Parasiten, also diese Sealice, die sind ja enorm. Das kann man nur mit Antiparasitika nun wieder behandeln. Und diese Antiparasitika töten auch andere Krustazeen z.B. ab mit der Konsequenz, dass man wesentlich mehr kaputt macht in dem ganzen Ökosystem als nur die armen Lachse von den Parasiten zu befreien. Und ich denke, die Probleme in der Zukunft kann man nicht mit der Denke von gestern lösen, sondern da braucht man völlig neue Ansätze."
Solch ein neuer Ansatz der Aquakultur wird in Mecklenburg-Vorpommern praktiziert, auf dem Hof der Brüder Pommerehne in Altkalen, einer dünn besiedelten Hügellandschaft zwischen Stralsund und Müritz. In einem Regal zeigt Carsten Pommerehne einige der Konserven, die hier erzeugt werden. Er ist der Landwirt unter den drei Brüdern, die den Betrieb gemeinsam führen.
"Das ist Asia, ist ein Salat mit bei, dann haben wir noch Tomatensauce und in Öl. Und 'n Eintopf haben wir."
Das verwendete Fleisch stammt ausschließlich vom Fisch. Und der ist nie in einem Meer, Fluss oder See geschwommen. Gezüchtet und geschlachtet wurde er in geschlossenen Hallen zwischen Schweinestall und Biogasanlage. "Der Fisch vom Lande" steht auf dem Logo der Vermarktungsfirma. Sie heißt Welsmeister. Das Sprachspiel hat seine Berechtigung. Denn der Wels, aus dem all die Produkte hergestellt werden, ist tatsächlich ein Weltmeister in Anpassungsfähigkeit. In den afrikanischen Flusssystemen und Sümpfen, aus denen er ursprünglich stammt, ernährt sich der Wels von kleinen Fischen, Wasservögeln und Aas oder wartet auf Küken, die aus dem Nest fallen.
Dafür robbt er sogar ans Ufer. Mit Fortsätzen seiner Kiemen kann er Luft atmen und so mehrere Stunden außerhalb des Wassers überleben. In Fluss und See verteidigt der Raubfisch sein Revier, doch in der Trockenzeit schaltet er auf Schwarmmodus um und verliert seine Aggressivität. Dann sammeln sich Hunderte Tiere dicht an dicht in den letzten schlammigen Wasserlöchern. All das macht den Wels zum idealen Kandidaten für die Aquakultur.
In den beiden Fischhallen der Brüder Pommerehne wachsen 100.000 afrikanische Welse in 150 Tagen zur Schlachtreife heran.
Die Luft ist schwülwarm, das Wasser in den hellblau getünchten Becken steht fast still.
"Wir haben jetzt hier pro Reihe sechs Mastbecken und ganz vorne schließt sich immer ein Setzlingsbecken an. Alle vier Wochen kriegen wir Setzlinge und die brauchen jetzt acht Wochen hier drin, dann haben die so um die 180 Gramm, dann werden die sortiert und auf drei Mastbecken aufgeteilt und dann kommen da wieder neue Setzlinge rein. Wir brauchen 28 Grad warmes Wasser. In Afrika ist es immer warm eigentlich. Er ist das von Natur aus so gewohnt. Wenn wir jetzt nur mit 10 Grad in der Umgebungsluft fahren würden, dann würde der sich erkälten."
Meistens liegen die Welse träge am nackten Betonboden. Schilf, Krebse und anderes Kleingetier, das ihnen in Freiheit begegnen würde, bekommen sie in der Zucht nie zu sehen.
Stattdessen rieselt aus einem unter der Decke aufgehängten ferngesteuerten Roboter Mastfutter. Es enthält Kohlenhydrate und Eiweiße aus Getreide, Fischöl und Fischmehl, die Zusammensetzung wird genau kontrolliert. Sobald der Roboter über einem der Becken Halt macht, tauchen die Fische auf, jagen nach den herabrieselnden Nährstoffbrocken und lassen das Wasser spritzen. Viermal täglich wird ihnen genau die Futtermenge zugeteilt, die sie fressen können. Jeden Tag ist das ein bisschen mehr, vom Computer anhand hinterlegter Leistungskurven errechnet.
Das Ganze funktioniert weitgehend vollautomatisch, nur wenn ein technisches Problem auftritt, bekommt Carsten Pommerehne eine Warnmeldung aufs Handy. Die Fischhallen sind menschenleer, trotzdem tönt leise Popmusik aus kleinen Lautsprechern an den Seitenwänden.
