Mit der Polizeistreife unterwegs durch die Shisha Bars
Arabische Clans kontrollieren in Berlin große Teile des Drogenhandels. Ein Fünftel der Organisierten Kriminalität geht auf ihr Konto, sagt das Landeskriminalamt. Unser Reporter Manfred Götzke hat im Milieu recherchiert.
Noch schwebt der Porsche Panamera einen Meter über der Straße, dann hievt der Greifarm das 120.000-Euro-Auto präzise auf die Ladefläche des Abschleppwagens. Einige Beamte in Zivil stehen am Straßenrand, grinsen zufrieden. Die arabisch-stämmigen jungen Männer, von denen sie gerade noch beschimpft wurden, ziehen ab. Ihr Auto ist weg, beschlagnahmt vom LKA.
Seit zwei Stunden sind die Beamten an diesem Vormittag im Einsatz, hier im Berliner Stadtteil Tiergarten. Um sechs Uhr haben sie Wohnungen der Berliner Familie R. gestürmt – auf der Suche nach Drogen. Der Verdacht: Kokainhandel im großen Stil. Vier Clanmitglieder haben sie vorläufig festgenommen, zwei von ihnen sollen die Bosse sein.
"Hier darf keiner rein", sagt einer von ihnen. "Warum darf die Frau da rein und mein Bruder nicht?"
200 Meter weiter, vor einem Haus in der Pohlstraße, stehen Polizisten in schusssicheren Westen, ihr Blick starr geradeaus. Sie sollen verhindern, dass Familienangehörige zurück in ihre Wohnungen gehen, dort sichern Spezialisten die Beweise. "Das ist doch Schwachsinn, was Sie da machen. Ich muss doch in meine Wohnung."
Neben dem Hauseingang stehen sechs junge Männer: Mitglieder des Clans oder deren Freunde? Der Jüngste, höchstens 16, sitzt auf seinem Roller, lässt die Beine baumeln. Der Älteste, Mitte 30, läuft laut telefonierend die Straße rauf und runter. Fast alle tragen graue Jogginghose, Kapuzenpulli oder Daunenwesten. "Ich hab dir gerade schon gesagt, Du sollst abhauen", sagt er.
Erst vertreiben mich die jungen Männer – doch weil sie sich von der Polizei schlecht behandelt fühlen, sind sie schließlich bereit, mit mir zu sprechen.
"Das Problem ist, die Polizei hat Langeweile und deswegen sind die auch hier hin gekommen", behauptet einer von ihnen. Ich frage: "Hier wurden vorhin zwei Autos beschlagnahmt, waren die von Ihnen?" Die Antwort: "Nein, die Autos sind uns egal, können die behalten."
Einer der Männer hat eine Beule an der Stirn, er blutet im Gesicht, die Polizei habe ihn getreten – auch als er schon am Boden gelegen habe, behauptet er.
"Die haben den aus seiner Wohnung raus genommen, haben den verwechselt, haben den in den Flur geholt und dann kaputt geschlagen."
Seine Stimme will der Verletzte nicht im Radio hören, dafür erklärt der Älteste der Männer, was aus seiner Sicht an diesem Vormittag passiert ist. Er hat in der Gruppe vor dem Haus offenbar das Sagen.
"Der hat mit keiner Sache was zu tun, die stellen ihn in den Flur und fangen an, ihn ins Gesicht zu boxen... Also die Polizei ist für´n Arsch", sagt er.
Die Sicht der Polizei
Die Polizei bestätigt diese Version später nicht: Ein LKA-Beamter erklärt, das Sondereinsatzkommando, kurz SEK, habe die Wohnungen sehr schnell und robust stürmen müssen, weil die Verdächtigen als gefährlich und bewaffnet gelten.