"Die Musik ist dazu da, um die Fische zu beschallen. Die haben ja acht Barteln, und über die Barteln nehmen sie den Schall auf. Und wenn wir jetzt hier reden würden ohne die Musik, dann würden wir nass werden, weil die Fische dann weg wollen, die werden schreckhaft. Und schreckhaft bedeutet Energie, und Energie geht wieder am Fleisch flöten. Und deswegen machen wir Musik an, dass sie 24 Stunden beschallt werden, dass wenn einer mal vorbeigeht, dass sie nicht in Panik verfallen. Dass das Tier Ruhe hat und nicht flüchten will."
Es ist das Grundrezept jeder Massentierhaltung: viel Fressen, wenig Bewegung und ein möglichst voller Stall. Experten sprechen von "hoher Besatzdichte". Beim afrikanischen Wels sind es bis zu 350 Kilo pro Kubikmeter Wasser, ein Drittel des Beckens ist dann mit Fisch gefüllt.
"Das hört sich für einen Außenstehenden viel an, das muss aber so sein, weil der Wels, wenn er zu dünn besiedelt ist, dann würde er Reviere bilden, mehrere, und sich gegenseitig angehen. Und in unserer Besatzdichte ist er genau in einem Revier und lässt sich unter sich in Ruhe. Es ist in der Natur nix anderes. Wenn der in der Trockenzeit in einem Schlammloch liegt, dann liegt er richtig dicht an dicht im Schlamm, bewegt sich ein bisschen, dass er Feuchtigkeit wieder rüber kriegt. Weil das ist von der Natur so gegeben, er kennt das auch nicht anders. Der braucht diese Bestandsdichte. Weil sonst würde er sich gegenseitig auffressen."
Zuchtfische unterscheiden sich von anderen Nutztieren
Mathias von Lukowicz bestätigt das. Der Biologe ist ein anerkannter Fachmann der Aquakultur und Präsidiumsmitglied des Deutschen Fischereiverbandes. Wenn Zuchtfische nicht krank werden, gehe es ihnen rundum gut, so sein Credo. Damit würden sie sich deutlich von anderen Nutztieren unterscheiden.
"Sie können Hähnchen halten, die sehen fürchterlich aus und sie fühlen sich auch nicht wohl, aber die Eier sind trotzdem in Ordnung. Mit Fischen funktioniert das nicht. Die reagieren postwendend durch hohe Mortalität, durch überhaupt kein Wachstum und schmeckt auch nicht. Also Stress ist ein Qualitätsbeeinflusser aller erster Ordnung. Sie können die ganze Geschichte dann auch ökonomisch total vergessen."
Wenn gute Futterverwertung ein Maß für das Wohlergehen eines Fisches ist, dann muss es den afrikanischen Welsen in ihren Betonbecken prächtig gehen. Am Ende ihres kurzen Lebens wiegen sie 1,5 Kilo, haben bis dahin aber nur 1,3 Kilo Kraftfutter und ganz viel Wasser zu sich genommen. Kein Landtier wächst derart sparsam. Rinder und Schweine fressen ein Vielfaches ihres Schlachtgewichts. Und das sei längst nicht der einzige Vorteil der Aquakultur gegenüber anderen Formen der Tierzucht, erklärt Mathias von Lukowicz:
"Wassertiere sind allgemein Kaltblüter, d.h. sie passen ihre Körpertemperatur der Wassertemperatur an und müssen deswegen keine Energie aufwenden, um die Temperatur konstant zu halten. Dadurch haben sie einen sehr viel niedrigeren Grundumsatz. Damit verbunden ebenfalls ein geringerer Beitrag zur Erderwärmung, insgesamt auch ein geringerer Land- und Wasserverbrauch, weil die terrestrischen Tiere – Rinder, Schweine – einen unheimlich hohen Wasserverbrauch haben – nicht nur zum Trinken, sondern auch zur Reinhaltung – und dann ganz besonders in der Verarbeitung dieser Tiere. Und dann die erheblichen ernährungsphysiologischen Vorteile über den hohen Gehalt an tierischem Eiweiß, geringere Bindegewebsanteile, dadurch höhere Bekömmlichkeit und ganz besonders – und das ist ein Alleinstellungsmerkmal – der Gehalt an hoch ungesättigten Fettsäuren."
Und doch hat die Sache, wenn es um die Verbesserung der Welternährung geht, einen entscheidenden Haken. Denn die Aquakultur erzeugt nicht nur, sie verbraucht auch Fisch.
Gewinn für Eiweißversorgung der Menschheit
Gerd Kraus leitet das Thünen-Institut für Seefischerei in Hamburg. Er kennt die globalen Zahlen der Fischwirtschaft aus dem FF, denn sein Institut liefert die Zahlengrundlage für die jährliche Festsetzung der Fangquoten in der Hochseefischerei.
"Insgesamt werden im Jahr ungefähr 150 Millionen Tonnen Fisch oder aquatische Produkte gewonnen. Ungefähr 130 Millionen davon sind für die menschliche Ernährung. Das macht bei der derzeitigen Weltbevölkerung in etwa 18, 19 Kilo Fisch pro Kopf und Jahr."
Allerdings nur theoretisch. Denn tatsächlich wandert ein erheblicher Teil dieser Menge nicht auf den Teller, sondern in die Aquakultur.
"Insbesondere bei uns in der westlichen Welt essen wir gerne Raubfische. Diese Fische brauchen in der Nahrung Fischöl, Fischmehl. D.h. Sie brauchen Produkte, die aus der Fangfischerei gewonnen werden. Man versucht zwar im Moment, die Anteile an Fischöl und Fischmehl weiter runterzufahren und zu ersetzen durch pflanzliche Produkte, aber bisher ist es noch so, dass gerade bei den Aquakulturfischen wie Lachs oder Wolfsbarsch, die wir gerne essen, ein hoher Anteil der Nahrung auf Fischöl und Fischmehl angewiesen ist."
Bei gezüchtetem Thunfisch ist die Bilanz am schlechtesten, pro Kilo hat er mit dem Futter bis zu 25 Kilo Fisch vertilgt. Bei Lachs und Wels ist es zwar nur ein gutes Kilo, insgesamt aber eben doch ein Verlust wertvoller Nährstoffe. Und ein Gerechtigkeitsproblem.
Francisco Marí hat als Fischereiexperte der Hilfsorganisation Brot für die Welt ständig damit zu tun.
"Momentan ist es so, dass die Hälfte der Fischmenge, die der armen Bevölkerung zur Verfügung steht, das sind die sogenannten pelagischen Fische, also Sardellen, Makrelen, Heringe und die berühmten Anchoven, die Hälfte davon wird zu Fischmehl verarbeitet. Also ungefähr 20 Millionen Tonnen werden zu ca. sieben Millionen Tonnen Fischmehl. Diese Mengen fehlen der Bevölkerung."
Denn die mit dem Fischmehl erzeugten Raubfische landen, weil sie teuer sind, nur auf den Tellern der Reichen dieser Welt. Nur wenn die Aquakultur weitgehend ohne Fischmehl auskommt, kann sie zum Gewinn für die Eiweißversorgung der Menschheit werden.
Carsten Schulz ist überzeugt, dass das möglich ist. Er ist Professor für marine Aquakultur in Kiel und leitet eine Forschungsanlage im schleswig-holsteinischen Büsum. Lachs und Forelle sind dort bereits rein vegetarisch gezüchtet worden.
"Aquakultur ohne Fischmehl ist heutzutage möglich wenn wir pflanzliche Mehle so weit aufbereiten, dass sie dem Fischmehl gleich gemacht werden und dann können sie auch ähnlich gut verwertet werden von den Fischen wie das Fischmehl. Da sind auch einige Analysen durchgeführt worden, dass der vegetarisch ernährte Raubfisch dann auch 'ne hervorragende Produktqualität hat, dass die Sensorik passt und dass wir da keinerlei Beeinträchtigungen feststellen können."
Eiweiße aus Soja, Weizenkleber oder Erbsen müssen dafür allerdings zunächst in einem sehr aufwändigen Verfahren verarbeitet und den Fischen mit Miesmuschelbruch schmackhaft gemacht werden. Noch ist das für eine konkurrenzfähige Produktion viel zu teuer. Deshalb setzt Carsten Schulz große Hoffnung auf die Verwendung von billig verfügbarem Eiweiß.
"Wir haben uns mit weiteren Substituten beschäftigt, z.B. mit der Nutzung von Rapsproteinen oder Kartoffelproteinen. Dieses Rapsprotein, das nutzen wir als Abfallstoff der Biodiesel-Herstellung und verarbeiten diesen Expeller dann zu einem Rapsprotein-Konzentrat, der dann auch wirklich eingesetzt werden kann in der Ernährung von unterschiedlichen Raubfischen. Da gibt es dann schon eine sehr sinnige synergistische Nutzung dieser Produkte."