Der Wortführer der Männer holt sein Portemonnaie aus der Hosentasche und zieht seinen Personalausweis heraus, als handele es sich um einen exklusiven Mitgliederausweis. Nur einen Zentimeter zieht er ihn hervor; bis sein Nachname zu sehen ist: R. – der Anfangsbuchstabe eines bekannten Berliner Clans. "Geil Digger, wollt ihr gut Schlagzeile haben."
Seine Familie soll nicht nur weite Teile des Drogenhandels in Berlin kontrollieren. Ermittler machen sie auch für mehrere spektakuläre Einbrüche in Berlin verantwortlich: Im vergangenen Jahr sollen sie eine überdimensionierte Goldmünze geraubt haben. Allein der Goldwert liegt bei knapp vier Millionen Euro. "Zwei neue Türen, kriegste sofort bezahlt, kein Problem, kriegste sofort", sagt der Wortführer.
Der Mann greift wieder zum Telefon. Er will den Tischler seines Vertrauens anrufen. Der soll die von der Polizei eingetretenen Türen ersetzen. Mal wieder.
"Der wird schön cash bezahlt, tausend Euro pro Tür, kein Problem. Zwei Tausend-Euro-Scheine geben wir ihm, wenn die Polizei weg ist", sagt er.
Einblicke in die Tätergruppe
Dass die Polizisten mit drei Mannschaftswagen und SEK angerückt sind, schüchtert die jungen Männer nicht ein. Im Gegenteil, sie scheinen sich durch den Aufwand der Staatsmacht eher geschmeichelt zu fühlen.
Kurz nach zwölf verlassen die Beamten das Haus, sie haben mehrere Festplatten und Laptops sichergestellt. In dem Porsche werden sie später noch zwei Kilo Cannabis finden - ein kleiner Fang.
Der Polizist Dirk Jakob führt mich durch den vierten Stock des Landeskriminalamts in Tempelhof zu seinem Büro. Er ist in der Abteilung für Organisierte Kriminalität Dezernatsleiter. Seit ein paar Jahren beschäftigt sich Jakob fast ausschließlich mit einer Tätergruppe: Arabischen Clans, auch wenn er selbst sie nie so nennen würde.
"Der kleinste Teil der Familien ist kriminell, deshalb würden wir den größten Teil der Familie, der völlig legal hier lebt, verschweigen", sagt er.
"Aber natürlich stellen die Familien ein Problem auch in der polizeilichen Arbeit dar: Wenn wir im Rahmen von Ermittlungen eine Wohnung durchsuchen, dann treffen wir auf vorbereitete Szenarien nach einem festen Drehbuch, da gibt es immer eine Mutter, die sofort einen Kreislaufzusammenbruch bekommt, da gibt es immer Kinder, die die Polizisten beschimpfen und es wird ein ganz erheblicher Widerstand gegen die polizeilichen Maßnahmen aufgebaut."
Es gehöre quasi zum Programm der Gegenseite, Widerstand aufzubauen, und den Beamten möglichst wenig Respekt entgegen zu bringen, um auch die Einsatzmotivation der Polizei zu senken.
Zehn bis zwölf solcher Familien seien in Berlin aktiv, vermutet Jakob. Mindestens ein Fünftel der Organisierten Kriminalität in der Hauptstadt gehe auf deren Konto.
"Im Bereich der Organisierten Kriminalität haben wir definitiv ein überproportionales Tätigkeitsfeld durch arabische Strukturen", sagt er. "Wenn wir auf die Ursachen schauen, drängt sich ein Begriff auf: der der Parallelgesellschaft."
Sie habe sich schon in den 1980er-Jahren gebildet, als durch den Libanonkrieg viele arabisch-stämmige Flüchtlinge nach Deutschland gekommen seien und hier in keiner Weise integriert wurden.
"Über Jahre war der Zugang zum Arbeitsmarkt gesperrt, waren die Kinder nicht schulpflichtig", ist Jakobs Beobachtung. "Und dieses Alleinelassen führte dazu, dass diese Menschen sich nur auf sich selbst und ihre Familien verlassen konnten."