Aquakultur soll sich möglichst gut in agro-industrielle Produktionskreisläufe einfügen. Das ist auch eine Forderung im "nationalen Strategieplan Aquakultur", der fordert eine Verdoppelung der deutschen Produktion bis 2020. Bisher decken wir nur ein Viertel unseres Fischverbrauchs durch eigene Fänge und Zucht.
Das Schicksal aller industriell gemästeten Tiere
Roland Lemcke ist als Fischereireferent im schleswig-holsteinischen Landwirtschaftsministerium für die Koordination des nationalen Strategieplans zuständig.
"Was wir momentan sehen ist, dass wir ein absolutes Importland sind und dass wir ein Stückweit unsere Probleme in andere Länder verschieben. Wir wollen alle gerne Fisch essen, aber wir wollen ihn möglichst nicht in unseren sauberen Gewässern produzieren. Das ist einerseits verständlich, andererseits ist das in gewisser Weise auch ein ethisches Problem und ich denke, da wird sich noch was bewegen müssen."
Da sich Flächen für neue Forellen- oder Karpfenteiche hierzulande kaum noch finden lassen, soll der Zuwachs vor allem aus geschlossenen Kreislaufanlagen kommen. Bisher führen sie ein Nischendasein. 60 Anlagen sind bundesweit in Betrieb, eine davon auf dem Hof der Brüder Pommerehne in Altkalen. Zusammen erzeugen sie 2000 Tonnen Fisch im Jahr – das sind 0,15 Prozent des deutschen Verbrauchs. In den nächsten fünf Jahren soll sich die Menge verzehnfachen. Das ist dann zwar noch immer ein winziger Beitrag zur Fischversorgung in Deutschland. Doch es geht auch um die Wirkung nach außen.
"In der Tat ist es so, dass ein wesentliches Potenzial der Kreislaufanlagen auch darin liegen könnte, eben einfach diese Technik zu exportieren und gute deutsche Ingenieurskunst da reinzustecken und dann die Anlagen in alle Welt zu verkaufen."
Im Strategieplan ist von "exportorientierter Technologieführerschaft" die Rede.
Industrielle Fischproduktion in höchster Effizienz – so wie auf dem Hof in Altkalen. Ausgangspunkt für das Interesse der Brüder Pommerehne an der Aquakultur war eine betriebswirtschaftliche Rechnung, bei der das Erneuerbare Energien Gesetz mit seiner Förderung für die Erzeugung von Strom aus Biogas die Hauptrolle spielte. Bei einem Rundgang über das Hofgelände erinnert sich Carsten Pommerehne, wie alles begann.
"Wir haben die erste Biogasanlage 2003 geplant. Wir brauchten hier um die 100.000 Liter Heizöl im Stall für die Schweine. Uns war damals schon klar: es wird nicht billiger. Und da haben wir ne Biogasanlage eigentlich gebaut, weil wir die Wärme wollen. Und weil das so gut lief mit Biogas und wir damals schlechte Getreidepreise hatten, haben wir gesagt: wir müssen unsere Produkte selber veredeln, dann bauen wir noch ne zweite Biogasanlage und haben ein Wärmekonzept gesucht. Und so ist mein Bruder dann auf den afrikanischen Wels gekommen."
Den Rohstoff für die inzwischen drei Biogasanlagen erzeugen die Agrarunternehmer selber: Rüben und Mais vom Acker, vermischt mit der Gülle ihrer Zuchtsauen. Und auch beim Futter gibt es ein reibungsloses Zusammenspiel zwischen Biogas, Ackerbau, Schweine- und Fischzucht.
"Die Gärreste aus der Biogasanlage, damit sparen wir sehr viel Dünger auch ein, wir brauchen also kaum noch was zuzukaufen, es geht dann wieder zum Mais auf den Acker. Dann die Fischabfälle werden geschreddert, werden mit Ameisensäure aufbereitet und dann erhitzt und gehen wieder in den Schweinestall als Futter. Das heißt, wir haben im Prinzip nichts an Abfallstoffen, was wir entsorgen müssen. Es wird alles immer wieder als Vorprodukt fürs nächste gebraucht. Und das Fischwasser, das wir täglich produzieren, wird gesammelt in großen Auffangbecken und wird dann, wenn wir's brauchen zwischen Mai und Juli auf dem Acker wieder verregnet. Weil wir dann Sommertrockenheit haben, dann verbrennt uns meistens der Weizen oder eben der Mais kommt nicht in Gang und dann können wir das ganze verregnen. D.h. es geht wieder auf den Acker, das heißt, da schließt sich auch wieder der Kreislauf."
Sogar für die Kühlung der filetierten Fische wird die Abwärme aus der Biogasanlage genutzt, eine Absorptionskältemaschine sorgt für die Umwandlung. Schon bei der Schlachtung kommt sie zum Einsatz. Denn das eigentlich in der Fischzucht vorgeschriebene Töten mit einem Elektroschock funktioniert beim afrikanischen Wels nicht.
"Wir haben das Problem, dass unser Fisch das 400fache an Strom abkann. Und mit den hiesigen Geräten, die bei uns zugelassen sind, das juckt den gar nicht. Der dreht sich ein bisschen, aber der schwimmt trotzdem weiter. Und dann haben wir eine Sondergenehmigung, dass wir mit Eiswasser töten dürfen. Das ist null bis zwei Grad, und der Fisch fängt bei unter 15 Grad Wassertemperatur sowieso an einzuschlafen. Und somit dauert das keine zwei Minuten, dann ist er eingeschlafen und stirbt danach."
Landwirte, die hierzulande einen neuen Hühner-, Puten- oder Schweinestall planen, sehen sich immer öfter mit heftigen Bürgerprotesten konfrontiert. Denn auch wenn der Fleischkonsum in Deutschland kaum sinkt – Massentierhaltung ist gesellschaftlich immer weniger akzeptiert. Und der Gestank von Mist und Gülle gilt längst nicht mehr als frische Landluft.
Aquakultur dagegen löst keine Nachbarschaftskonflikte aus. Die Fischbecken verursachen weder Lärm noch unangenehme Gerüche. Und eine Desinfektionsanlage am Eingang jeder Halle sorgt dafür, dass Krankheiten gar nicht erst eingeschleppt werden. Die afrikanischen Welse wachsen ohne Medikamente und Hormone auf. Zehn Millionen Euro haben die Brüder Pommerehne und einige Nachbarbetriebe in die Aquakultur investiert, vom Land Mecklenburg-Vorpommern großzügig gefördert. Größere Probleme gab es mit der Aufzucht der Fische bisher nicht, als unerwartet schwierig erwies sich dagegen ihre Vermarktung.
"Wir mussten erstmal dazulernen: Als Landwirt, wenn ich produziere: ich werde mein Produkt immer los. Ich ruf nen Händler an, der holt's mir ab wenn ich den Preis annehme. Beim Fisch ist das was anderes, den holt mir keiner ab. Also das ist schon sehr spannend, das dann so zu produzieren, nicht am Markt vorbei zu produzieren, um es nachher auch loszuwerden."
Günther Scheibe hat die Betriebe bei der Gründung einer Vermarktungsgenossenschaft unterstützt. Der Unternehmer aus der Nähe von Stralsund liefert auch die Anlagen für die Fischzucht und sorgt für den permanenten Nachschub an Setzlingen. Besonders stolz ist er auf die Vielfalt der Produkte, die die Genossenschaft mit ihren rund 30 Mitarbeitern herstellt.
"Der Fisch ist unheimlich vielseitig einsetzbar– von Fischschaschlik, von Welsroulade, von saurem Wels, von gebratenem Wels, von geräuchertem Wels, von Stieg, von Salaten – und jeder hat so ne Spezialität und das ist dann schon enorm. Wir bieten bei uns im Hofladen regelmäßig frisches Gehacktes an, schmeckt ganz wunderbar und wer das nicht weiß, isst das und denkt er hat das normale Gehackte was er als Schweinemett kennt, aber in Wirklichkeit ist das Fisch."
Ernährungsphysiologisch ist das rötliche Filet der afrikanischen Welse mit seinem geringen Fettanteil und dem hohen Gehalt an Omega-3-Fettsäuren ein ausgezeichnetes Lebensmittel. Doch Fischliebhaber finden es wenig attraktiv, denn nach Fisch schmeckt es kaum. Seinen Geschmack bekommt der Wels erst durch Gewürze, Marinade und Rauch.
"Wir produzieren inzwischen innerhalb der Genossenschaft eine Bratwurst. Die kommen auf den Grill, verkauft sich wunderbar. Da ist weiter nichts drin als Wels mit Gewürzen, Kümmel usw. Und das Ganze in einer Wursthaut und jetzt wird's nochmal geräuchert."
Am Ende teilt der Fisch aus dem Stall das Schicksal aller anderen industriell gemästeten Tiere: In den Fleischprodukten, zu denen sie verarbeitet werden, sind sie als Lebewesen nicht mehr zu erkennen.