Dadurch lehnten sie staatliche Institutionen ab und hätten ein Milieu entwickelt, dass heute als Parallelgesellschaft bezeichnet werden könne. Ihr Geld machten die Clans lange Zeit vor allem mit Schutzgelderpressungen und Drogenhandel, erzählt Jakob.
Kolonne durch Berlin-Neukölln
Vier blaue Mannschaftswagen von Polizei und zwei grüne Passats des Zolls fahren Kolonne durch Berlin-Neukölln. Draußen auf der Karl-Marx-Straße füllen sich die Shisha Bars mit Feierabendgästen. Drinnen, in einem der Mannschaftswagen, geht Mark Gutzeit vom Berliner Bezirksamt mit LKA-Beamten die Details für Objekt zwei durch.
Eine kleine Schwerpunkt-Kontroll-Runde hat der Sicherheits-Koordinator angekündigt – von 16 bis 22 Uhr. Der Bezirk Neukölln führt die seit ein paar Monaten regelmäßig durch, gemeinsam mit Polizei, Zoll und Ordnungsamt. In Geschäften und Bars, die der Organisierten Kriminalität zugeordnet werden, sollen schon kleinste Vergehen und Ordnungswidrigkeiten geahndet werden. Es gilt null Toleranz.
Wir halten vor der ersten Shisha Bar. Noch während ich aus dem Polizeibulli steige, laufen 15 Polizisten in den Laden. Die Bar ist an diesem frühen Abend noch ziemlich leer, 30 Beamte von Zoll, Polizei und Ordnungsamt treffen auf sechs Jugendliche und zwei Mitarbeiter. Drei Jungs hören auf, an ihrer Wasserpfeife zu ziehen, schauen mit großen Augen zu den Polizisten hinüber, die Richtung Keller, Toiletten und Bar ausschwärmen.
Während sich die Polizisten die Ausweise der Gäste zeigen lassen, nimmt sich der Zoll die zwei Mitarbeiter vor: Kontrolle Schwarzarbeit. Einer der beiden, ein Mann Ende 20, muss eine Weile suchen, bis er die Hefter mit den Dienstplänen und Abrechnungen findet.
Ein Polizist erläutert das Vorgehen:
"Wir schauen uns für den Bezirk an, welche relevanten Betriebe es gibt: Shisha Bars, Wettbüros, Spielautomatencafés. Sobald wir den Verdacht haben, dass es sich um Treffpunkte für Clan-Kriminalität handelt, werden die Läden häufiger überprüft, in dem Fall hier, der Laden ist neu, befindet sich aber in der Nähe eines anderen Ladens, den wir auch der Clan-Kriminalität zuordnen, da hat es uns schon erstaunt, dass eine Tür weiter der nächste aufmacht. Sowas dulden die Familien normalerweise nicht in ihrem Umfeld. Und da ist schon mal interessant, wer ist hier der Besitzer, wer trifft sich hier so."
Mit auf die Wache
Nach einer knappen Stunde sind die Beamten mit dem Laden fertig, die drei Jugendlichen steigen in einen der Mannschaftswagen, müssen mit auf die Wache, weil sie keine Ausweise dabei haben, sie werden dann von ihren Eltern abgeholt.
"Wir sind jetzt mit fünf Verstößen schon am Start, ohne die Ergebnisse des Zolls zu kennen, dreimal Jugendschutz, dann haben wir einen Verstoß gegen das Gaststättengesetz, gegen das Nichtraucherschutzgesetz", sagt ein Polizist. Meine Frage, was für eine Strafe auf den Betreiber jetzt zukomme, beantwortet er so: "2.400 bis 2.600 Euro." Dafür müsse man sich zumindest schon mal einen Anwalt nehmen, auch das koste Geld.
"Das ist eben die Politik der Nadelstiche, dass wir zeigen wollen, dass wir keinen Verstoß gegen das geltende Recht dulden."
Wie gut diese Politik der Nadelstiche wirkt, darüber hat der Bezirk noch keine gesicherten Erkenntisse. Dafür ist es noch zu früh. "Sind Shisha Bars ein typisches legales Geschäftsfeld von Clans?", frage ich. "Ja hier in Neukölln kann ich schon sagen, dass bis auf wenige Ausnahmen, der Großteil einen Bezug zu Clans hat, entweder als Treffpunkt oder man steht als Betreiber hinter dem Laden", sagt der Polizist. Es werde dort auch neues Personal rekrutiert.
Gerade auf die Jugend übe das eine magnetische Wirkung aus. "Wenn sie zum Beispiel mit dem großen Pokerräuber in einem Lokal sitzen, ist das wie ein Ritterschlag für die jungen Leute."
Teure Autos vor der Tür
Wir halten vor einem Altbau zwischen Karl-Marx- und Hermannstraße mitten in Berlin-Neukölln. Wieder laufen die Polizisten in die Bar, ich muss erstmal draußen warten, bis der Laden gesichert ist. Hier träfen sich oft Clan-Bosse, nicht selten bewaffnet, heiß es. Unten an der Bar sitzt ein stämmiger Mann Anfang 30 und sagt, er sei der Schwager des Besitzers.
Auf der Galerie lassen fünf Männer die Ausweiskontrolle über sich ergehen, alle mit Bart und frisch frisiertem Undercut. An den Wänden hängen Bilder aus Mafia-Filmen, in einem Glaskasten liegt eine alte Winchester.
"Der Laden zeichnet sich dadurch aus, dass hier sehr teure Fahrzeuge zum Teil auch in zweiter Reihe stehen und wir gehen davon aus, dass das ein Lokal ist für Personen, die zumindest nicht durch Sparen an diese Fahrzeuge gekommen sind", sagt ein Polizist. Nach 20 Minuten ist die Kontrolle beendet, die Beamten finden nichts, alles in Ordnung.
Der Schwager des Besitzers begleitet die Beamten noch zur Tür und wünscht ihnen noch einen erfolgreichen Arbeitstag.
Die italienische Mafia geht verdeckter vor
Beim Vergleich arabischer Clans und der italienischen Mafia macht der Mafia-Experte Sandro Mattioli neben Gemeinsamkeiten auch einige Unterschiede aus. Während die Italiener versuchten, weniger aufzufallen, stehe bei den arabischen Clans das demonstrative Moment noch sehr im Vordergrund, sagte der deutsch-italienische Journalist im Deutschlandfunk Kultur.
Sie führen mit teuren Autos herum, schreckten vor Schlägereien nicht zurück und glaubten, sich mit der Staatsmacht messen zu können. Die Mafia arbeite dagegen vergleichsweise ungestört.
"Das hat wesentlich damit zu tun, dass sie nicht für Aufsehen sorgt."
2007 hätten zwei verfeindete Gruppen eine Schießerei begonnen, bei der sechs Leute erschossen wurden. Das habe damals für viel Aufsehen gesorgt und die Polizeiarbeit gegen die Vereinigung der kalabrischen Mafia, ’Ndrangheta, verstärkt.
"Natürlich hat die Mafia verstanden, dass so lange es kein Blut auf den Straßen gibt, sie doch recht ungestört hier arbeiten kann."
Neue Gesetze wichtig
Er merke, dass die Arbeit seines Vereins "Mafia? Nein, Danke!" ebenso wie Recherchen von Journalisten langsam Wirkung zeige und das Thema Organisierte Kriminalität mehr in den Fokus gerückt sei. Es seien zwar Gesetzesveränderungen, beispielsweise bei der Reform der Vermögensabschöpfung 2017, auf den Weg gebracht worden, aber es bleibe noch sehr viel zu tun. (gem)